Kapitel 2 (-) Farkun

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Obsidian City

Im Elfenbeinturm der Regierung lief Farkun, der Oberste Zeitenleser auf und ab, die kleineren Wolkenkratzer der Stadt zogen sich in Kreisen um seinen Turm, wie er ihn zu nennen pflegte. Ihre Antlitze schickten die letzten Strahlen der sinkenden Sonne zu ihm herüber. Durch die hohen, geschwungenen Fenster an allen Seiten des großen Raumes hatte man einen großartigen Ausblick auf die Stadt. Sogar das Zeitportal, dass Obdisian mit Mainland weiter im Norden verband, konnte man von seinem Standpunkt aus sehen und gab ihm das Gefühl von Macht. Normalerweise. An diesem Tag beunruhigte ihn der Ausblick auf eine sehr ungewöhnliche Weise.

Die Dinge liefen nicht so wie sie sollten. Sein eigener Orden machte ihm Striche durch die Rechnung. Die Zeitenjäger machten Probleme, schon wieder. Und schon wieder so kurz vor ihrer alljährlichen Versammlung. Er begann eine neue Runde durch den beinahe kreisrunden Raum. Jedes Jahr wollten sie mehr, einen Teil der Vergangenheit zurück, zumindest Manche von ihnen. Jedes Mal angeführt von einem der älteren Zeitenjäger aus den Ursprüngen des Ordens.

Im Grunde genommen war er stolz auf das, was der Zeitorden den Menschen gebracht hatte. Ihre Technologie im schnellen Reisen oder dem annähernden Zeitreisen nahm immer fortschrittlichere Erscheinungen an und er war sich sicher, dass sie auch das Rätsel des Zeitreisen selbst bald lösen würden. Die Forschung in Sunrise City hatte erst kürzlich durch einen Neuzugang aus der Akademie von Minor einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Doch trotz allem, was er für seinen Orden opferte, wünschten sich irgendwelche alten senilen Trottel die Zeiten ohne ihn zurück. Mit dem Alten an der Spitze.

Seine Gedanken begannen wieder abzudriften und er riss sich mit Mühe zusammen und trat in die Mitte des Raumes auf das aufgeschlagene Weltenbuch zu. Ein leiser Schimmer umgab es und die merkwürdige Mischung aus Keil- und Bildschrift flimmerte blau auf, als er sich über das Buch beugte. Noch immer hatte er das Buch nicht im Ansatz verstanden, jedoch viele der kleinen Formeln des Lebens, die darin versteckt waren. Selbst für ihn, der Spitze des Zeitordens, lag das Geheimnis über Herkunft und Autor noch im Dunkeln. Und aus einem Grund ärgerte ihn das mehr, als der ab und zu aufständische Ratszirkel, der sich für das einfache Volk und die alten Zeiten stark machte.

Offiziell war das Buch nach dem Angriff Obsidians durch die ungeheuren Feuer aus dem Zeitstrom entsprungen, doch er glaubte nicht daran. Ein albernes Märchen, nicht mehr. Der wahre Autor musste es geschickt haben, wahrscheinlich unwissentlich an ihn, den dann neuen Obersten Zeitenleser. Die Zeit selbst würde niemals wegen etwas wie Feuer ein Buch ausspucken. Eine lächerliche Idee, doch das Volk liebte sie. Das Buch aus dem Feuer. Zärtlich strich er über die ständig wechselnden Zeichen. Sein eigentliches Problem mit dem Buch war wohl eher der Autor. Derjenige, der schon seit Jahren all die Dinge gewusst hatte. Derjenige, der jedes Mal vergessen worden war. Selbst der Alte wusste wenig von ihm. Wie er, Farkun, ihn doch hasste. Nie würde sein Widersacher seinen Stolz hinunterschlucken und ihm, dem wahren Herrscher, seine Macht anerkennen. Ihm sagen, wofür das Buch eigentlich gut war, wie man es am besten las.

Ein wenig Angst schwang bei der Überlegung auch mit und es behagte ihm überhaupt nicht, dass ein Mensch da draußen jemals so viel Macht und Wissen besessen hatte oder gar noch besaß. Ein solcher Mensch, der das Buch der Bücher geschrieben hatte, könnte alles tun, den Zeitorden mittels eines Fingerschnippens vernichten. Doch das tat er nicht - noch nicht. Vielleicht brauchten sie nur noch einen einzigen Fehltritt, dann wären sie weg vom Fenster. Oder er war bereits tot, die Möglichkeit, die Farkun deutlich bevorzugte und mit jedem Tag, an dem der Orden weiter tun und lassen konnte, was er wollte, war er sich sicherer, dass er schon vor langer Zeit gestorben war.

Mit einem leisen Zischen erschien ein junger Zeitenordner hinter ihm, besser gesagt die Projektion desselben über einer der Hologramscheiben im Boden. Langsam drehte Farkun sich um, leicht genervt allein dadurch, dass es nur ein Zeitenordner der niedrigsten Stufe war, jemand, der nie auch nur an eine Nachricht an ihn, den Obersten Zeitenleser denken sollte. Seine Mundwinkel zwangen sich trotzdem zu einem warmen Lächeln nach oben und er bemühte sich, nett auszusehen. Der Zeitenordner atmete schwer, als wäre er gerannt, Brandspuren zogen sich über seine Uniform. „Sir, Entschuldigen sie mich, aber es ist wichtig! Einer der Zeitenjäger ist verschwunden!" Anscheinend sollte dies irgendeine Reaktion bei ihm hervorrufen, doch die Lächerlichkeit seines Satzes schien dem Mann nicht bewusst zu sein. Ständig gingen Zeitenjäger 'verloren', das war nichts Neues, wer hatte den da überhaupt bis zu ihm vorgelassen? Er hatte Wichtigeres zu tun, ein Land zu regieren, zum Beispiel. Auf den einen oder anderen hatte man noch nie Augenmerk gelegt, warum also damit anfangen? Sein Lächeln verrutschte etwas und der Ordner vor ihm runzelte irritiert die Stirn, sein Fehler schien ihm erst jetzt aufzufallen.

„Sir, wir haben seinen Freund gefasst und sind ziemlich sicher, dass er im verbotenen Gebiet gelandet ist. Wenn er es überlebt hat, könnte er auf den Zaun stoßen. Nur eine guten Tagesmarsch entfernt im Westen verläuft er. Es reicht, wenn er es bis dort hin schafft", eine kleine Pause entstand und die geröteten Wangen des Mannes glänzten.

„Er ist als Rebell bekannt. Jahrgangsbeste seinerzeit an der Akademie." Er schnappte kurz nach Atem, dann fuhr er fort: „Sie müssen ihn freigeben, der Mann ist bereits geprüft und alles deutet darauf hin, dass er ein Risiko ist. Wir haben noch gut sechs Stunden übrig, um ihn sicher zu erreichen, in ca. siebeneinhalb wird es kritisch." Farkun schwieg. Der Mann musste schon seit gestern Abend unterwegs sein. Wenn er Glück hatte, war er einfach auf einen Drachen gestoßen und schnell verbrannt – wenn nicht, und das war wohl doch wahrscheinlicher, war er noch am Leben und nur etwas dehydriert. Noch mehr Sorgen, um die er sich kümmern musste. „Schafft ihn beiseite, von mir aus auch tot. Wie hat er es überhaupt geschafft in diese Zone zu kommen?"

Der Mann senkte vorsichtig den Kopf und krümmte sich etwas zusammen, dann antwortete er vorsichtig: „Wir wissen es nicht. Sein Freund hat keine eingetragene Lizenz. Es ist generell schon ein Wunder, dass wir ihn entdeckt haben. Seine Absorbationskugel tauchte während einer Razzia mitten im Raum auf und setzte etliche Beweise zu unerlaubtem Portalhandel in Brand, unter anderem mehrere meiner Männer. Anhand der eingravierten ID und dem Portalverlauf konnten wir relativ genau den Herkunftsort herausfinden, Sir."

Farkun bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch sein Lächeln verrutschte nun endgültig und zurück blieb ein todernstes Gesicht. „Setzt ihn fest, egal, wie viele Männer ihr dafür in den Busch schicken müsst. Sofort! Und ich will einen Bericht haben, sobald ihr wieder da seid." Seine Stimme wurde zu einem leisen Fauchen, als er seinen Satz beendete, dann wischte er unwirsch die Projektion beiseite und die Verbindung brach ab. Er musste unbedingt mit dem Obersten Zeitenjäger sprechen - warum überwachte der seine Leute nicht besser? Er sollte ihn ersetzten lassen. Er drückte auf einen kleinen Knopf in seinem goldenen Armband und wenige Momente später öffneten sich die Türen des halb in der Wand verborgenen Fahrstuhls und der Oberste Zeitenjäger trat heraus.

Die Miene undurchsichtig und hart wie immer bewegte er sich zielstrebig auf den ersten Zeitenleser zu. Mit einer kaum merklichen Verbeugung hielt er vor ihm an. Die letzten rotgoldenen Strahlen der Sonne reflektierten sich auf seiner weißen Robe und schienen die Kälte, die er ausstrahlte, zu verhöhnen. Farkun selbst hielt sich nicht lange mit Floskeln auf, sondern drückte einen weiteren kleinen Knopf in seinem Armband. Eine Vitrine schob sich geräuschlos aus dem Boden, in ihr aufgerollt eine Peitsche, die aus sich selbst zu leuchten schien. Eine weitere gelungene Erfindung des Zeitordens, dachte er hämisch bei sich.

„Nutze sie, wenn es nötig sein sollte. Finde diesen Zeitenjäger und bringe ihn zur Strecke, wenn nicht ... " Die Maske des Mannes vor ihm verrutschte kurz, dann nickte dieser, ging zu der Vitrine herüber und hob mit sanftem Griff die Peitsche heraus. Mit einem leisen Klicken rastete sie an seinem Scherpe ein. Es hatte etwas endgültiges und ein böses Lächeln huschte zurück in Farkuns Gesicht, wissend, dass er alle nötigen Register gezogen hatte, um sein Problem lösen zu können, bevor es überhaupt entstanden war. Hoffentlich.


Die Chroniken der ZeitenjägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt