Das ist ein Problem.

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„Gut, das war's auch schon." , meint mein Vater zufrieden und klappt die Mappe mit seinen Notizen zu. Zu zweit sitzen wir in seinem etwas trist aussehenden Büro im Hauptquartier, wo ich bis gerade eben noch im kleinsten Detail wiedergegeben habe, was die vergangenen Wochen passiert ist.
„Schon? Dad, wir haben fast eine ganze Stunde gebraucht." , merke ich skeptisch an und erhebe mich von dem unbequemen Plastikstuhl vor seinem verwüsteten Schreibtisch. „Und trotzdem war deine Aussage am schnellsten." , lacht er und lässt die Mappe in seiner blauen Arbeitstasche verschwinden, „Kommst du morgen Abend auch zur Party?" „Party?" , bohre ich ahnungslos nach und wir betreten den menschenleeren Gang. „Adrian hat darauf bestanden, zusammen mit Zayn und Lori eine Siegesfeier hier im Hauptquartier zu veranstalten." , klärt mein Vater mich auf, während wir Richtung Eingangsbereich spazieren.
„Ich weiß nicht so recht." , gebe ich zögernd von mir. „Du machst dir noch immer Vorwürfe wegen Carol, stimmt's?" , trifft er den Nagel auf den Kopf und ich nicke energisch. „Ich habe einen Fluch bei ihr angewandt, Dad. Und nicht nur irgendeinen." , sprudelt es aus mir heraus, „Fiona sagte, es wäre einer der mächtigsten Flüche überhaupt. Wie sehr muss ich sie denn in diesem Moment gehasst haben, dass ich ihr so etwas antue?" „Rose, deine Reaktion war vollkommen verständlich. Sie hat dir ohne Bedauern gesagt, dass sie ein kleines Mädchen umgebracht hat. Sei nicht so hart mit dir selbst." , versucht mein Vater mich zu beruhigen, „Komm morgen zu der Party und gewinn ein wenig Abstand zu der Sache."
Seufzend streiche ich mir eine dunkelrote Strähne aus dem Gesicht: „Okay." Ein zufriedener Ausdruck breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Na dann, bis morgen, Kleine." , verabschiedet er sich von mir und ich winke ihm noch einmal kurz zu, ehe ich nach draußen in die kühle Nachtluft trete.
Zurück im Tower werde ich von Adrian und Zayn empfangen, die gemeinsam in der Küche sitzen und sich eine riesige Pizza teilen. „Hey, Rose. Weißt du, was mit Lori los ist?" , erkundigt sich Zayn bei mir mit einem besorgten Unterton in der Stimme. „Nein. Ich habe sie seit heute morgen nicht mehr gesehen. Was ist denn passiert?" , frage ich alarmiert nach und sämtliche Fasern in meinem Körper spannen sich augenblicklich an.
„Nachdem Lori mit ihrer Aussage fertig war, wollte sie eigentlich auf Jace, Adrian und mich warten, aber sie war nicht mehr im Hauptquartier. Tony meinte nur, sie wäre bereits ohne uns zurückgefahren, hat aber weiter nichts gesagt." , erzählt Zayn mir und versucht, den Belag auf seinem Pizzastück zu balancieren. „Ich habe versucht mit ihr zu reden, doch sie will nicht aus ihrem Zimmer rauskommen und lässt auch niemanden rein." , seufzt Adrian und hält hilfsbereit eine Hand unter Zayn's Pizzastück. „Vielleicht spricht sie ja mit mir." , überlege ich und marschiere geradewegs zu Lori's Zimmer.
Vor ihrer Türe halte ich einen Augenblick lang inne, kann jedoch nichts hören, weshalb ich zweimal sanft gegen das glatte Holz klopfe. „Ich bin beschäftigt." , vernehme ich die genervte Stimme der Brünetten. „Lori, ich bin's. Ist alles okay? Dein Bruder und Adrian machen sich echt Sorgen um dich." , erwidere ich sanft, „Lass mich bitte rein."
Kurz Stille breitet sich im Gang aus, bevor gedämpfte Schritte hinter der Tür ertönen und diese keine fünf Sekunden später auffliegt. Vor mir erscheint Lori. Ihre Wangen sind tränenverschmiert und ihre sonst nur so vor Freude strahlenden Augen haben eine leichte Rötung angenommen.
Ohne groß zu zögern ziehe ich sie in eine feste Umarmung, woraufhin leise Schluchzer ihrer Kehle entweichen. „Wie wär's, wir setzen uns jetzt erst mal hin und du erzählst mir in Ruhe, was dich so runterzieht?" , schlage ich zaghaft vor und ernte ein heftiges Nicken von ihr.
Mit hängenden Schultern trottet Lori zu ihrem Bett und setzt sich mit angewinkelten Beinen ans Kopfende des Betts. Ich lasse mich im Schneidersitz gegenüber von ihr nieder und lächle ihr aufmunternd zu, um ihr zu signalisieren, dass ich ihr jederzeit zuhöre.
„Tony zieht zurück nach Los Angeles und wird dort sein eigenes Team leiten." , platzt es schließlich aus ihr heraus und sie wird erneut von Schluchzern übermannt. Mein Lächeln verschwindet schlagartig von meinem Gesicht: „Hat er gesagt, warum er zurück nach L. A. geht?" „Er meinte, er kann nicht noch einmal mit ansehen, wie ich mein Leben seinetwegen riskiere und verlässt deshalb die Stadt." , antwortet sie zitternd und wischt sich mit dem Handrücken über das glühende Gesicht, „Ich verstehe einfach nicht, was ich falsch gemacht habe, Rose." „Du hast gar nichts falsch gemacht." , murmle ich leise, „Aber Tony denkt, die einzige Möglichkeit, dich zu schützen, ist, dass er dich verlässt." „Aber warum denn? Ich will nicht, dass er geht." , schluchzt die Braunäugige, „So ein Idiot!" „Kommt er denn morgen wenigstens noch zur Party?" , bohre ich nach und suche krampfhaft nach den richtigen Worten. „Nein. Er reist um die Uhrzeit ab." , bringt sie kopfschüttelnd hervor und bricht anschließend sofort wieder in Tränen aus.
Ich gebe mein bestes, Lori irgendwie zu trösten, doch erst als sie nach einiger Zeit eingeschlafen ist, scheint sie einigermaßen ruhig zu sein. Insgeheim hoffe ich, dass Tony es sich noch einmal anders überlegt, doch tief in meinem Inneren weiß ich, dass das nicht passieren wird. Dafür hat er zu entschlossen gewirkt, als er mit mir am Tag der Verhaftung gesprochen hat. Nicht einmal Lori wird in der Lage sein, ihn jetzt noch umzustimmen.
So leise wie möglich schleiche ich nach draußen und atme tief durch, nachdem ich ihre Türe hinter mir geschlossen habe. „Du siehst echt fertig aus." , ertönt Jace' amüsierte Stimme neben mir und ich zucke zusammen. „Erschreck mich nicht so!" , zische ich, wobei ich darauf achte, dass meine Stimme nicht zu laut wird.
Grinsend lehnt er sich gegen die Wand und verschränkt die Arme vor der Brust: „Gehst du morgen mit mir zusammen auf die Party?" Überrascht schnellen meine Augenbrauen nach oben: „Meinst du als dein Date oder wie darf ich das verstehen?" Lachend verdreht er seine wunderschönen, eisblauen Augen und lehnt sich etwas nach vorne: „Was denkst du denn?"
Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht und mein Herz setzt einen Schlag aus, während ich seinem Blick standhalte. „Du hast Glück." , erwidere ich und setze mich in Bewegung, „Bis jetzt habe ich noch nichts anderes vor."
Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie Jace' Grinsen an Größe gewinnt und ich schlendere gemächlich den Gang entlang zu meinem Zimmer. „Ich nehme mal an, das ist eine Zusage." , ruft er mir hinterher. „Was denkst du denn?" , mache ich ihn nach und schlüpfe dann durch meine Zimmertür.
Kaum bin ich alleine, gebe ich einen unterdrückten Freudenschrei von mir und tänzle einen Moment lang durch mein Zimmer, bis mir plötzlich bewusst wird, dass ich kein einziges Outfit besitze, das ich morgen anziehen könnte. Entsetzt schlage ich die Hände über den Kopf zusammen und durchwühle meine Klamotten in der Hoffnung, doch noch irgendetwas passendes zu finden. „Das darf doch nicht wahr sein." , entfährt es mir und ich suche angestrengt nach einer Lösung, wobei mir mein reicher Mitbewohner einfällt, der Shoppen ja für gewöhnlich sehr liebt.
Kurz überprüfe ich, ob Jace noch im Gang herumlungert, aber der scheint bereits in seinem Zimmer zu sein Und ich renne wie vom Blitz getroffen in die Küche, wobei ich unkontrolliert über den Boden schlittere und mit einem dumpfen Knall gegen die Theke pralle, als ich versuche, anzuhalten.
„Was ist denn in dich gefahren?" , kommt es von Zayn, der vor dem Kühlschrank steht und einen Obstbecher in der Hand hält. „Hat Präsident Katzenmau wieder irgendwas verschluckt, was er nicht hätte verschlucken sollen?" , fragt Adrian und stellt sich neben seinen Freund.
„Nein, schlimmer. Jace will zusammen mit mir auf die Party morgen gehen." , antworte ich panisch. „Und wo ist da jetzt das Problem?" , hakt Zayn unbeholfen nach. „Ist doch gut, dass er endlich mal einen Schritt gemacht hat." , meint Adrian fröhlich und klatscht in die Hände, „Das wurde jetzt aber auch mal Zeit." „Ja, aber ich habe nichts zum Anziehen." , erkläre ich verzweifelt. „Okay, das ist ein Problem." , stimmt der Millionär mir zu und wirft einen Blick auf die Uhr, „Jetzt hat wohl kein Geschäft mehr auf, aber wir haben morgen bis 18.00 Uhr Zeit, um das perfekte Outfit für dich zu finden. Das schaffen wir locker."
„Aber was ist mit Lori? Ich kann sie morgen nicht den ganzen Tag alleine lassen und ich glaube kaum, dass sie Lust hat, mit uns shoppen zu gehen." , werfe ich ein. „Mach dir darum keine Gedanken. Ich bleibe einfach so lange bei ihr und heitere sie etwas auf." , bietet Zayn sich freiwillig an, „Sag mir nur, warum und wie genau ich sie aufmuntern soll." „Es geht um Tony." , beginne ich vorsichtig und warte erst seine Reaktion ab, bevor ich fortfahre.
Entgegen all meiner Erwartungen bleibt Zayn jedoch ziemlich ruhig und wirkt zum Schluss hin etwas planlos: „Er geht zurück nach Los Angeles? Was hat das mit Lori zu tun?" Neben ihm schlägt Adrian sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Alles, mein Lieber. Deine Schwester ist Hals über Kopf in ihn verknallt. Das musst du doch bemerkt haben." , klärt er ihn fassungslos auf. „Echt?" , entfährt es Zayn eindeutig überrascht, „Und ich habe mich schon gewundert, warum sie so oft mit ihm zusammen trainiert hat."
Sichtlich schockiert wendet sich Adrian mir wieder zu: „Also gut. Du und ich fahren morgen früh in die Arkaden und besorgen dir ein umwerfendes Kleid, während Zayn seine Schwester von ihrem Liebeskummer ablenkt, auch wenn ich mir nicht wirklich sicher bin, ob er der Richtige für diese Aufgabe ist. Einverstanden?" „Einverstanden." , nicke ich begeistert und lächle die beiden an, „Danke. Ihr rettet mir echt den Allerwertesten."
Ganz so begeistert bin ich dann aber doch nicht mehr, als Adrian mich am nächsten Morgen mitten in der Früh energiegeladen wachrüttelt und mir meine Bettdecke entreißt. „Komm schon. Wir müssen weg sein, bevor Jace aufwacht und Wind von unserem Plan kriegt." , seufzt Adrian, woraufhin ich mich schließlich aus dem warmen Bett quäle und mit frischer Kleidung grummelnd im Bad verschwinde.
Erst als ich den dampfenden Kaffee neben der Herdplatte in der Küche entdecke, hellt sich mein Gesicht etwas auf und wir frühstücken noch schnell. „Ich habe einen genauen Zeitplan erstellt, den wir unbedingt einhalten müssen." , informiert mich der Millionär, während er unser Geschirr in die Spülmaschine stellt und mich dann in den Aufzug zieht, „Zuerst besorgen wir dir ein Kleid, anschließend die Schuhe und dann haben wir einen Friseurtermin. Zayn wird mit Jace und Lori direkt zum Hauptquartier fahren, damit wir nicht noch einmal zurück zum Tower müssen."
„Hast du denn schon alles bei dir, was du für die Party brauchst?" , frage ich verwundert nach und lehne mich für einen Augenblick gegen die kühle Wand des Aufzugs. „Ja, meine Sachen sind schon im Wagen." , bestätig Adrian.
In der Tiefgarage angekommen läuft er zielstrebig zu seinem silbernen Maserati Gran Cabrio und nimmt schwungvoll hinter dem Steuer Platz. Begeistert lasse ich mich auf den ledernen Beifahrersitz fallen und lehne mich entspannt zurück, während wir auf die Straße fahren und durch die noch fast menschenleeren Straßen Richtung Süden fahren, wobei wir direkt am Park und der Stadthalle vorbeifahren. Der Himmel ist in ein dunkles Lila getaucht und die Laternen werfen noch immer ihr Licht auf die Gehwege links und rechts von uns.
Auch das große Gebäude der Arkaden ist noch völlig leer und Adrian setzt ein zufriedenes Lächeln auf: „Ich wusste, dass es besser ist, wenn wir gleich früh einkaufen gehen." Zustimmend nicke ich und wir laufen einige Meter, ehe er mich in das erste Geschäft schiebt und sofort die Aufmerksamkeit einer jungen, blonden Verkäuferin auf uns zieht. „Kann ich Ihnen helfen?" , erkundigt sie sich freundlich bei uns. „Nein, danke. Wir sehen uns erst mal selber ein wenig um." , lehnt Adrian höflich ab und zieht mich in die Damenabteilung, wo wir jede einzelne Kleiderstange durchgehen.
Nach gut zwei Stunden werden wir schließlich fündig und ich entscheide mich gleich für das erste Kleid, das ich anprobiere. Es ist ein schwarzes, oben herum eng anliegendes Neckholder-Kleid, das mir bis zu den Knien geht. Von der Taille abwärts fällt es etwas lockerer nach unten und erinnert trotz des festen Stoffs an einen Wasserfall bei Nacht.
Kaum habe ich bezahlt, stürmt Adrian schon zum nächsten Laden, ein Schuhgeschäft. Wie vorhin lehnt er auch dieses Mal jegliche Hilfe der Verkäufer ab und drückt mir alle paar Sekunden eine weitere Box mit Schuhpaaren in die Hand, bis der Turm in meinen Händen schließlich so hoch ist, dass ich nicht mehr sehen kann, wo ich hinlaufe.
Ächzend lasse ich mich auf einem kleinen, gepolsterten Sofa nieder und mache mich daran, in jedes einzelne Paar zu schlüpfen. „Wir müssen darauf achten, dass sie nicht nur gut aussehen, sondern dass du auch in ihnen laufen kannst." , wendet Adrian ein und sortiert drei Kartons aus. „Na das grenzt die Auswahl jetzt groß ein." , kommentiere ich seine Aussage sarkastisch und mein Blick bleibt an einem Paar schwarze Riemchensandaletten mit Absatz hängen. Wie hypnotisiert ziehe ich sie aus der Box und probiere sie an.
Vorsichtig laufe ich einige Meter und muss erstaunt feststellen, dass ich mich trotz der hohen Absätze ziemlich gut bewegen kann. „Ich würde sagen, du hast dein Outfit gefunden." , meint Adrian grinsend und wir gehen zahlen.
Mit jeweils einer Tüte in jeder Hand laufen wir gemächlich durch das Gebäude und bleiben ab und zu an einem der Schaufenster stehen, bis uns auf einmal ein angenehmer Geruch umhüllt. „Also ich hätte nichts gegen eine kleine Mittagspause  einzuwenden." , beginne ich und werfe meinem Nebenan einen erwartungsvollen Blick zu. „Rose, du kannst Gedanken lesen." , lacht dieser und wir lassen uns in einem Burgerladen am Ende der gigantischen Halle nieder.

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