Kapitel 27

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Durch das unterirdische System aus Kanälen kamen sie schnell voran. Schon kurze Zeit später waren sie in der Nähe des Gefängnisses, dort, wo man seinen Vater gefangen hielt. Zur Sicherheit stiegen sie einige Seitenstraßen früher aus der Finsternis an die Erde.

In diesem Moment erzitterte die Erde. In der Ferne hörte man ein ohrenbetäubendes Krachen, Rauch stieß auf. Mika grinste. Dann hatten Will und die anderen es also geschafft. Aufgeregte Rufe ertönten. Nicht weit von ihnen rannte ein Trupp Soldaten in die Richtung des aufsteigenden Rauchs. Sirenen gingen an, die kreischende Geräusche produzierten. Mika hielt sich die Ohren zu. Toms unterdessen hob einen Stein vom Boden auf und warf ihn auf den schwarzen Kasten direkt neben ihn, der die schrecklichen Geräusche erzeugte.

Er verstummte, als der Stein ihn zerschlug. Mika atmete auf. Der Rauch zog in ihre Richtung und verhüllte sie mittlerweile. Gute Voraussetzung, um sich unbemerkt an das Gebäude heranzuschleichen.

Allerdings konnte Mika in dem dichten Rauch nicht ausmachen, ob das Gefängnis bewacht war, und wenn ja, wie viele bewaffnete Soldaten da waren.

Er wollte gerade loslaufen, als Toms ihn am Ärmel anfasste und zurückzog. »Was machst du denn da?«, zischte er.

»Ich werde meinen Vater retten.«

Toms schüttelte den Kopf. »Doch nicht so. Wir wissen doch gar nicht, wie viele Wachen da sind und wo sie sind. Vielleicht haben die auch Drohnen, die die Umgebung scannen. Wir können doch nicht einfach ins Blinde laufen.«

Mika seufzte. »Und was sollen wir dann tun?«

Toms wollte gerade antworten, als eine zweite Explosion den Boden erbeben ließ. Diesmal deutlich näher. Mika musste sich an einer Wand festhalten, um nicht zu Boden zu stürzen.

»Sie kommen auf uns zu«, rief er durch den Lärm hindurch zu Toms, der sich an einer alten Metallstange festgeklammert hatte.

»Sehe ich«, entgegnete Toms. »Wir müssen uns beeilen. Sonst wimmelt es hier von tausenden Soldaten und Drohnen. Deine Freunde haben keine Chance. Wenn sie gefasst werden, müssen wir von hier verschwunden sein.«

Es kam Mika wie Verrat vor, aber das war nun egal. Er musste seine Familie in Sicherheit bringen, das war sein einziges Ziel gewesen, weshalb er hierher zurückgekehrt war.

»Was also machen wir nun?«, fragte er Toms, der zu ihm herüberkam.

»Die Lage sondieren«, meinte Toms knapp und drückte sich um die Ecke, immer nah an der Wand entlang. Mika folgte seinem Beispiel. Es waren nur drei Seitenstraßen bis zum Gefängnisgebäude.

»Vorsicht.« Toms wies auf eine weiße Drohne, die sich ihnen schnell näherte. Mika drückte sich hinter eine Mülltonne und hielt den Atem an. Doch die Drohne flog, ohne ihr Tempo zu drosseln, an ihnen vorbei. Bestimmt war sie auf dem Weg zu Will und den anderen.

Mika kroch wieder hinter der Mülltonne hervor.

»Wir müssen vorsichtig sein«, murmelte Toms. »Es könnte noch mehr kommen.«

Sie schlichen weiter die Straße entlang. Das Gefängnis geriet in ihr Blickfeld. Es sah aus wie ein Steinklotz, vor dessen Eingang bewaffnete Soldaten waren. Auch auf dem flachen Dach des Gebäudes lagen Scharfschützen.

»Verdammt.« Mika rieb sich die Schläfen. Was nun? Sie kamen ja nicht einmal in die Nähe des Gebäudes.

Toms tippte ihn an. »Ich habe eine Idee. Warte einfach, bis ich das Zeichen gebe.«

Dann rannte er los.

»Welches Zeichen«, rief Mika Toms hinterher, doch der hörte ihn nicht mehr. Er rannte nun auf das Gefängnis zu. Die Soldaten hoben ihre Waffen und richteten sie auf ihn, als sie ihn kommen sahen. Toms hob die Hände, doch sie richteten weiterhin ihre Waffen auf ihn.

Jetzt rief er ihnen etwas zu. Mika konnte aus der Entfernung nicht hören, was es war, aber es klang wie Hilfe. War das das Zeichen?

Toms war beinahe bei den Soldaten. Mika sprang aus seinem Versteck, rannte quer über den Vorplatz. Die Scharfschützen auf dem Dach zielten nun auf ihn. Ein roter Punkt tanzte auf seiner Brust hin und her.

Toms gestikulierte einem der Soldaten wild etwas und redete energisch auf ihn ein. Was tat er da?

Jede Sekunde rechnete er damit, dass man auf ihn schießen würde. Warum schossen die Schützen auf dem Dach bloß nicht? Mika war fast da. Noch gut dreißig Meter trennten ihn vom Eingang in das Gebäude. Er beschleunigte seine Schritte. Toms redete immer noch mit den Soldaten. Jemand schrie etwas. Mika blendete es aus.

Er sprintete auf den ersten Soldaten zu, bremste nicht, sondern riss ihn mit sich zu Boden. Völlig überrascht schrie der Soldat auf.

Mika riss ihm seine Waffe aus der Hand. Aus dem Augenwinkel vernahm er einen Schatten, der sich auf ihn stützte. Er wirbelte herum und holte mit dem Lauf der Waffe aus, traf den Mann am Kopf.

Nun rannten auch die anderen Soldaten auf ihn zu. Toms unterdessen schien wie vom Erdboden verschluckt. Er hatte sich wahrscheinlich verdrückt. Gut so, dachte Mika. Er würde ihn nur bei seiner Aktion behindern.

Der Soldat unter ihm stöhnte auf, wollte sich erheben, doch Mika versetzte ihn mit einem Schlag zurück ins Reich der Träume.

Mit einem lauten Schrei rannte er den heranstürmenden Soldaten entgegen, traf den ersten an der Schläfe, der sofort mit dem Kopf auf den Boden aufprallte. Blut spritzte.

Mika sah sich um. Von allen Seiten kamen Soldaten, mindestens zehn. Das waren zu viele. Er hob die Waffe. Könnte er das wirklich. Schießen? Einen Menschen umbringen?

Gleich waren sie bei ihm. Es waren viel zu viele. Sie würden ihn überwältigen.

Da durchschoss ihn ein Gedanke. Er bückte sich und hielt den Lauf der Waffe an die Schläfe des ohnmächtigen Soldaten auf dem Boden.

»Stehen bleiben«, schrie er. »Oder er ist tot.«

Abrupt blieben die Soldaten stehen und blickten zu einem Mann, der ein Abzeichen auf seiner Uniform trug. Er starrte Mika hasserfüllt in die Augen und ging einen Schritt auf ihn zu.

»Stehen bleiben!« Mikas Stimme zitterte, ebenso wie seine Finger, die den Griff der Waffe fest umschlossen hielten.

Der Kommandeur ging einen weiteren Schritt auf ihn zu. »Stehen bleiben! Das ist meine letzte Warnung!«, schrie er. Es klang selbst in seinen Augen erbärmlich. Seine Stimme war eine Mischung aus Schreien und Weinen.

Dann tat der Kommandeur etwas, was Mika nicht gedacht hätte. Er blieb tatsächlich stehen. »Was willst du?«

Mika zitterte noch immer, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Adrenalin schoss durch seine Adern. »Ich will nur zu meinem Vater.«

Er zog den Soldaten ein Stück mit sich, weg vom Kommandeur, der sich nicht rührte. Sein Gesicht war ebenso regungslos, Mika konnte nicht erkennen, was er dachte.

»Keiner folgt mir!«, schrie er und bewegte sich gleichzeitig noch weiter weg von den starr stehenden Soldaten. Er schritt rückwärts durch den Eingang, zog die reglosen Soldaten wie einen nassen Sack mit sich, mit dem Lauf der Waffe an die Schläfe gerichtet.

Niemand folgte ihm. Die Soldaten blieben draußen. Aber sie würden sicher Verstärkung rufen und dann das Gefängnis stürmen.

Sobald er aus der Sichtweite war, ließ er den ohnmächtigen Soldaten am Boden liegen und rannten zum Zellentrakt. Die Beschilderung ermöglichte es ihm, schnell dorthin zu finden. Von jetzt an zählte jede Sekunde.

Mika rannte den langen Gang mit den Zellen entlang, schaute auf jedes Namenschild. Aus den Zellen streckte die Soldaten ihren Kopf an die Gitterstäbe und starrten ihn an wie ein fremdes Objekt.

Er rannte weiter, blieb an der vorletzten Zelle stehen. Der Gefangene erhob den Kopf, stierte ihn an. Doch in seinem Blick lag etwas anderes. Verblüffung. »Mika«, flüsterte er.

AußenseiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt