Chapter 1

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Chapter 1

Verärgert schnaubte ich, während ich mit Schwung die Tür hinter mir zuschlug. Warum war er überhaupt mitgekommen, wenn ihm das alles zu langweilig war, wenn ich ihm zu langweilig war? Ich machte mir nicht die Mühe mir selbst auf diese Frage zu antworten. Es war offensichtlich warum, aber nur weil wir in einer fremden Stadt waren, alleine, hieß das nicht, dass ich mich ihm plötzlich hingab. Es hatte sich nichts daran geändert, dass ich nunmal noch nicht bereit dazu war, mich ihm so verletzlich gegenüber zu zeigen, und auch wenn ich es ihm lieber verschwieg, ich war mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher ob ich ihn als meinen Ersten haben wollte. Ich hatte sogar eher Zweifel daran, dass das mein Wunsch war, und zwar nicht gerade wenige.

Ich schlüpfte in meine Boots, die ich gerade erst vor zehn Minuten vor die Wohnungstür gestellt hatte, bevor ich mich umwandte und die eine Treppe bis zur Haustür runter eielte. Gerade wollte ich einfach nicht mehr mit ihm weiter diskutieren. Als ich am Flurfenster vorbei ging sah ich etwas rotes im Augenwinkel aufblitzen und blieb stehen, um genauer nachzusehen, was es war. Doch als ich aus dem Fenster sah, auf der Suche nach dem unnatürlich grellen Rot, fand ich nichts vor außer den grauen Fassaden der umstehenden Häuser. Hab ich es mir nur eingebildet? Oh man, ich sollte vielleicht mal wieder richtig schlafen.

Seit ich gehört hatte, dass es meiner Gran nicht gut ging konnte ich nicht mehr richtig schlafen. Ungeduldig hatte ich die letzten Arbeiten meines Kunststudiums geschrieben, um so schnell wie möglich zu ihr fahren zu können. Statt mit meiner Mom und mir weiterhin in Seattle zu wohnen und dort ihr Leben ausklingen zu lassen, war sie in einen kleinen Ort namens Derry in Maine gezogen, wo sie aufgewachsen war. Soweit ich weiß waren sie und meine Urgroßeltern nach dem Verschwinden eines Kindes weggezogen, aber Gran erinnerte sich kaum noch daran. Seit sie dort wohnte, hatten wir kaum noch Kontakt gehabt, bis meine Mutter mich eines Tages anrief und berichtete, dass es ihr anscheinend nicht gut ginge und ich mich ja vielleicht um sie kümmern könnte, wo sie doch meine Großmutter väterlicherseits war, ihre Betonung lag dabei auf Vater.

Seit er uns früher verlassen hatte, wollte meine Mom nichts mehr mit Dingen zu tun haben, die sie mit ihm verbanden, selbst mich hatte sie quasi abgeschoben. Ich war bereits mit 15 selbst jobben, um mir mit 17 eine eigene Wohnung ermöglichen zu können, unterstützt hatte meine Mom mich nicht mal mit Worten. Aber naja wenigstens hatte sie mir von Gran erzählt, sodass ich die nötigen Maßnahmen ergreifen konnte, um ebenfalls nach Derry zu ziehen und mich um meine Gran kümmern zu können. Dass Patrick, mein fester Freund, mitgekommen war, war eher ungeplant und spontan gewesen. Genauer gesagt hatte ich nicht mal was von diesem Teil des Planes gewusst, bevor er am Morgen des Umzugstages mit einem gepackten Rucksack und einem schiefen Grinsen vor meiner Tür stand und darauf bestand mich zu begleiten. Was heute, vor circa 12 Stunden der Fall gewesen war.

Nun war es bereits früher Abend, ich hatte Granny gesehen und überraschenderweise sah sie besser aus als erwartet. So wie meine Mom mir von der Lage erzählt hat, hatte ich mit einer knochendürren Frau im Sterbebett gerechnet. Aber nein, Granny war pummelig und warm und kuschelig wie ich sie in Erinnerung hatte, nur der Ausdruck des Entsetzens als sie mir die Tür geöffnet hatte, war mir noch nie unter die Augen gekommen. Noch bevor ich sie fragen konnte, wie es ihr ging, hatte sie darauf bestanden, dass ich umkehre und das Städtchen so schnell wie möglich wieder verlasse. Natürlich hatte ich kein Stück auf sie gehört und mich an ihr vorbei gedrängelt, gefolgt von Patrick, der die ganze Fahrt förmlich gesummt hatte mit überdeutlicher Begeisterung. Keine Ahnung womit er gerechnet hatte.

So bin ich also hier gelandet, in Derry, einer eher trostlosen schlichten Kleinstadt, wo jeder sich beim Namen kannte. Und der Teil der Stadt in dem meine Gran wohnte, war grau. Und gerade als ich aus dem Fenster blickte, waren nicht nur die Fassaden grau, nein, um genauer zu sein, war alles grau und dunkel. Die Straße, Häuser und seit wir hier waren, der Himmel. Der Ort wirkte geradezu düster, als läge ein Sturm nahe. Es war Gänsehaut bringend.

Seufzend schüttelte ich den Kopf und stieg den Rest der Treppe runter und weiter nach draußen auf den gepflasterten Gehweg.
Frustriert stieß ich die Luft aus und blickt nach rechts und links, doch weit und breit war niemand da. Ach stimmt ja, die Ausgangssperre würde in Kürze beginnen. Warum in so einem kleinen Ort eine Sperre nötig war, war für mich unverständlich aber naja, ich komme nicht von hier, also behalte ich das mal lieber für mich. Einen Hintergedanken musste es ja haben. Langsam fing ich an die Straße runterzulaufen, in Richtung Stadtmitte, soweit ich wusste, sollte meine Orientierung noch richtig funktionieren, und schaute meinen Füßen zu, wie sie bei jedem Schritt den Boden verließen um mit einem Knirschen wieder aufzukommen.

Ein leises Zischen riss mich aus meinen Gedanken und ruckartig hob ich den Kopf. Ein paar Meter entfernt von mir, schwebte ein roter Ballon. Diesen hatte ich wahrscheinlich eben im Treppenhaus gesehen. Langsam und zischend trudelte er auf mich zu, sank langsam in sich zusammen und erst als er nur noch ungefähr einen Meter von mir entfernt war, wurde mir klar, dass ihm langsam die Luft ausging, dem Zischen nach zu urteilen. Zögernd streckte ich meine Hand nach ihm aus, doch kurz bevor meine Fingerspitzen, ihn auch nur streifen konnte, sank er vor meinen Augen zu Boden. Ein paar Momente lang betrachtete ich den Haufen kaputtes blutrotes Plastik, denn je länger ich drauf schaute, desto deutlicher wurde mir die Ähnlichkeit der Farbe zur Flüssigkeit in meinen Adern klar.

Ich sah vom Boden auf und blickte mich um, zuckte aber zusammen, als ich einen zweiten roten Luftballon hinter mir entdeckte. Schnell huschte meine Hand zu der Stelle über meinem Herzen und ich atmete langsam aus. ,,Puh, hast du mich erschrocken.'' Langsam senkte ich meine Hand wieder und legte den Kopf schief, während ich das Objekt vor mir betrachtete. Er hatte die gleiche Farbe wie der erste, nur dieses mal war eine silberne Schnur an ihm befestigt, die nur wenige Zentimeter vor mir hin und her schwang, mich provozierte nach ihr zu greifen. Ich blickte mich erneut um, dieses mal auf der Suche nach der Quelle der Ballons, denn ich war mir sicher, der zweite war zuvor auf jeden Fall noch nicht da gewesen. Trotzdem entdeckte ich nichts, weshalb ich mit den Schultern zuckte und nach dem Band griff.

Leicht schien sie in meiner Hand zu vibrieren und mit einem kleinen Ruck zog ich die Schnur nach unten sodass der Ballon leicht vor mir hoch und runter wippte, was ein leichtes Lächeln über meine Lippen huschen ließ. Leicht drehte sich der Ballon, sodass ich sehen konnte, dass auf der Rückseite etwas geschrieben stand. ,,Hm?'' Wieder zog ich die Schnur runter, langsamer dieses mal, sodass ich ihn mit beiden Händen greifen konnte, bevor er nach oben hin wegflog. Gerade als ich den Ballon zwischen meinen Fingern drehen wollte, tat er dies von ganz alleine, was wieder einmal eine Gänsehaut auf meinen Armen verursachte, war es doch vollkommen windstill in diesem Augenblick. Langsam kam Buchstabe für Buchstabe in Erscheinung und als schließlich der ganze schwarze Schriftzug zu sehen war, hielt er inne.

,,Willkommen in Derry <3'', las ich leise und wie auf Kommando drehte der Luftballon sich wieder weiter zur blanken Seite, nur dass diese jetzt nicht mehr leer war, sondern von zwei weiteren Worten geschmückt wurde. ,,Süße Dakota.''

Beneath The Drain || p.w.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt