Kapitel 4. - Dürre

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„Ich dachte du wärst tot.“ Salomea nippte an ihrem Becher voll süßem Wein und schaute auf den kalten Steinboden. „Das wäre ich auch, wenn ich Horka nicht hätte.“, antwortete Zacharas kühl. Horka war sein Langschwert, geschmiedet aus feinstem Stahl und gesegnet von den Gläubigen der Koshari.

„Die Krostoxs griffen uns an als wir gen Westen wanderten um Nahrung zu suchen. Ich habe dir doch von Ranster erzählt?“, fragend hob er seine dichten Augenbrauen. „Der Botschafter?“ entgegnete das Mädchen unsicher. „Genau. Er sagt, im Westen gäbe es hundert von Hirschen, so groß und fett, dass wir Jahre davon leben könnten!“ Der Krieger stand auf, um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Sein dichter Bart sah aus wie Busch voll schwarzer, geflochtener Dornen und wackelte hin und her wenn er seinen Kopf bewegte. „Du weißt, dass es immer wärmer wird. Du hast es gesehen, mit deinen eigenen, hübschen Augen. Wir können hier nicht bleiben. Die Pflanzen vertrocknen. Das Fleisch wird knapp. Wenn das Wild flieht, sterben die...“ „Kinder.“, beendete Salomea kühl. „Du sprichst schon wie einer der Seelenlosen. Das gefällt mir nicht. Ihre Hirne sind weich und ihr Verstand verschwunden.“

Das Mädchen kannte die Namenlosen. Ein Volk von Menschen, die kein Zuhause mehr hatten. Kinder, die keine Familie mehr hatten, da sie von den Krostoxs oder anderen Wilden abgeschlachtet wurden. Niemand in diesem Dorf gehörte zusammen, sie alle waren Flüchtlinge.

„Wovor fliehen sie?“ fragte die kleine Shani, ein Kind der Bronkens, eines Abends verdutzt, als die Weise Elspeth ihr von dieser Geschichte erzählte. „Vor der Vergangenheit, mein Stern.“ entgegnete die alte, graue Frau ihr voller Verdruss.

Salomea saß am Kamin, ihren Leib in ein Lammfell gewickelt, während die Holzscheite im Feuer knisterten und knackten. Ihr Krieger, Zacharas, stand am offenen Fenster, seinen nackter Oberkörper angespannt. Nervös zupfte er an seinem Bart herum. „Wir müssen weiter ziehen. Welche Wahl bleibt uns sonst noch?“ Das durfte nicht sein. Nein. Es war unvorstellbar. Der Clan der Koshari hatte sein Dorf stets in den Wäldern des Südens. „Nein. Wir können nicht...“ „Willst du sterben?“, unterbrach er sie barsch und zornig. Verlegen senkte sie den Kopf. Sie schämte sich. Wie konnte sie ihm, ihrem Löwen, nur widersprechen? Still stolzierte er an den Sessel aus rotem Samt, auf dem seine Ehefrau saß und ging vor ihr in die Hocke. Mit strengem Griff umfasste er ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. „Ich wiederhole: willst du sterben?“ Seine Stimme wurde immer grober. „Nein...“, murmelte sie, schaute erneut auf den Boden und versuchte seinen Blicken zu entweichen. Neunzehn Jahre war sie alt, doch trotzdem stur wie ein kleines Kind.

Ihr Haar rann über ihren Rücken wie ein roter Wasserfall, schmiegte sich an ihren Körper wie ein Seidentuch, welches in Flammen steht. „Morgen werde ich unserem Dorf meine Pläne verkünden. Wir haben Verbündete im Norden. Dort ist es kalt und Winter herrscht, doch es gibt genug zu jagen. Wildpferde, Karibus, Bisons...“ „Was sind Bisons?“, fragte Salomea vorsichtig. „Nun ja, wie soll ich das erklären? Sie sehen aus wie riesige, buckelige Rinder, mit dunklem Fell und zwei Hörnern auf dem Schädel.“ „Eine Kuh mit Hörnern?“, das Mädchen zog eine ungläubige Miene. „So ähnlich.“ Ihr Krieger lachte. Sie vergötterte sein Lachen. Grinsend sprang sie auf und warf sich auf ihn, raufend und voller Konzentration ihren Riesen zu Füßen zu ringen. Als sie keuchend auf dem harten Steinboden lagen, trafen sich ihre Blicke.

Sie verliebten sich, erneut. Immer wieder verliebten sie sich. Sie verliebten sich, als sie sich das erste Mal trafen, auf der Wiese, unter dem Kirschbaum. Kleine Kinder waren sie, noch grün hinter den Ohren, nicht ahnend, dass sie einst Mann und Frau werden sollen. Sie verliebten sich, als Salomea ihm ihre Unschuld schenkte, und ihr Krieger bedankte sich, indem er so sanft war wie ein Handkuss und so zart wie ein Windhauch. Sie verliebten sich, als Zacharas’ Eltern am schwarzen Tod starben und seine Gattin stets bei ihm blieb, ihm Trost spendete und ihn an ihr Grab begleitete. Und auch heute verliebten sie sich, so stark als wäre es das erste Mal.

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