4.Kapitel

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Als ich die Augen wieder öffnete, war es verdammt kalt um mich herum und es windete sehr stark. Ich begann unbewusst mit meinen Zähnen zu klappern, doch merkwürdiger Weise war es unter mir erstaunlich warm und bequem, statt kalt und hart.

Was war passiert? Wo war ich?!

Diese und noch viel mehr Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, der langsam zu dröhnen begann . Ich drehte das Gesicht leicht zur Seite und musste erstmal ein paar Male blinzeln, um mir sicher zu sein, dass ich nicht immer noch träumte oder womöglich auch noch Halluzinationen bekam. Ich schaute in ein sonnenverwöhntes Gesicht, schwarze Haare und stahlblau leuchtende Augen, die einen in ihren Bann zogen. Perfekt weiße Zähne blitzten auf und ich merkte erst, dass ich ihn schon sehr lange angestarrt haben musste. Ich räusperte mich verlegen, setzte mich hastig auf und stellte fest, dass ich die ganze Zeit auf seinem Schoß gelegen haben musste. Die Röte stieg mir ins Gesicht und ich strich ungeschickt eine Haarsträhne hinters Ohr. Er sah wirklich göttlich aus und seine Ausstrahlung hatte etwas starkes, wildes.

"Willkommen im Club", sagte er und schaute auf einmal wieder ganz ernst.
"Du bist die nächste. Ich muss dich zu den anderen bringen." Ich stutze und dachte nach. Kannte ich ihn schon, oder wieso sprach er so selbstverständlich mit mir? Mir war nicht im geringsten klar, wer er war und zu wem er mich bringen wollte. Er bemerkte mein Zögern, hatte dafür jedoch nur sein typisches Grinsen übrig.

"Na komm schon, beweg dich!" Sagte er mit seinem niemals verschwindenden Lächeln. Mein ganzer Körper sträubte sich gegen seine Aufforderung. "Niemals. Bitte nicht. Das ist viel zu hoch!", flehte ich mit zittriger Stimme. Verständnislos schüttelte er den Kopf. Wer bist du überhaupt? Die Frage lag mir auf der
Zunge, doch irgendwas hinderte mich daran, sie auszusprechen.

"Du bist ab jetzt ein Roofwalker, da kannst du nicht mehr mit solchen Ausreden kommen", sagte er bestimmt.

Was wollte er damit schon wieder sagen? Er hielt mir seine Hand entgegen, doch ich ignorierte sie, stand auf und keuchte beim Anblick der Höhe.

"Kommt nicht in Frage!",flüsterte ich entsetzt und starrte in die Tiefe.
"Das sind gerade mal 20 läppische Meter, das ist doch gar nichts. Konzentriere dich! Wie hast du das heute Vormittag gemacht?"

Woher wusste er verdammt noch mal, was ich diesen Vormittag getan hatte?!

Ich zuckte mit den Schultern, doch dann versuchte ich mich daran zu errinnern, während er anfing am Kiel des Daches entlang zu balancieren. Ich musste ihm Wohl oder Übel hinterher, so unlieb es mir wahr. Ich konzentrierte mich nun voll und ganz auf meine Füße und es war unerwartet schnell wieder da - mein Gleichgültigkeitsgefühl.

«Wie heißt du eigentlich, wenn ich das überhaupt fragen darf?», wollte ich wissen, endlich etwas mutiger geworden. Ich starrte ihm auf den Rücken.
Er hielt an und ich erwartete, dass er sich umdrehte, um meine Frage zu beantworten, doch dann sprang er über einen etwa zwei Meter breiten Spalt.

Mir blieb der Mund offen stehen, doch ich klappte ihn sofort wieder zu, als er zurückschaute. Er zog provozierend eine Augenbraue nach oben.

«Na komm, du kannst das! Das sind gerade mal zwei läppische Meter», zischte er mir zu. Ich schüttelte stur mit dem Kopf. Was verlangte er eigentlich von mir? Ich kannte ihn nicht einmal, sollte ihm aber irgendwo hin folgen. Womöglich war er ein Kidnapper und sah mich als sein nächstes Opfer... Ich schüttelte entschlossen den Kopf und warf diesen Gedanken aus dem Kopf. Ich wusste nicht wieso, aber ich vertraute ihm.

Ich versuchte, einfach nicht nach unten zu schauen, ging zwei Schritte zurück, rannte und sprang ab. Ehe mir klar wurde, was ich da gerade getan hatte, war ich schon drüben gelandet. Noch dazu recht elegant.

"Und wie heißt du jetzt?", fragte ich erneut und versuchte mich darin, cool zu wirken. Er stand einfach da und blickte ein bisschen verdutzt drein.

"Bei mir war die erste Landung etwas wackeliger", gab er zu und schüttelte den Kopf.

Grrrr, wieso lenkte er immer vom Thema ab?

"Na schön, wenn du es mir nicht sagen willst, dann macht es dir sicher nichts aus, wenn ich jetzt gehe", ich drehte mich langsam um und sprang zurück auf das andere Dach. "Jack!", rief er mir hinterher.

Ich blieb stehen.

«Ich heiße Jack», wiederholte er ungeduldig und ich drehte um, um wieder zu ihm zurück zu springen.

«Geht doch!», sagte ich zufrieden lächelnd und er schaute mich nachdenklich an. Einige Sekunden verstrichen und keiner sagte etwas.

Ich räusperte mich und er wendete den Blick ab. «Ich bin Liv», stellte ich mich ebenfalls vor. «Ich weiß...», murmelte er immer noch abwesend. Ich runzelte die Stirn. Woher wollte er das schon wieder wissen. Kurz herrschte bedrückende Stille. Er war es diesmal, der sich leise räusperte, um die Stille zu durchbrechen. Ich hielt den Mund, da ich wusste, dass ich keine Informationen aus ihm heraus bekam. Dann drehte er sich um und wir gingen weiter. Ich war es langsam leid, nicht zu wissen, wo wir hinwollten, doch ich blieb immer noch still.

RoofwalkerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt