Leander lief durch tiefes Dickicht, sein grün-gesprenkelter Umhang wehte hinter ihm her, und kleine goldene Punkte tanzten über seine Schultern, als er unter dem dichten Blätterdach lief. Alles in allem wirkte er wie ein weiterer Bestandteil der Natur, nur eine kleine, goldene Sanduhr auf seinem Umhang wies ihn als etwas Fremdes, Unnatürliches aus.
Um ihn herum war nichts als leichter Nebel und grünes Dickicht. Flink folgten seine Füße einem kaum sichtbaren Pfad, die Luft in seiner Umgebung wies einen Hauch von Moder auf. Der Wind rauschte in den hohen, dichten Kronen und eine leise Melodie erklang von fern. Kleine Vögel sangen über ihm ihren fremdartigen Gesang, doch er wandte seinen Kopf nicht um, sie waren nicht wichtig. Seine Hand umklammerte eine kleine reinweiße Sanduhr, ein Ebenbild der auf seinem Rücken, der Sand in ihr fast durchgelaufen. Eine braune Lederschnur war um ihre Mitte gezogen und an seinem Gürtel befestigt. Die Zeit war knapp, doch noch hatte er eine reelle Chance. Das Singen der Vögel verstummte schlagartig, ein leiser Schauer durchfuhr ihn und seine Schritte stockten kurz, dann beschleunigte er sein Tempo.
Eine weiße, fast durchsichtige Strähne löste sich unter seiner Kapuze aus einem Stirnband. Langsam wurde das Flötenspiel lauter und die Schwingungen auf dem Weg vor ihm wurden fast greifbar. Konzentriert und etwas gehetzt huschte sein Blick wieder zu der altmodischen Uhr in seiner Hand. Nur noch wenige Sandkörner waren übrig. Mit seiner anderen Hand zog er eine kleine metallene Kugel aus einer Manteltasche und schleuderte sie vor sich. Eine kleine Lichtung wurde sichtbar und die Welt begann sich zu dehnen. Merkwürdig verzerrt ragten die riesigen Bäume in den Himmel hinauf als hätte man sie dort oben zu einer Rute zusammengebunden, im Zentrum ein strahlendes Licht. Leander spürte beinahe seine Heimatstadt herannahen und seine Nase in die wohlbekannten Düfte aus Gras und Blumen zu stecken, als das letzte Sandkorn fiel. Ihm fehlten vielleicht ein oder zwei Schritte bis in den rettenden Kreis, als es seinen kurzen Weg nach unten viel zu schnell beendete und mit einem hämischen Pling auf die anderen fiel.
Erst da wurde Leander bewusst, dass mit der metallenen Kugel und dem Tor, auch er verschwinden würde. Für die Leute auf der anderen Seite des Tores. Nur einer wusste von seinem kleinen Ausflug - und der würde wohlweislich nichts sagen.
Die Lichtung glühte auf, zog sich dann mit Wucht zusammen und verbrannte in einem einzigen gleißend hellen Blitz zu blauer Asche. Zeitasche. Er war gefangen. Dumpfer Schmerz stahl sich in seine Brust und er streifte die Kapuze ab. Sein silberweißes Haar fiel ihm locker über die Schultern. Eine kleine Rauchfahne stieg aus der Mitte der kleinen Kuhle auf und seine Schultern hatten sich kaum merklich gesenkt. Die Sanduhr baumelte an seiner Seite herab. Der Gesang der Vögel war immer noch verstummt. Seine aufsteigende Verzweifelung drängte er so gut es ging beiseite.
Er begann in seiner gewöhnlichen Routine seine Situation zu überdenken und überprüfte seine Taschen. Die wenigen Dinge, die er noch bei sich trug, waren allesamt nutzlos, zumindest ohne ein Portal, dass ihn wieder nach Hause brachte. Hinzu kam noch, dass selbst der Plan, den er gehabt hatte, gescheitert war. Er hatte es nicht gefunden, das andere Buch. Das Buch, dass nun niemand mehr finden würde, weil alle Hinweise schon lange zerstört worden waren. Das Buch, dass sich mit dem Autor des Weltenbuch beschäftigte. Dem Mann, der draußen in den Ebenen in einer uralten, nun schon lange verschollenen Stadt gelebt hatte.
Er selbst würde einfach nur ein weiterer Verlorener in einer stetig wachsenden Sammlung sein. Keinem von ihnen war je Hilfe gesandt worden und noch nie war ein Verlorener in die Stadt zurückgekehrt, selbst, wenn sie auf einem offiziellen Auftrag verloren gegangen waren. Mit leichtem Grauen dachte er an das Geflüster aus dem Untergrund zurück. Erst vor kurzem hatten die Zeitenordner wieder jemanden erwischt.
In jedem Krieg mussten Opfer gebracht werden, dachte er bei sich, doch der Gedanke, selbst als eines zu enden gefiel ihm ganz und gar nicht. Ein Kribbeln im Nacken ließ ihn herumfahren, doch nichts war zu sehen, kein Schatten, kein Lodern. Weit über ihm lauerte einer der fremden Vögel auf einem hervorstehenden Ast, der Gesang war jedoch nach wie vor verstummt. Langsam und bedächtig zog er mit seiner linken Hand seinen Bogen von der Schulter. Wieder war da dieses Kribbeln in seinem Nacken und er drehte sich vorsichtig um. Sein Instinkt hatte ihn in solchen Fällen bisher noch nie getäuscht.
Umso überraschter war er, als am Rande der Lichtung nichts geschah, nicht ein Blatt sich bewegte. Misstrauisch ließ er seinen Blick die Umgebung absuchen, doch außer leicht verkohlten Ästen am äußersten Rand der Kuhle fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf. Er trat einen Schritt weiter in die Mitte und der Boden unter seinen Schuhen knirschte. Blitzschnell blickte er zu seinen Füßen und hielt den Atem an.
Eine hellblaue Eierschale ragte unter seinem Schuh hervor, gesprenkelt mit Tupfen, so weiß wie sein Haar. Seine Umgebung wurde mit einem Mal deutlich klarer und seine freie Hand bewegte sich langsam zu den Pfeilen auf seinem Rücken. Er folgte der Spur aus Schalen zur Mitte der Kuhle und sein Blick bestätigte ihm seinen Verdacht. Weit über sich konnte er in der Krone eines riesigen Baumes ein Nest ausmachen, sauber in der Mitte zerteilt.
Ein kleines Wesen ringelte sich in der Mitte der Kuhle, braune Erdschlieren zogen sich über seine edelsteingleichen Schuppen. Feurig orange leuchtete ihm die Haut des Drachens entgegen und Leander betrachtete nachdenklich den kleinen Übeltäter in der Mitte. Wo ein Nest war, war die Mutter auch nicht weit entfernt. Er musste hier weg. Noch war die Drachenmutter nicht wieder zurück, noch lebte er. Noch hätte er die winzige Chance, die Halbinsel wieder zu erreichen. Der winzige Kopf fuhr herum und seine winzigen Nüstern bebten. Er hatte etwas gewittert. Leander bewegte sich vorsichtig auf den Wald zu, den Bogen wieder fest im Griff.
Er hatte seine langjährige Ausbildung nicht gemacht, um jetzt wegen einem Drachenbaby weit draußen zu sterben, zerfetzt von einer wütenden Drachenmutter. Zwei Seiten in ihm kämpften, auf der einen das hilflose Drachenbaby das bebend in der Kuhle lag, auf der anderen die Angst vor den alten Drachen, die Angst vor dem Tod. Er zögerte, versteinerte, dann schwang er, verärgert über sich selbst, den Bogen über seine Schulter und näherte sich dem kleinen Drachenbaby vorsichtig, das ihn erwartungsvoll ansah. Die kleinen, noch verklebten Flügel flatterten ein wenig, als er entschlossen seine Hand ausstreckte und den überraschend warmen kleinen Körper aufhob.
Wenig später zog er sich die Kapuze wieder über den Kopf, machte einen Schritt nach vorne ins Dickicht und war fast sofort nicht mehr zu sehen. Nur die Sanduhr blitzte auf seiner Schulter kurz auf und zurück blieb die leere Lichtung unter dem tiefgrünen Blätterdach.
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Die Chroniken der Zeitenjäger
Science FictionEr ist im Nirgendwo gestrandet. Sie auf der Flucht vor dem Zeitenorden. Und dann noch ein eigensinniger Drache, der für helle Aufregung sorgt. Leander und Zoe. Er ein ehemaliges Mitglied des Regimes. Sie Rebellin auf der Flucht. Zoe hat es nach Mona...