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》I'll live forever.《

Den Tag darauf ignorierte Seokjin mich. Nun, er ignorierte mich nicht vollkommen, immerhin hatten wir noch ein Biologie-Referat fertigzustellen, allerdings gab er mir keine Chance, mit ihm über das, was am See zwischen uns gewesen war, zu reden. Sogleich blockte er ab oder lenkte das Thema zurück zu unserem Vortrag, der mich, zugegeben, einen Scheiß interessierte. Irgendwann gab ich es jedoch auf, weil es ihm wirklich unangenehm zu sein schien, und seitdem herrschte Funkstille.

Wir hielten nur noch unser Referat zusammen, danach trennten sich unsere Wege. Wenn sie überhaupt jemals gemeinsam verlaufen waren.

Seokjin hielt sich von mir fern, wich jeglichem Blickkontakt aus, zeigte mir die kalte Schulter. Aber das Schlimmste war, dass er jede einzelne Sekunde des Tages an Chung-hee klebte. Nicht ein einziges Mal sah ich ihn nicht bei seinem Freund, und das nervte mich ungemein.

Ich verstand es einfach nicht. Wieso blieb Seokjin bei ihm? Er wusste doch, dass ich Gefühle für ihn hatte. Dass er Chung-hee nicht bräuchte, um geliebt zu werden. Schämte er sich für unseren Kuss? Mochte er mich nicht so, wie ich ihn mochte? Aber warum hatte er meine Berührungen dann so sehnsüchtig erwidert? Das alles machte für mich keinen Sinn.

Diese Fragen und Zweifel und Sorgen quälten mich für die nächsten Tage und Wochen, ließen weder meinen Kopf noch mein Herz in Ruhe. Es tat weh, dass Seokjin weiterhin bei Chung-hee blieb, während dieser ihn immer noch schlug und würgte und ihm vermutlich noch viel Schlimmeres antat, dass es jede Nacht eine immense Qual für mich war, in den Schlaf zu gleiten.

Inzwischen hatten wir es Mai. Die Frühlingsferien lagen hinter uns, die Schule ging weiter, näherte sich langsam, aber sicher dem Jahresende. Das bedeutete, für die Klausuren und Tests zu lernen und sich noch einmal so richtig im Unterricht zu bemühen.

Jedoch nicht für mich. Dafür war einfach kein Platz.

So wie Seokjin an jedem seiner Atemzüge an Chung-hees Seite war, war er bei jedem meiner Atemzüge an meiner Seite. In Gedanken zumindest.

Meine Freunde hatten gemerkt, dass es mir in der letzten Zeit nicht gut ging. Natürlich wussten sie auch, dass das an dem Schwarzhaarigen und seinen Arschloch von Freund lag. Und so versuchten sie es immer wieder, mich von all dem Kummer in mir abzulenken. Denn dass ich Seokjin hinter mir lassen würde, stand außer Frage.

Mein Herz schien beinahe versessen auf ihn zu sein. Das war verrückt, das war mir klar. Aber so fühlte ich eben.

Es war dunkel, als wir im Bus saßen. Nicht, weil die Sonne zurzeit unterging, wobei sie das gerade sicherlich tat, sondern, weil tief hängende, schwere Wolken über der Stadt hingen und alles in ein kaltes Grau tauchten. Dicke Regentropfen klatschten gegen die Scheiben, hatten etwas Beruhigendes, wobei es gleichzeitig total ungemütlich war und ich nichts wie in mein Bett wollte.

Jimin und der Rest hatten mich heute nach der Schule zum Kino entführt; einer ihrer Versuche, meinen Kopf freizubekommen. Und tatsächlich hatte das für die knapp zwei Stunden dort sogar mehr oder weniger gut funktioniert. Doch sobald wir den Saal verlassen hatten, waren meine Gedanken ganz von selbst zurück zu Seokjin gerannt, dass ich nicht einmal mehr wusste, von was der Film, den wir geschaut hatten, eigentlich gehandelt hatte.

Schlimmer wurde mein inneres Chaos noch, als wir an der nächsten Bushaltestelle hielten. Denn dort erblickten meine Augen niemand Geringeres als Seokjin und Chung-hee.

Sofort schoss der altbekannte Schmerz durch meine Glieder, als ich die beiden dabei beobachtete, wie sie eng umschlungen, wahrscheinlich, um sich vor dem Regen und der Kälte zu schützen, unter dem Plexiglas-Dach der Bushaltestelle standen und zwischendurch ein paar leidenschaftliche Küsse miteinander austauschten.

"Was habe ich nur für ein Glück", murmelte ich abwesend. Mein Blick verharrte auf den Zweien, riss mich damit immer und immer mehr auf und brachte mich innerlich zum Bluten, dass ich das Gefühl bekam, in meinem Blut zu ertrinken.

Wie sie dort standen, sich küssten, in den Armen des anderen, die Welt und die Menschen um sich herum ignorierend. Ich sollte derjenige sein, der das mit Seokjin tat, nicht Chung-hee. Aber das Schicksal spielte nach seinen eigenen Regeln und in diesem Moment hasste ich es dafür.

"Oh shit, tut mir echt Leid, Namjoon", sagte Hoseok auf einmal. Verwundert sah ich zu ihm, er saß gegenüber von mir am Fenster, und bemerkte, dass er ebenfalls nach draußen guckte und somit wohl das Paar entdeckt hatte. Durch diese Aussage verharrten die anderen ebenfalls in ihrem Gespräch, schauten zu uns, bis auch der Letzte mitbekam, was Sache war.

Sie schienen nicht zu wissen, was sie sagen sollten, und, ganz ehrlich, es war mir egal. Nichts, was sie sagen würden, könnte die Wunden in mir drinnen heilen. Und so tat ich das, was ich in den letzten Wochen sehr gerne tat: Mich selbst noch mehr zum Leiden zu bringen, indem ich wieder zu Seokjin und Chung-hee guckte.

Anders als sonst wich der Schwarzhaarige jetzt allerdings nicht meinem Blick aus. Nein, viel mehr starrte er mir durch die mit Regentropfen benetzten Scheiben direkt in meine Augen, während seine Lippen auf Chung-hees lagen.

Im ersten Herzschlag wusste ich gar nicht, was geschah. Seokjin war mir so lange aus dem Weg gegangen, hatte sich komplett von mir ferngehalten, dass es mich überforderte, wie mich seine verzweifelt funkelnden Augen nun musterten. Sie schrien nach Hilfe, offenbarten mir erneut seine Verletzlichkeit, die er schon so lange zu Verbergen probierte.

Und dann wurde mir erst bewusst, warum er Abstand genommen hatte.

Er hatte Angst. Nicht, dass er nie wieder jemanden finden würde, der ihn begehren und lieben würde. Immerhin wusste er, dass ich das tat. Nein, er hatte Angst davor, Chung-hee zu verlassen, weil eine Trennung von solch einem Psychopathen wie dem Blauhaarigen sicherlich weit reichende Konsequenzen mit sich bringen würde.

Seokjin hatte stark bleiben wollen. Er hatte mich und sich selbst schützen wollen. Aber er konnte nicht mehr. Genau das erkannte ich in diesem Moment in seinen Augen.

Das reicht jetzt. Das kann nicht mehr so weitergehen.

Gerade als ich aufstand und mich zu ihm nach draußen begeben wollte, fuhr der Bus wieder los, dass ich zurück auf meinem Sitzplatz landete. Meine Freunde blickten mich ratlos an, doch ich vergaß sie, drückte mich sofort an die Scheibe und konnte nur noch dabei zusehen, wie sich der Bus immer schneller von der Haltestelle und somit auch von Seokjin entfernte.

𝐅𝐎𝐑𝐄𝐕𝐄𝐑 | NAMJINWo Geschichten leben. Entdecke jetzt