Kapitel 6

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Die Laune meiner Schwester hatte Sonntag mal wieder einen Tiefpunkt erreicht. Bei jeder Kleinigkeit zickte sie genervt rum. Meine zerzausten Haare nach dem Aufwachen, mein schlürfen der Milch beim Frühstück oder Krümel auf dem Wohnzimmertisch, zu allem musste sie einen Kommentar ablassen. Zum Glück war sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer, sonst hätte es richtig gekracht zwischen uns beiden.

Auch wenn ich mir schon denken konnte, warum sie so schlecht gelaunt ist, fragte ich trotzdem meine Mutter.

"Meine Güte, was ist denn mit Laura heute schon wieder los? Hat die schlecht geschlafen oder was?"

"Ja so könnte man das auch sagen." erwiderte meine Mutter mit einem Lächeln, während sie das Mittagessen kochte.

"Laura macht gerade eine etwas 'angespannte' Zeit durch. Die Klausurphase geht bald wieder los und sie hat noch ein paar Hausarbeiten zu schreiben. Das ist einfach ziemlich viel Stress gerade für sie. Sei bitte nett und provoziere sie nicht unnötig. Das geht schon wieder vorbei." ermahnte mich meine Mutter dann schließlich doch noch.

Beim Abendessen ist es dann doch eskaliert. Ich hatte die Gereiztheit und die schlechte Stimmung von Laura wohl etwas unterschätzt. Ich konnte mir den Kommentar aber einfach nicht verkneifen, als Laura aus Versehen ihr fast leeres Wasserglas umfiel und ihr das Wasser auf die Hose floss. Aber es stimmt doch, vielleicht sollte sie wirklich lieber aus einer Schnabeltasse trinken.

Laure fand das gar nicht witzig und fing plötzlich an mich als kleines Kind zu beschimpfen, das den ganzen Tag nur Trickfilme schaut und rumgammelt. Mama ging dann deeskalierend dazwischen und verbannte uns beide auf unsere Zimmer.

Auch wenn ich morgen früh wieder zur Schule muss, Lauras verhalten und Worte konnte ich nicht einfach so hinnehmen. Ich stellte mir den Wecker wieder auf 2 Uhr und machte mich Bettfertig.

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Am nächsten morgen war ich dann ganz gerädert und verschlafen. Mitten in der Nacht aufstehen, um meiner Schwester eine Lektion zu erteilen, klang gestern Abend nach einer guten Idee. Wenn man dann aber am nächsten Morgen früh aufstehen muss, um in die Schule zu gehen, sieht das dann plötzlich ganz anders aus.

Wie jeden Montag schlief Laura noch tief und fest, als ich mich für die Schule fertigmachte. Sie hat da immer eine Stunde später und kann ausschlafen. Heute kam sie nicht freudestrahlend zum Frühstück, wie letzte Woche. Und ich wusste auch warum. Zu gern hätte ich ihr Gesicht beim aufwachen gesehen, aber ich musste leider schon los.

Ich war den ganzen Tag in der Schule total verschlafen und gar nicht richtig aufnahmefähig. Wenigstens hatten wir kurzfristig die letzten zwei Unterrichtsstunden Ausfall, da unser Biolehrer krank war.

Als ich nach Hause kam, stand das Auto meiner Mutter und das Fahrrad von Laura schon da. Das war etwas merkwürdig, da die beiden meist erst nach mir nach Hause kommen, wenn ich Montags normal unterricht habe.

Laura schien in ihrem Zimmer zu sein, da dort laute 'depri' Musik lief. Im Wohnzimmer traf ich dann auch gleich auf meine Mutter.

"Hallo, warum seid ihr beide denn schon da?" fragte ich, während meine Mutter überrascht und hektisch die Broschüre zu klappte, die sie gerade eben noch mit einem sorgenvollen Blick gelesen hat.

"Oh, du bist ja schon da?" erwiderte sie und verdeckte mit ihrer Hand unauffällig das Titelbild der Broschüre.

"Ja, Herr Meyer war krank, darum hatten wir heute kein Bio."

"Laura ging es heute morgen nicht so gut, und da hab ich mir kurzfristig einen Tag frei genommen und bin mit ihr zum Arzt." antwortete meine Mutter und ließ dabei die Broschüre zwischen den Zeitungen auf dem Wohnzimmertisch verschwinden.

"Hätte ich das gewusst, hätten wir mit dem Mittagessen noch auf dich gewartet. Soll ich dir noch schnell die restlichen Nudeln warm machen?" fragte meine Mutter und ging bereits eilig Richtung Küche, ohne wirklich auf eine Antwort von mir zu warten.

"Ich muss nur noch schnell was zu Laura hochbringen, das ihr der Arzt verschrieben hat." erzählte meine Mutter weiter und verschwand in der Küche.

"Ja, OK." antwortete ich, während sie mit einer großen Tüte aus der Küche kam und die Treppe hinauf lief.

Neugierig durchsuchte ich die Zeitungen auf dem Tisch, um die Broschüre zu finden, die meine Mutter versteckt hatte. Während sie und Laure oben irgend etwas leise besprachen, fand ich schließlich die Broschüre und konnte meinen Augen kaum trauen:

"Bettnässen bei Erwachsenen - Was steckt dahinter?"

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