Gedanken

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Tim
Jans Blick strahlte so viel Liebe und Glück aus, dass es sich für einen kurzen Moment so anfühlte, als könnte ich einfach aufstehen, mich zu ihm rüber lehnen und ihn küssen. Doch ich war wie gelähmt. Mein Körper hörte nicht auf mich, als wäre eine automatische Kindersicherung eingebaut, die solche Aktionen verhindert. Aber es war keine automatische Kindersicherung, wurde mir plötzlich klar. Es war das Verbot, dass ich meinem Körper in all den Jahren wieder und wieder erteilt hatte, obwohl er sich schon so lange danach sehnte, Jan nahe zu sein.

Ich senkte den Blick und auch Jan schaute wieder auf sein Handy. "Hä, wieso hast du mich heute Nacht zweimal angerufen?", fragte er plötzlich. Ich erzählte ihm kurz, was passiert war, nachdem er den Anfall gehabt hatte, verschwieg dabei aber, wie verzweifelt ich wirklich gewesen war. Ich war noch nicht bereit, darüber zu sprechen, ich hatte es ja selbst noch nicht einmal richtig verarbeitet. Außerdem wollte ich nicht, dass er ein schlechtes Gewissen oder Mitleid hatte. Aber das hatte er natürlich trotzdem: "Oh Mann, das muss ja echt schrecklich gewesen sein! Tut mir Leid!", sagte er bestürzt. "Ach Quatsch, du kannst doch nichts dafür. Es tut MIR aber Leid, weil ich dich zu der ganzen Sache überredet habe, obwohl ich hätte wissen müssen, dass es zu viel ist.", antwortete ich und sah ihn schuldbewusste an. Zum Glück sah er das anders.

Wir unterhielten uns noch eine Weile. Jan las ein paar seiner Glückwunsch-Nachrichten vor, wir freuten uns gemeinsam darüber und überlegten uns lustige Antworten, wobei Gisela uns sehr kreativ unterstütze. Dadurch kam wieder diese „Wir tun so als wären wir ein frisch verliebtes Ehepaar"-Stimmung auf und wir flirteten scherzhaft. Das fühlte sich so gut an! Irgendwann bemerkte ich aber, dass Jan wieder müde wurde und sagte: "Ich muss auch langsam mal los und uns ein Hotel suchen, nicht dass wir heute Nacht wieder irgendwo klingeln müssen... Ruh dich am besten noch ein bisschen aus, ich hol dich dann nach dem EEG ab." "Ok, danke", antwortete er erschöpft. "Na klar, mein Schatz", sagte ich grinsend, während ich aufstand und ihm zum Abschied einen Kuss auf die Stirn gab, "Hast du irgendwelche speziellen Wünsche für das Hotel?"
"Nein, alles gut. Ich brauche jetzt erstmal nur ein gemütliches Bett und dich... "
Ich lachte auf und als er bemerkte, wie das geklungen hatte, fügte er schnell hinzu: "... und vielleicht einen Fernseher, damit uns nicht langweilig wird." Aber es war zu spät. Ich lachte noch mehr und antwortete mit einem Zwinkern: "Uns wird bestimmt nicht langweilig!"

Jan
Mit diesen anzüglichen Worten verließ Tim der Raum. Ich grinste in mich hinein. Jetzt musste ich erstmal meine Gedanken sortieren. Das war gar nicht so einfach mit so viel Verliebtheit im Kopf. Ich war mir also sicher, dass Tim meine Gefühle erwiederte, aber bedeutete das automatisch, dass er auch sexuell an mir interessiert war? "Ha, gay!", rief Gisela in den leeren Raum hinein. Er war doch heterosexuell, zumindest hatte er nie etwas anderes gesagt. Und mir hätte er es doch gesagt! Vielleicht war es doch alles nur Spaß für ihn? Also die Gefühle sicherlich nicht, aber die sexuellen Anspielungen vielleicht? Ich war verwirrt, denn ich war vorher nie auf die Idee gekommen, Tims Sexualität zu hinterfragen. Dass er auf Frauen stand wusste ich ja, aber das bedeutete natürlich nicht automatisch, dass er nicht auch auf Männer stand. Ich konnte ihn mir aber nicht beim Sex mit Männern vorstellen, das wirkte irgendwie falsch. Außer natürlich beim Sex mit mir, das konnte ich mir gut vorstellen und hatte es in meiner Verzweifelung auch schon ab und zu getan, erinnerte ich mich beschämt lächelnd. Doch der Gedanke, dass nun tatsächlich die Chance bestand, dass diese Fantasien demnächst wahr werden könnten, machte mir Angst. Vielleicht wäre es auch einfach richtig unangenehm und peinlich und würde unsere Freundschaft für immer zerstören. Panik stieg in mir auf, aber ich atmete tief durch. Ich wollte diese Angst nicht haben, ich wollte wieder mutig sein, so wie als ich entschieden hatte, diese Reise zu wagen. Im Nachhinein betrachtet war die Entscheidnung zwar leichtsinnig und dumm gewesen, aber sie fühlte sich irgendwie trotzdem nicht falsch an. Ich war froh, hier zu sein, und neugierig, was diese Reise noch mit sich bringen würde. Außerdem konnte ich es kaum erwarten, endlich mit Tim allein im Hotel zu sein und diese neue Stimmung zwischen uns weiter zu erforschen.

Das VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt