Cathrine

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Cathrine reckte den Kopf, um ihr Gesicht im Rückspiegel betrachten zu können. Ihre Augen waren dunkel umrandet, was ihre grünen Irden noch mehr zur Geltung brachte und sie gleichzeitig geheimnisvoll und irgendwie gefährlich wirken ließ. Genau so wie sie es beabsichtig hatte.

Noch einmal zog sie den blutroten Lippenstift nach, der so perfekt aufgetragen war, dass ihr Mund dem einer Puppe glich. Sinnlich. Sie wünschte, ihr Mann könnte sie jetzt so sehen. Normalerweise war sie jemand, der sich mit Make-up stark zurückhielt. Vor allem in ihrem Beruf hatte sie gelernt wie schön und vor allem selten die Natürlichkeit doch war. Aber heute Abend musste alles perfekt sein. Ein einziger Riss in ihrer Fassade und jemand könnte merken wie sehr sie sich tatsächlich vor diesem Abend fürchtete. Seit Jahren hatte sie darauf hingearbeitet und heute war es endlich soweit. Es durfte einfach nichts schief gehen.

Endlich zufrieden mit ihrem Äußeren ließ Cathrine sich zurück in den Sitz sinken. Normalerweise wäre sie sich jetzt durch ihre Haare gefahren, aber das ließ ihre genauso elegante wie aufwendige Hochsteckfrisur nicht zu. Sie musste sich also damit begnügen kurz die Augen zu schließen und ihre eigenen Hände zu drücken. Ihre Ringe pressten sich in ihre Haut, aber durch den schwachen Schmerz schaffte sie es endlich ihr Zittern in den Griff zu bekommen.

Wie von alleine fanden ihre Finger ihren Ehering, wie immer wenn sie an Eric dachte. Er hatte ihr angeboten mitzukommen, aber sie hatte abgelehnt. Sie musste das alleine schaffen. Einfach um sich selbst zu beweisen, dass sie dazu stark genug war.

Schließlich legte sie ihre Hände zurück auf das Lenkrad und startete den Motor. Sie hatte eine Querstraße von ihrem ehemaligen Gymnasium entfernt geparkt, um sich noch einmal zu sammeln, jetzt bog ihr Wagen um die letzte Ecke und das alte Gebäude ragte vor ihr auf. Ein Schauer jagte ihr über den nackten Rücken und die gleiche Übelkeit wie damals stieg in ihr hoch. Sie kämpfte sie nieder.

Sie war eine andere als damals. Sie hatte dieses Leben, das ganze Land, hinter sich gelassen und lebte jetzt über 9000 Kilometer von Berlin entfernt. Trotzdem war ihre Reaktion noch die gleiche wie damals als Sechzehnjährige. Die Angst und die Wut auf sich selbst hatten sich für immer in ihre Eingeweide gefressen und was sie auch tat, sie würde sie niemals vergessen können. Kein Erfolg, kein Geld der Welt würde daran etwas ändern können. Auch nicht ihr liebevoller Ehemann, so sehr er sich das auch wünschte. Doch heute Abend würde sie den Spieß umdrehen. Heute Abend war nicht sie das Opfer.

Sie stellte den Motor ab und erst jetzt wagte sie es aufzusehen. Die Scheiben des McLaren waren verdunkelt, so dass die Menschen draußen sie nicht sehen konnten. Neugierig sahen sie sich nach dem teuren Sportwagen um und die Männeraugen begannen zu leuchten. Der Wagen war gemietet und kostete sie für diesen einen Abend ein kleines Vermögen, aber das war es ihr absolut wert. Nicht, dass sie es sich nicht leisten konnte. Heute Abend wollte sie zeigen, was sie hatte, und was war dafür besser geeignet als dieser Wagen als erster Eindruck?

Sie warf einen letzten Blick auf ihr Spiegelbild. Das schmale Gesicht hatte sie sich mit hartem Training und strengen Essgewohnheiten erarbeitet, aber nicht einmal sie selbst hätte gedacht, dass aus der pummeligen Sechzehnjährigen eine Frau mit beneidenswerten Wangenknochen und leuchtenden Augen werden würde. Ihrer Karriere in Hollywood war dieses Gesicht sicher nicht im Weg gewesen, jedoch hatte sie stets darauf geachtet nicht auf ihr Äußeres reduziert zu werden. Sie war nicht nur ein hübsches Gesicht, sondern in erster Linie eine ernstzunehmende Geschäftsfrau und geniale Designerin. Ihre Karriere hatte sie sich ebenfalls hart erarbeitet und auch an der Spitze zu bleiben, war kein Zuckerschlecken. Nicht, dass ihr das irgendjemand zugetraut hätte.

Cathrine sah aus dem Fenster und begegnete erneut den neugierigen Blicken, die schon jetzt zwischen Neid und Anerkennung schwankten. Doch erst als sie Jannis Schüssler sah, hatte sich genug Hass in ihr angestaut, dass sie den Mut aufbrachte, um die Tür zu öffnen. Die Flügeltür schwang auf und die abendliche Luft rauschte ihr entgegen. Nicht zu kalt für ein Abendkleid, nicht zu warm für einen Smoking. Die Jahreszeit war gut gewählt, aber von Leonora Ziegler hatte sie nichts anderes erwartet. Die damalige Schülersprecherin hatte dieses Klassentreffen organisiert und wie schon damals legte sie Wert auf Perfektion. Die Dekoration, mit der die Turnhalle geschmückt war, war geschmackvoll, das musste sogar sie zugeben. Sogar das von schwarzen Blumen eingerahmte Bild von Elena Treiber, das zum Gedenken an ihre ehemalige Klassenkameradin aufgestellt worden war, wirkte nicht einmal fehl am Platz. Ende der elften Klasse hatte die Siebzehnjährige Selbstmord begangen. Der Vorfall hatte damals die gesamte Schule überschattet, aber nach den Sommerferien war alles wieder zur Normalität zurückgekehrt.

Monte ChristoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt