Kapitel 1 | Abschied

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Nervös zappelte ich auf meinem Stuhl herum und strich immer wieder meine Haare hinter meine Ohren.
Heute war es soweit.
Heute konnte ich endlich wieder nach Hause.
Ich würde heute Nacht in meinem eigenen Bett schlafen, einem bequemen Bett, und mich unter einer warmen Decke einkuscheln können.
Ein Lächeln breitete sich aus meinem Gesicht aus. Wie lange ich nicht mehr in meinem eigenen Bett geschlafen hatte!

Ich sah auf meine Uhr, die ich nach zwei Jahren endlich wieder bei mir hatte. Heute Morgen hatte ich die Batterie wechseln dürfen, sodass ich sie beim Abschied tragen konnte, wie ich sie auch an meiner Ankunft getragen hatte.

Meine Eltern, die mich abholen sollten, waren mittlerweile schon 10 Minuten zu spät. Was, wenn sie nicht kamen oder mich vergessen hatten? Vielleicht wollten sie mich ja gar nicht mehr bei sich haben...

Ich biss mir auf die Lippen und versuchte nicht panisch zu wirken. Das Lächeln war mir vergangen.

,,Alles gut bei dir, Amber?", fragte mich Ruth, eine kleine, mollige Frau mittleren Alters.
Ich nickte, doch dann viel mir auf, dass sie mich in meinen zwei Jahren hier gut genug kennengelernt hatte, um zu wissen, dass es nicht so war.

,,Was, wenn sie nicht kommen?"
Voller Verständnis sah sie mich mit ihren schokobraunen Augen an und zog mich dann in eine Umarmung. Ich ließ es zu, denn sie war der einzige Grund hier gewesen, dass ich nicht durchgedreht war. Also nicht mehr, als sowieso schon.

,,Natürlich kommen sie, Liebes. So ein tolles Mädchen, wie dich, könnte man gar nicht vergessen!"
Ich zog mich aus der Umarmung und lächelte sie dankbar an. Sie wusste einfach immer, was sie sagen sollte. Ich würde sie vermissen.

,,Was werde ich eigentlich ohne dich machen?", fragte ich sie und lehnte mich an der Stuhllehne an.

,,Naja, ein richtges Leben führen, schätze ich mal" Sie schmunzelte. ,,Schau mal, wer da ist!" Ruth drehte ihren Kopf zur Seite und ich folgte ihrem Blick. Sofort sprang ich auf.
,,Mama, Papa", rief ich und rannte auf sie zu. Stürmisch umarmten wir uns und seit langem fühlte ich mich wieder geborgen und beschützt. Die seltenen Besuchszeiten waren einfach nicht das Selbe gewesen.

,,Wo ist Fiona?" Verwirrt sah ich mich um. Warum war meine Schwester nicht bei ihnen? Wollte sie mich nicht sehen? War ich ihr mittlerweile egal? Ich wurde wieder panisch. Früher waren wir beste Freundinnen gewesen und ich könnte es einfach nicht verkraften, wenn sie mich nun hasste.
,,Sie sitzt im Auto", versicherte mir meine Mutter und ich atmete erleichtert aus.

Ich widmete mich wieder meinen Eltern. Sie hatten sich in den zwei Jahren kaum verändert. Die blonden Haare meiner Mutter sahen wie immer perfekt gestylt aus, kein graues Haar war zu sehen und ihre Augen strahlten in einem dunklen grün. Auch sonst bewahrte sie wie immer ihre perfekte Haltung. Was andere von ihr dachten, war ihr also noch immer wichtig. Alles, was sie je gewollt hatte, war eine perfekte Familie. Und ich hatte es zerstört.
Mein Vater war da anders. Obwohl er nicht so aussah, war es ihm immer nur um das Wohl aller gegangen. Aber die Jahre voller Arbeit, um uns alles zu ermöglichen, was wir wollten, hatten Spuren hinterlassen. Graue Strähnen zogen sich durch seine braunen Haare und er sah müde aus.

Ich strahlte die Beiden an und war so glücklich wie noch nie.
,,Wir erledigen dann noch schnell den Papierkram, okay Süße? Du kannst dich in der Zeit ja noch verabschieden."
Ich nickte. Das würde schnell gehen, denn außer Ruth mochte ich hier niemanden wirklich.

Ruth saß nich immer auf dem Stuhl im Eingangsbereich. Lächelnd hatte sie uns beobachtet. Sie freute sich immer, wenn jemand es endlich geschafft hatte und von hier weg konnte. Wegen ihrer herzlichen Art, hatte ich sie gleich am ersten Tag ins Herz geschlossen. Wir hatten hier viel erlebt, weshalb mir der Abschied nun schwer fiel. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen sie nie wieder zu sehen.

Obwohl ich normalerweise nicht emotional war, lief mir eine Träne die Wange runter, als ich auf sie zuging.
,,Das war's dann wohl", meinte sie lächelnd. ,,Du bist entlassen..."
,,Warum kannst du nicht einfach mitkommen? Du könntest bei mir im Zimmer schlafen", schniefte ich.
Sie lachte. ,,Hey, alles gut, Liebes. Freu dich doch, du hast es geschafft. Von nun an wird alles besser!"
Ich nickte und wischte mir mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht.
,,Ich werde dich vermissen!"

Einige Zeit saßen wir einfach nur so da und genossen die restlichen Minuten zusammen. Dann hörte man das Klackern von den Schuhen meiner Mutter und kurz darauf bogen meine Eltern um die Ecke. Ich stand auf und bemerkte das unwohle Gefühl in meinem Bauch. Dabei sollte ich mich doch eigentlich freuen...
Der wahrscheinlich schlimmste Abschnitt meines Lebens war nun abgeschlossen und ich könnte nun mein altes Leben weiterführen. Warum also fiel mir der Abschied so schwer?

Ein letztes Mal drehte ich mich zu Ruth um. Ja, sie war der Grund. In den letzten zwei Jahren war sie zu meiner besten Freundin und einziger Vertrauten geworden. Zu wissen, dass ich sie nie wiedersehen würde, schmerzte wirklich.

Traurig lächelte ich sie an.
Dann zog ich meine Tasche unter dem Stuhl hervor. Sie war leicht, denn hatte ich sowieso alles, was ich brauchte hier bekommen.
Ich ging zu meinen Eltern, die mich herzlich ansahen und wahrscheinlich gar nicht verstanden, was ich hier vermissen würde. Schließlich hatte ich es nie gemocht.
Mein Vater deutete Stumm in Richtung Ausgang und ich nickte.
Doch bevor ich ging, winkte ich der Pflegerin noch zum Abschied.

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