2. Kapitel

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Abwesend kaute ich auf den Chips herum, die ich mir mechanisch in den Mund stopfte. Linn plapperte nun schon geschlagene zwei Stunden durchgehend und ununterbrochen auf mich ein, während ich den Film verfolgte und laute Kaugeräusche machte.

'Naja wie ein echter Mädchenabend halt sein muss', dachte ich schon leicht genervt, konnte es jedoch nicht verhindern, dass sich meine Mundwinkel zu einem Grinsen nach oben zogen.

Eigentlich war ich ja recht froh, dass die lang ersehnten Sommerferien endlich begonnen hatten, aber zugegeben, ich vermisste Chris schon nach dem vierten Tag der Ferien. Weshalb ich mich etwas kitschig benahm, wie Linny meinte, denn ich versuchte, wie eine funktionierende Maschine zu Leben. Absurde Idee und mit der Zeit wurde es dann doch langweilig, wie ich mit Bedauern feststellen musste.
Endlich setzte Linn eine kleine Pause ein, als es im Film etwas spannender wurde. Ich verfolgte erstaunlich entspannt die Szene aus 'Mr and Mrs Smith' und schmiss die Tüte Chips auf das Sofa nebenan. Der Appetit war mir irgendwie vergangen und Übelkeit übermannte mich vom einen Augenschlag auf den Anderen. Ich hopste vom Sessel, schälte mich mühselig aus meinem Plüsch-Schlafsack und lief schnell ins Bad, um mich über der Kloschüssel zu übergeben.
Dies passierte mir seltsamerweise jetzt schon zum fünften Mal in den letzten vier Tagen, wie ich angewidert bemerkte. Keuchend sackte ich zu Boden und fühlte mich wie ein Häufchen Elend: hässlich und zerbrechlich. Tatsächlich kam Linn irgendwann leise ins Bad getapst, was ich jedoch nicht bemerkte in meiner Übelkeit. Als ich meinen Kopf hob, sah ich, wie sie mich mitleidig anschaute.

"Was ist denn los mit dir zurzeit?", fragte sie und fuhr sich besorgt mit der Hand durch das strohblonde Haar.

Schulterzuckend bespritzte ich mein Gesicht mit kaltem Wasser, doch ich spürte ein erneut unangenehmes Drücken in der Magengegend, bückte mich zur Kloschüssel und übergab ich mich abermals. Das war jetzt wirklich zu viel des Guten. Ich raffte mich wieder auf, spülte kräftig meinen Mund und kämmte mir durch die Haare, nachdem ich mein inzwischen glühendes Gesicht mit Wasser gekühlt hatte.

"Die Chips können es wohl kaum gewesen sein...", überlegte sie laut und betrachtete mich stirnrunzelnd.

Sie sah dabei wie immer sehr hübsch aus, was man von mir im Moment nicht behaupten konnte. Ich zuckte erneut mit den Schultern, um auf ihre Feststellung zu antworten. Sie legte einen Arm um mich und führte mich in das gemütliche Wohnzimmer.

"Setz' dich", sagte sie und drückte mich sanft auf das Sofa.

Eine viertel Stunde später saß ich im Auto ihrer Mutter, welche mich besorgt anschaute und mir über den Kopf streichte.

"Am besten geht ihr morgen früh mal zum Arzt, du und deine Mom", riet sie mir und ich nickte gehorsam.

Zu etwas anderem war ich ja eh nicht mehr imstande. Sie setzte mich vor unserem Gartentor ab und ich lächelte ihr dankbar zu. Ich war noch nicht mal richtig durch unsere Haustür getreten, da nahm meine Mom mich in den Arm und streichelte mir den Rücken. Ich verstand jedes Zeichen, dass sie mir gab, da ich mit meiner taub-stummen Mutter aufgewachsen war. Mit den Händen gab ich ihr Bescheid, was los war und sie lächelte mich mitfühlend an. Nachdem sie mir ein Glass Wasser in die Hand gedrückt hatte, ging ich hoch in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett setzte, das mit vier Seilen an der Decke befestigt war und es schaukelte sachte. Ich leerte das Glas in einem Zug und stellte es auf meinen Nachttisch. Ohne die Kleider abgelegt zu haben, döste ich sofort ein vor Erschöpfung, immer noch einen seltsamen Geschmack im Mund.

RoofwalkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt