Prolog ~

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"Der Zug wird in Kürze am Bahnhof von Doncaster halten. Wir wünschen Ihnen noch eine gute Reise." Die monotone Stimme aus dem Lautsprecher sagte das nun zum etlichen Male. Seufzend zog ich meinen Koffer von der Trageliege, zog mir den Mantel über und setzte einen Fuß aus meinem Abteil. Die meisten machten sich schon bereit, andere saßen noch gemütlich auf ihren Sitzen und sahen in die an ihnen vorbei fliegende Natur.

Ich fuhr zu meinem Dad, der nun mal hier in Doncaster wohnte. Ich habe ihn noch nie in meinem ganzen Leben gesehen, auch die letzten 14 Jahre und 2 Monate nichts von ihm gehört - bis jetzt. Es war nun April, und es war das erste Osterfest, was ich bei ihm verbringen würde. Ich blieb die ganzen Ferien über, denn er wollte mich kennen lernen. Ich kannte ihn nur über Facebook, wo er mich gefunden hatte. Er hat natürlich zuerst meine Mom angeschrieben, und sie um Erlaubnis gefragt, mich zu sehen. Ich war sein Fleisch und Blut.

Viel wusste ich von meinem Vater nicht. Er war ein großer Unternehmer, verdiente sehr viel Geld und war reichlich unterwegs in ganz England. Ich wusste noch nicht mal genau, was er machte. Von Bildern, die ich gesehen habe, sah mein leiblicher Dad ganz gut aus, war dünn, aber sportlich und sah mir nicht wirklich ähnlich. Aber Mom meinte oft, ich hätte meine Begeisterung für den Fußball von ihm geerbt.

Der Zug fuhr den Bahnhof an und stoppte mit einem quietschenden Geräusch. Schnell lief ich den anderen Passagieren hinterher und begab mich nach unten und von da aus zu einem Bäcker, an dem wir uns treffen wollten. Ich sah meinen Dad noch nicht, also stellte ich mich vor den Laden und gab gut auf meinen Koffer acht, während ich den unteren Gang nach ihm absuchte. Was, wenn er gar nicht kam, und mich versetzte wie meine Mutter? Doch gerade als diese Gedanken kamen, sah ich ihn, wie er mit einer Sporttasche auf der Schulter, langen Trainingshosen und topmodernen Fußballschuhen auf mich zu kam. Sofort tat ich so, als würde ich ihn aus der anderen Richtung erwarten und drehte mich um. Ich spielte mein Spiel solange, bis mir jemand auf die Schulter tippte.

"Hallo, Harry." Ich drehte mich wieder zurück, sah in das Gesicht meines Vaters und erschauderte für einen kurzen Moment. Er strahlte so viel Autorität aus, wie alle Lehrer inklusive Schulleiter auf meiner Schule gemeinsam. Es war so schrecklich, dass ich erst mal oft schlucken musste, um den Kloß in meinem Hals runter zu bekommen.

"H-Hallo", war das einzige, was ich anständig heraus bekam. Mein Vater lächelte.

"Soll ich dir was abnehmen? Du siehst so abgekämpft aus." Dankend nickte ich und gab ihm mein Handgepäck, was er sofort passend über seine Sporttasche platzierte.

"Wie geht es dir, Harry?", fragte er, vermutlich um die Situation etwas aufzulockern. Denn etwas unwohl fühlte ich mich schon. Ich sah, dass ich noch mehr hatte, als Mom gesagt hat. Er hatte denselben Haarton wie ich, ein mattes braun, was in Chocolat überging.

"Gut ... Die Zugfahrt war langweilig, deswegen bin ich etwas müde ...", murmelte ich. Wir durchquerten eine Tür, die nach draußen führte und befanden uns am Haupteingang. Er kramte angestrengt in seiner Jackentasche herum, bis er endlich das raschelnde Ding fand, was er suchte. Den Autoschlüssel.

"Bei mir wird es niemals langweilig, Harry. Ach ja, da drüben steht mein Wagen, wir fahren mit dem Auto nach Hause." Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Ich bin keine vier Jahre mehr und weiß, wie ein Autoschlüssel aussieht. Ich habe mir schon gedacht, dass so ein Schlüssel auch für ein Auto gemacht ist, Sherlock. Aber dieses Kommentar verkniff ich mir gekonnt. Ich wollte nicht sofort am ersten Tag unfreundlich werden.

"Wo sitzt du lieber im Auto? Vorne oder hinten?" Ich zuckte mit den Schultern und ließ ihn entscheiden. Er hielt mir dann also die Hintertür auf, damit er ja keinen Ärger von der Polizei bekam, wenn sie mich vorne erwischten. Hätte ich vorne gesagt, hätte er mich trotzdem da sitzen lassen, denke ich.

Daddy (Larry AU)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt