Kapitel 2

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Schluchzend werfe ich mich auf mein Bett und drücke mein Gesicht ins Kissen. Während dieses langsam unter mir nass wird, schreie ich immer wieder verzweifelte Worte gegen den Stoffbezug, bis ich keine Kraft mehr für irgendwas habe. Mein Vater hat mich zuvor noch nie geschlagen und ich weiß auch gar nicht, woher diese abweisende und kalte Art seit dem Tod meiner Mutter plötzlich kommt. Ich weine weiter und weiter, bis ich vor Erschöpfung irgendwann einfach einschlafe.

„Essen ist fertig! Wobei... bei deinem Körper würde ich mir das eher mal verkneifen" weckt mich die Stimme meines Vaters und ich höre, wie er einen Teller auf meinem Tisch abstellt. Ich blinzle verwirrt über die gesamte Situation in seine Richtung und setze mich langsam auf. „Denk mal darüber nach abzunehmen - vielleicht wirst du dann auch in der Schule dieses Mal beliebter" setzt er hinterher und verschwindet wieder nach draußen. Ich starre ihm erst schockiert hinterher, ehe ich seine Worte realisiere und sich wieder Tränen in meinen Augen sammeln. Ich stehe auf und schaue unsicher an mir runter. Für meine 163cm wiege ich mit 47kg eigentlich eh schon zu wenig, welche Stelle meines Körpers meint er denn? Letztendlich ist es mir auch egal, der Hunger ist mir dadurch sowieso vergangen. Ich gehe zu meinem Fenster und öffne es, lehne mich raus und beobachte die Wolken an Himmel, die über mir vorbei ziehen. Wie gerne wäre ich jetzt dort oben bei meiner Mutter und würde sie ganz feste umarmen - so fest, wie es nur geht. „HEY KOMM SOFORT RUNTER!" höre ich mit einem Mal die schreiende Stimme meines Vater. Panisch richte ich mich wieder auf und eile hektisch zur Tür und die Treppen nach unten. „WO SIND DIE 5€ HIN, DIE HIER LAGEN?" schreit er mir mit rot-zornigem Gesicht entgegen. „Ich... habe sie vorhin... mitgenommen... für essen..." stottere ich ängstlich, krame das Wechselgeld aus meiner Hosentasche und halte es ihm hin. Er schlägt meine Hand mit voller Wucht weg, hebt mich an den Oberarmen hoch und drückt mich mit aller Kraft an die wand. „UND WER HAT DIR DAS ERLAUBT?!" „papa ich.. was ist denn los?" fange ich erneut an zu schluchzen und versuche seine Hände um meine Arme weg zu bekommen, da er ziemlich fest und schmerzhaft zudrückt. Ich liebe meinen Vater über alles, wir hatten immer eine unglaublich schöne Vater-Tochter Beziehung, wie man es sonst nur aus einem Bilderbuch kennt. „DU LÄSST IN ZUKUNFT DIE HÄNDE VON ALLEM WAS HIER RUM LIEGT! HAST DU DAS VERSTANDEN?!" einzelne Spucketröpfchen landen in meinem Gesicht, während er mir die Worte ins Gesicht schreit. Ich kneife die Augen zusammen und nicke schnell, dass er mich wieder runter lässt. Er lässt mich los und verschwindet in sein Schlafzimmer. Ich sammle stumm weinend das Geld vom Boden auf und lege es zurück auf den Tisch, ehe ich mit schlurfenden Schritten nach oben gehe. Ich lege mich in mein Bett und komme dort auch für den Rest des Tages nicht mehr raus. Die restlichen zwei Wochen Ferien verlaufen letztendlich irgendwie jeden Tag gleich, wobei mein Vater immer impulsiver wird, mir weiterhin einredet, dass ich zu dick bin und mir keinen Ausgang gewährt, zudem trinkt er von Tag zu Tag mehr Alkohol.

„Hey Papa, ich mache mich jetzt auf den Weg zur Schule" begrüße ich ihn Montagmorgens am Tisch. Er sitzt zu meinem Erstaunen mit seinem Kaffee und einer Zeitung auf seinem Stuhl und nickt nur kurz. „Hast du... vielleicht... ein bisschen Geld für mich?" frage ich vorsichtig, aber er ignoriert mich. In den letzten 2 Wochen habe ich ganze 5 Kilogramm abgenommen, da ich kaum etwas zu essen von ihm bekomme. Völlig alkoholisiert und desinteressiert lässt es sich schließlich auch schlecht einkaufen. Fazit: Fast durchgängig tut mein Bauch weh, mein Gesicht ist blass und eingefallen, starke Augenringe zieren mein Gesicht. Meine sowieso schon viel zu großen Klamotten sind noch größer geworden und wenn ich ehrlich bin, habe ich riesige Angst vor meinem ersten Schultag. „Bis später!" verabschiede ich ihn und verlasse schlurfend das Haus. Als ich in der Schule ankomme, macht sich die Übelkeit vor Hunger immer stärker bemerkbar - unzählige Male habe ich mich in den letzten Wochen übergeben müssen aufgrund der Leere in meinem Magen. Ich betrete das Gebäude mit zittrigem Körper und suche mein Klassenzimmer. Ich bin zum Glück eine der ersten und somit werde ich immerhin nicht von allen Seiten komisch angezeigt, weil die Neue das Klassenzimmer betritt. Ich verziehe mich nach ganz hinten ins Klassenzimmer und starre auf meine Hände in meinem Schoß, während mit der Zeit immer mehr meiner Mitschüler den Raum betreten, wobei mich keiner wirklich beachtet. Erst als der Lehrer das Zimmer betritt, wird es ruhig um mich herum und alle setzen sich hin. „Guten morgen liebe 8A! Willkommen im neuen Schuljahr!" begrüßt uns der Lehrer gut gelaunt. Er scheint relativ jung und nett zu sein und ich frage mich, welches Fach wir wohl bei ihm haben. „Als allererstes möchte ich euch eure neue Mitschülerin Anna vorstellen. Anna ist in den Ferien hierher gezogen und ab heute in eurer klasse. Ich bitte euch, sie herzlich in eure klassengemeinschaft aufzunehmen und ihr alles zu zeigen" fährt er fort, wobei ich beschämt mein Gesicht senke, damit mich nicht alle anstarren können. „Desweiteren bekommt ihr jetzt als erstes mal eure Stundenpläne" beschließt er und fängt an, bedruckte DIN-A-4 Blätter zu verteilen. Montag morgens um 8 Uhr steht Englisch bei Herr Müller auf dem Plan. Dann wird er wohl auch zuständig für dieses Fach bei uns sein. In der Klasse bricht wieder munteres Geplapper aus, da sich jeder mit seinem Sitznachbarn und Freunden über die Stundenpläne austauschen möchte. Ich beobachte meine Mitschüler unauffällig und warte, dass Herr Müller mit seinem Unterricht fortfährt. „So. wie ihr wisst, muss jede achte klasse bei uns an der Schule einen erste-Hilfe-Kurs machen in Vorbereitung auf das zweiwöchige Praktikum am Ende des Jahres. Der Kurs findet am Mittwoch und Donnerstag statt" verkündet er uns zuletzt, eher er mit seinem Unterrichtsstoff anfängt. Gedankenverloren versuche ich dem Unterricht zu folgen, wobei der Erste-Hilfe-Kurs mein Interesse geweckt hat. Durch die Krankheit meiner Mutter habe ich schon viel aus der Medizin mitbekommen und gelernt, sodass es auch mein größter Wunsch ist, selber irgendwann einmal Ärztin zu werden und anderen Menschen zu helfen. Hoffentlich kenne ich nur meine Mitschüler bis zum Kurs etwas besser!

Wenn aus Freundschaft Liebe wird (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt