Ungläubig starrte der Oberste Zeitenjäger auf den Drachen, der in den Lichtkegeln ihrer Taschenlampen immer kleiner wurde. So etwas war ihm noch nie während einer seiner Räumungsaktionen passiert. Würde der Drache ihm die Drecksarbeit abnehmen und die Leiche des Jägers verspeisen? Er musste den Obersten Zeitenleser informieren. Einen Plan machen, was sie jetzt tun sollten. Er hob die Hand und gab den Befehl zum halten. Wenn der Zeitenjäger den Drachen kontrollieren konnte, wäre er schon jetzt weiter weg, als das sie ihn noch erreichen konnten.
Egal was nun kam, die Gefahr von dem kleinen Zeitenjäger war rapide gestiegen, sofern er noch lebte. Er rollte ärgerlich die Zeitpeitsche wieder an seinem Gürtel zusammen. Immerhin wusste er die Richtung, in die der Drache verschwunden war. Er musste sicher sein. Wütend ballte er die Faust. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Truppe zu einer Gefängnisbesichtigung mitzunehmen. Von dort aus hätte er wenigstens den Überblick über die nähere Umgebung.
Während er rastlos einen Kreis in das hohe Gras lief und die Temperatur immer rascher sank, wuselten die Zeitenordner durcheinander wie kleine weiße Käfer. Ihre Taschenlampen wühlten die Umgebung auf wie Wellen den Strand, ihre Stimmen glichen dem Treiben in den Städten am Markttag und für einen winzigen Moment fragte sich der oberste Zeitenjäger, wo sein Gewissen geblieben war. Früher, als er noch jung und voller Elan gewesen war, hatte er seine Ideale mit bloßen Fäusten verteidigt und jetzt stand er hier, außerhalb der Insel, mit einem Trupp Zeitenordnern, der dümmsten und zugleich reichsten Volksklasse seiner Heimat.
Die Ideale der Zeitenjäger musste er in einem der Jahre verloren, als Farkun ihm plötzlich richtige Aufgaben stellte und nicht den lausigen Kram, den das Ministerium den Zeitenjägern immer verpasst hatte, um sie beschäftigt zu halten. Es war eine Strafe gewesen, ohnmächtig der Zerstörung von Tälern durch die riesigen Maschinen des Zeitordens beiwohnen zu müssen. Und das alles für ein paar Edelmetalle und neue Ackerflächen.
Der erste Zeitenleser hatte ihn aus dieser Enttäuschung gerissen, die allen Jägern nach Abschluss der Akademie bevorstand. Erst träumte man von unendlichen Wäldern, neuen Gegenden, die man als Erster erkunden durfte - dann kam der Absturz. Sie dienten Farkun kaum noch mehr als Helden der Erkundung, des Fortschritts, als glühende Repräsentanten des Zeitordens, seit er da war hatte alles sich verändert.
Eigentlich hätte ihn dieser Gedanke traurig stimmen müssen, doch das tat er nicht. Er hatte seine Aufgabe gefunden, sein altes, schwaches Ich hinter sich gelassen. Höchstens etwas Melancholie über vergangene glückliche Tage oder Ekel über frühere Naivität kamen bei diesen Gedanken an seine Vergangenheit hoch.
Kälte kroch langsam unter seine Robe als die Sterne begannen auf ihre magische Weise zu funkeln, etwas, dass man in den großen Städten schon vor Jahren nicht mehr sehen konnte. Einer glitzernder als der andere, wie tausende kleine Edelsteine. So wie die Menschen vor 2000 Jahren zu ihnen hinaufgefahren waren hatte er sich hinaufgearbeitet, nur, dass er nicht den ehrlichen Weg gewählt hatte. Schon an der Akademie war seine Wahl der alten Tradition anders gewesen. Nicht, dass jemand sie beanstandet hätte, nein, es war vielmehr so, dass seine Wahl aus der Masse herausstach.
Zwischen all den Bogenschützen, Armbrustschützen und Speerträgern auf einmal ein Junge der Wurfdolche mit botanischer Spezialisierung wählte. Farkun hatte darin den Weg gesehen, sich den einen oder anderen alten Posten für eine Neubesetzung oder Umstrukturierung freizumachen. Die Bezahlung war freilich nicht schlecht gewesen und das war sie noch immer. Kurz hielt er inne und lauschte in sich hinein. Dann konzentrierte er sich auf das kalte Metall unter seiner Robe. Das nächste Mal würde er nicht mehr auf seine Truppe vertrauen, altmodisch war gegen seinesgleichen anscheinend doch am besten.
Er hatte diesen Weg bis nach ganz oben überlebt, weil er die Macht brauchte, um zu leben, weil er seine Jobs immer vollständig ohne einen Makel ausgeführt hatte. Das durfte sich jetzt nicht mit einem Hoffentlich-Toten ändern. Mit einem kurzen Wink rief er seinen Assistenten zu sich, er hatte einen Anruf zu tätigen.
Nervös zupfte er seinen Umhang zurecht und seine Finger spielten mit der Spitze der Zeitpeitsche. Endlich tauchte das kleine Hologramm von Farkun auf und die Nervosität war wie weggespült. "Er ist fort." Farkuns Gesicht zeigte keine Regung und er bedeutete ihm mit einer knappen Geste fortzufahren. "Ich brauche Kontakt zum Kontrollzentrum im Quadranten. Er könnte sich im Gebäude aufhalten." Kurz war Farkuns Maske verschwunden und ein eiskalter Schauer lief seinen Rücken hinunter. "Enttäusch mich nicht!" Dann verschwand die Projektion und zurück blieb eine Nummer.
Noch einmal würde er sich nicht von dem Zeitenjäger zum Narren machen lassen, dafür stand zu viel auf dem Spiel. Beim nächsten Mal würde er erst töten und dann lachen, das schwor er sich tief im Inneren. Beim nächsten Mal, würde kein Drache ihm sein Opfer stehlen.
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Die Chroniken der Zeitenjäger
Science FictionEr ist im Nirgendwo gestrandet. Sie auf der Flucht vor dem Zeitenorden. Und dann noch ein eigensinniger Drache, der für helle Aufregung sorgt. Leander und Zoe. Er ein ehemaliges Mitglied des Regimes. Sie Rebellin auf der Flucht. Zoe hat es nach Mona...