Die vier magischen Objekte

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Vorsichtig späht Jace um die Ecke und winkt mich anschließend zu sich. „Sieht so aus, als wären wir den Typen losgeworden." , murmelt er mit einem Anflug von Erleichterung in der Stimme. Mehr als ein Nicken bringe ich in meinem benommenen Zustand nicht zusammen. Ein unangenehmes Stechen hat sich in meinem Kopf breitgemacht und ich kneife die Augen zusammen. Woher kannte sie den Namen meiner Mutter? Wer war sie?
Während mir Fragen über Fragen durch den Kopf schießen, zieht Jace sein Handy aus seiner Hosentasche hervor und ruft irgendjemanden an. Ich bekomme nichts von seinem Gespräch mit. Das Einzige, was ich von meiner Umgebung wahrnehme, ist der kalte Bürgersteig, auf dem ich zusammengesackt bin.
Das ist bestimmt nur ein Traum. Ein böser, schlechter Albtraum. Aber als ich mir in den Arm kneife, zucke ich sofort zusammen. Doch kein Traum.
„Hey, Rose. Hörst du mir zu?" , dringt Jace' Stimme zu mir durch und ich blinzle ein paar Mal hintereinander. Verwirrt sehe ich zu ihm auf: „Was?"
Ein gereiztes Seufzen entfährt dem Blondhaarigen und er verschränkt die Arme vor der Brust. Erst jetzt fallen mir seine ausgeprägten Armmuskeln auf, die sich unter seinem weißen, eng anliegenden T-Shirt deutlich abzeichnen. Echt jetzt? So was fällt mir jetzt auf? Wow. „Ich sagte, wir sollten im Hotel auf die anderen beiden warten und dann erzählst du uns, was genau vorhin passiert ist." , gibt er genervt von sich.
Am liebsten würde ich ihm direkt ins Gesicht schreien, dass er doch selber dabei war und gefälligst nicht auf Mister Neunmalklug machen soll, doch dafür fehlt mir die nötige Energie. Anstatt irgendetwas Schnippisches zu erwidern, nicke ich nur einmal kurz. Soll er doch von mir denken, was er will.
Im Inneren des Hotels strömt mir eine angenehme Wärme entgegen und augenblicklich lockern sich meine angespannten Muskeln. Auch mein Puls sinkt langsam wieder auf seine normale Geschwindigkeit und ich atme tief durch. Schnurstracks steuert Jace auf den Aufzug zu und ich verdrehe nur die Augen, während ich ihm hinterherlaufe.
Nur wenige Leute befinden sich in der Lobby. Ein Trio steht an der Rezeption und ein Pärchen sitzt in einer der Sitzecken. Schnell folge ich Jace in den mit goldener Farbe angestrichenen Aufzug und bleibe mit so viel Abstand zu ihm, wie nur möglich, an der gegenüberliegenden Wand stehen.
Als ich einen Blick in den breiten, quadratischen Spiegel links von mir werfe, zucke ich fast zusammen. Mein Gesicht ist kreidebleich, meine Augen haben sich rötlich verfärbt und meine Wangen sind tränenverschmiert und glühen förmlich. Ein Wunder, dass uns niemand in der Lobby bemerkt hat.
Aus Reflex wische ich mir die Überreste meiner Tränen weg und zupfe danach an meiner Jacke herum. Die Kette lasse ich unauffällig in ihrer Innentasche verschwinden.
Zum Glück dauert die Fahrt ins oberste Stockwerk nicht lange und es kommen zwischendurch auch keine anderen Leute dazu, die uns aufhalten oder irgendwelche unangenehme Fragen hätten stellen können.
Der Gang, in dem wir jetzt stehen, ist hell beleuchtet und mit einem Perserteppich ausgelegt, der sich den ganzen Flur entlangzieht. Die Wände sind in einem zarten vanillegelb gestrichen und hier und da stehen vereinzelt ein paar Holzmöbel mit Blumenvasen am Rand herum. Die Zimmertüren sind aus weißem Holz und auf jeder ist eine gold lackierte Zahl angebracht.
An der letzten Tür des Gangs bleibt Jace so abrupt stehen, dass ich fast in ihn hineinlaufe. Mit einer geschickten Handbewegung zieht er eine Zimmerkarte hervor und sperrt die Tür auf.
Zögernd trete ich nach ihm ein. Gleich rechts ist ein kleines Bad mit abgeschotteter Dusche. Geradeaus erstreckt sich ein großer Kleiderschrank und direkt hinter dem schmalen Gang befindet sich ein Raum mit einem Bett, das sich mit dem Kopfende an die Wand gelehnt bis in die Mitte des Zimmers erstreckt, einem kleinen Sofa und einem an die Wand befestigten Tisch mit Drehstuhl. Auf dem Bett liegen einige Klamotten unordentlich zu einem niedrigen Haufen getürmt. Anscheinend Jace' Sachen.
Wie angewurzelt bleibe ich auf der Stelle stehen, unsicher, was ich tun soll, während Jace sich durch die wirren Haare fährt und wie ein Tiger im Käfig auf und ab geht. Innerlich hoffe ich, dass Lori und Zayn sich beeilen. Der Typ hasst mich. Warum musste ausgerechnet er mir zu Hilfe kommen?
Endlich erfüllt ein sanftes Klopfen den Raum und Jace verschwindet Richtung Zimmertür. Ein wenig erleichtert atme ich deutlich hörbar aus.
Im nächsten Moment kommt auch schon Lori zu mir mit einem besorgten Blick auf dem Gesicht: „Geht es dir gut, Rose? Bist du verletzt?" Ein schmales Lächeln bildet sich auf meinen Lippen und ich umarme die Brünette: „Keine Sorge, mir fehlt nichts." Dabei klinge ich jedoch nicht sehr überzeugend.
Auch Zayn erkundigt sich bei mir nach meinem Wohlergehen, ehe er sich anschließend mitten auf Jace' Bett fallen lässt und dabei sämtliche Klamotten von ihm bügelt. „Okay, Rose, erzähl uns genau, was passiert ist." , ergreift Lori erneut das Wort und sieht mich mit einem aufmunternden Blick an. Jace steht wie ein Roboter an die Wand gelehnt mit verschränkten Armen gegenüber von uns und hat wieder dieses eiskalte Starren aufgesetzt. Kann der Typ nicht wenigstens einmal Emotionen zeigen? Auch wenn's nur ein Gähnen ist.
Kurz überlege ich, wo ich anfangen soll. Ich erzähle ihnen, wie ich nach draußen gegangen bin, um frische Luft zu schnappen, und von der alten, verwundeten Frau, die sich mit letzter Kraft zu mir geschleppt hat. „Ist dir an dieser Frau irgendetwas aufgefallen? Vielleicht ein spezielles Muttermal oder eine Narbe?" , bohrt Jace monoton nach. „Nein, aber sie hatte mehrere kupferrote Haarsträhnen." , antworte ich, „Aber normalerweise haben Hexen doch nur eine, oder?"
Überrascht schnellen Jace' Augenbrauen nach oben. Endlich mal eine menschliche Reaktion. Zayn scheint dessen Stimmungswechsel zu bemerken und wirft ihm einen nicht gerade vielsagenden Blick zu. „Jace, das muss gar nichts heißen." , kommt es von ihm wie aus der Pistole geschossen, „Sie könnte sie einfach nur gefärbt haben." „Das glaube ich nicht." , erwidert der Blondhaarige stur. „Will mich vielleicht mal jemand aufklären?" , funke ich dazwischen.
Abwartend wandert mein Blick zwischen den beiden hin und her. „Normale Hexen haben bekanntlich eine kupferrote Strähne, an denen man sie erkennt." , beginnt Zayn, „Wie du bereits gesagt hast. Sie können Magie bis zu einem gewissen Grad für sich und andere benutzen, aber über Generationen hinweg hat sich ihre Nutzung extrem eingeschränkt. Es dauert Jahre, bis sie ihre Magie völlig ausgebaut haben und selbst dann können sie sich nur auf ein spezielles Gebiet fokussieren, wie zum Beispiel der Heilmagie." „Hexen mit mehreren roten Strähnen stammen von einer reinerbigen Ahnenreihe ab." , fällt Jace ihm ins Wort, „Heißt, sie können ihre Magie vollkommen nutzen, was sie zu den mächtigsten Wesen auf diesem Planeten macht. Niemand kann einfach so eine Hexe mit derart kräftiger Magie töten."
„Aber weltweit sind keine reinerbigen Hexen bekannt. Es ist einfach viel zu unwahrscheinlich, dass es solche Hexen noch gibt. Außerdem ist das auch alles bloß ein Gerücht, dass man sich unter Mischmenschen erzählt." , beendet Lori die Erklärung, „Sie kann einfach zu einem x-beliebigen Friseur gegangen sein oder sie hat ihr Haar selbst gefärbt."
„Sie kannte den Namen meiner Mutter." , erinnere ich mich plötzlich. „Hat sie etwa mit dir gesprochen?" , hakt Zayn erstaunt nach. „Ja. Und sie hat mir das hier gegeben." , füge ich hinzu und krame die Kette aus meiner Jackeninnentasche hervor.
Als ich sie ins Licht halte, höre ich, wie alle drei Werwölfe scharf Luft einziehen. „Was ist? Wisst ihr, was das ist?" , frage ich verwundert nach. Jace ist der Erste, der seine Sprache wiederfindet. „Das ist das Amulett des obersten Hexenrates." , erklärt er, ohne seinen Blick von dem goldenen Anhänger abzuwenden, „Vor über 700 Jahren, als wir alle noch nicht so friedlich zusammengelebt haben, bildete jede Gruppe von Mischmenschen eine Gruppe von auserwählten Vertretern. Diese Vertreter trafen sich mit den anderen jedes halbe Jahr und tauschten sich über Probleme, die ihr jeweiliges Volk hatte, aus. Sie waren diejenigen, die damals sozusagen herrschten. Jedem Rat gehörte ein magisches Objekt. Die Vampire besaßen einen Mondstein in Form einer Sichel. Die Feen geeinigt mit den Elfen hatten einen Ring aus Elfenbein mit einem grünen Smaragd eingraviert. Uns Werwölfen gehörte der Bronzezahn, ein Zahn des Urwerwolfs. Und die Hexen waren im Besitz von diesem Amulett hier."
Angestrengt verarbeite ich die neuen Informationen. „Und was genau hat diese Objekte so besonders gemacht?" , frage ich verständnislos nach. „All diese Gegenstände wurden beim ersten Treffen der obersten Räte in einem Ritual so verzaubert, dass sie alle zusammen den Herrschenden unendliche Macht verleihen können. Aber auch nur eines kann seinem Träger von enormer Hilfe sein. Sie können seine Kräfte verstärken. Deshalb hatten die normalen Menschen kein magisches Objekt. Wenn ein Mensch jedoch alle Objekte besitzt, kann auch er dieselbe Macht erlangen, wie jeder Mischmensch. Mehr noch: er kann viel stärker werden als ein Mischmensch." , antwortet Lori und lässt sich noch immer fassungslos auf das Sofa nieder. „
Ich verstehe nur nicht, wie eine Hexe mit so großer Macht einem normalen Menschen wie dir das Amulett des obersten Hexenrats überlassen kann." , kommt es auf einmal von Jace in einem verächtlichen Ton.
Augenblicklich macht sich Wut in mir breit, doch bevor ich irgendetwas sagen kann, ergreift Lori das Wort: „Jace, reiß dich zusammen! Rose kann genauso wenig etwas für das, was passiert ist, wie du, Zayn und ich." „Ich verstehe es trotzdem nicht." , fährt der Blauäugige fort und verengt seine Augen zu Schlitzen.
Meine Nackenhaare stellen sich auf und ich merke, wie sich noch etwas anderes neben der Wut in mir breit macht. Und dann realisiere ich, was hier wirklich vor sich geht. So ein Arschloch.
Wütend mache ich einen Schritt auf Jace zu und funkle ihn stocksauer an. „Kann ja sein, dass ich ein normaler Mensch bin, aber deine Macho-Alpha-Werwolf-Nummer kannst du dir sonst wo hin stecken!" , zische ich ungehalten, „Diese Frau kannte meine Mutter und es ist mir scheiß egal, was du von mir hältst! Ich werde jetzt meinen Vater suchen und solange die Lage nicht aufgeklärt ist, bleibt das Amulett bei mir!"
Damit marschiere ich schnurstracks zur Zimmertür, öffne sie und lasse sie so schwungvoll hinter mir wieder zufallen, sodass man den Knall sicherlich bis in die Lobby hören kann. Ohne zu zögern, steuere ich auf den Aufzug zu. „Mir reicht's!" , grummle ich eingeschnappt.
Hinter mir vernehme ich schnelle Schritte und im nächsten Moment steht Lori neben mir im Aufzug. „Rose, es tut mir leid." , bringt sie keuchend hervor, „Jace ist manchmal einfach..." „Ein Arschloch?" , beende ich ihren Satz mit hochgezogener Augenbraue. „Genau." , grinst Lori und die Aufzugtüren schließen sich. „Zayn staucht ihn gerade richtig zusammen, aber auf eine Entschuldigung würde ich trotzdem nicht warten." , fügt sie hinzu.
Schulterzuckend lehne ich mich gegen die kühle Wand: „Mir egal. Der Typ hatte von Anfang an ein Problem mit mir." Lori setzt zum Widersprechen an, besinnt sich dann jedoch eines Besseren: „Ich werde dich begleiten, wenn das für dich okay ist."
Mit einem leichten Nicken stoße ich mich von der Wand ab und betrete die Lobby, in der sich nur noch die Rezeptions-Dame befindet und uns freundlich einen guten Abend wünscht. Dieser Abend ist alles, nur nicht gut, Lady. Trotzdem zwinge ich mir ein kleines Lächeln auf und erwidere ihren Gruß, ehe wir in die kalte Nachtluft treten.

Magix - The golden AmuletWo Geschichten leben. Entdecke jetzt