Johannes

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Ein Raunen ging durch die Menge. Einige wirkten ehrlich geschockt, andere amüsiert. Leonora neben ihr schnappte nach Luft und zum ersten Mal seit Cathrine sie kannte, war sie sprachlos. Sie sog ihren fassungslosen Gesichtsausdruck förmlich in sich auf. Sie wusste, dass es moralisch absolut verwerflich war, was sie hier tat, aber verdammt, warum fühlte es sich dann so gut an?

Johannes war der erste, der seine Stimme wieder fand. Er sprang von seinem Stuhl auf. „Scheiße, Kathrin! Mach das weg! Sofort!" Das veranlasste Leonora panisch zu ihrem Ehemann zu sehen, der sich seinen Weg aus der Stuhlreihe zur Bühne freikämpfte, um die PowerPoint zur Not selbst abzuschalten.

Cathrine deutete ihren Blick richtig und ein feines Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Mach dir darüber keine Sorgen, Leonora", sagte sie in das Mikrofon hinein, „Dein Mann weiß längst von deiner Affäre."

Johannes, der inzwischen beinahe die Bühne erreicht hatte, blieb abrupt stehen und richtete seinen erschrockenen Blick auf seine Frau. „Aber er war zu feige, um dich damit zu konfrontieren. Der große Sportstar, der Kapitän unserer Fußballmannschaft ist ein Feigling. Und ein hoffnungsloser Romantiker noch dazu. Komm, Johannes, willst du ihnen nicht erzählen, was du daraufhin getan hast?"

Sein Blick zuckte zu Cathrine. Langsam schüttelte er den Kopf; flehend. Doch Cathrine kannte keine Gnade. Sie hatten sie früher schließlich auch nicht gekannt.

„Er wollte sie zurückgewinnen", wandte sich die Amerikanerin wieder an das Publikum, „Selbst als er wusste, dass sie mit einem anderen Mann schläft und ihn betrügt. Er hat sie mit Geschenken überhäuft, die sie eigentlich gar nicht verdient hatte. Ein Urlaub in einem Wellness-Hotel, ein neues Auto, Designerkleidung. Alles, was ein Frauenherz begehrt. Bezahlt mit Geld, das er gar nicht hatte. Und ich verrate euch eins, diese Frau hier hat einen sehr teuren Geschmack." Sie drückte Leonora kurz an sich, um die sie noch immer einen Arm gelegt hatte. Wie erstarrt stand sie da und sah zu ihrem Mann, den sie mit ihrem Blick an seinem Platz hielt.

Schließlich ließ Cathrine Leonora los und drückte auf den Klicker in ihrer Hand, um die nächste Folie aufzurufen. Dieses Mal war der Scan eines Dokuments zu sehen, auf denen viele Zahlen standen. Auf dem Briefkopf prangte das Emblem der Firma, für die Johannes arbeitete.

„Das sind jetzt ziemlich viele Zahlen und ein wenig kompliziert, weshalb ich mal kurz erkläre, was das hier ist", fuhr sie im Plauderton fort, „Dieses Dokument beweist, dass Johannes Miesbeck Geld von seiner Firma unterschlägt. Er bestiehlt seine Aktionäre, um den teuren Lebensstil seiner Frau zu finanzieren. Insgesamt geht es hier um 1,1 Millionen Euro, von denen er vermutlich schon jeden einzelnen Cent ausgegeben hat. Widersprich mir ruhig, Johannes, wenn ich mich irre."

Erneutes, kollektives Raunen. Johannes Schultern sackten nach unten und auf einmal war von seiner beeindruckenden Ausstrahlung nicht mehr viel übrig. Schließlich riss er sich endlich aus seiner Starre und kam auf die Bühne. Doch statt auf Cathrine loszugehen, wie sie es eigentlich befürchtet hatte, ergriff er die Hand seiner Frau und zog sie aus dem Scheinwerferlicht.

Cathrine blieb alleine im Lichtkegel zurück. Lässig drehte sie sich wieder ihren ehemaligen Klassenkameraden zu. Falls das überhaupt möglich war, war es noch stiller geworden. Keiner versuchte sie aufzuhalten. Seit jeher lechzte die Gesellschaft förmlich nach Skandalen. Sie waren unterhaltsam und wurden gerne gehört. Vorausgesetzt sie betrafen nicht einen selbst.

Monte ChristoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt