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Kapitel 4

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 „So sieht man sich wieder. Wie klein die Welt doch ist", sagte Aiden munter, als er sich auf den Stuhl neben mir plumpsen ließ.

„Ja, erschreckend", gab ich schroff zurück und lehnte mich mit verschränkten Armen nach hinten, was er allerdings nur mit einem amüsierten Augenzwinkern quittierte.

Wenn er jetzt davon ausging, dass ich mit ihm Smalltalk führen würde, hatte er sich aber gewaltig geschnitten.

Mit mürrischen Blick verfolgte ich Carter, der sich genervt auf einen Platz etwas weiter vorne setzte.

„Hey, Charlotte heißt du doch, oder?"

Mit hochgezogener Augenbraue wandte ich den Blick zu Aiden und setzte mich wieder aufrecht auf.

„Charlie", nuschelte ich und sah wieder weg. Ich konnte es nicht leiden, wenn jemand mich Charlotte nannte und war froh, dass niemand außer meinen Eltern es tat. Ab und zu nannte unsere Haushälterin Mary mich so, wenn sie sauer war.

„Was?", fragte Aiden, der kein Ton vom Gesagten verstanden hatte und mich fragend musterte. Der Blick seiner stechend grünen Augen bohrte sich regelrecht in mein Fleisch und ich könnte schwören, dass mein Herz in diesem Moment stehen blieb.

„Charlie. Ich heiße Charlie", wiederholte ich deutlicher.

„Charlie also", murmelte er und setzte ein verführerisches Lächeln auf die Lippen.

Ich sah einfach wieder weg.

Keine Ahnung, was er gerade bezwecken wollte, aber ich konzentrierte mich lieber auf den Unterricht, der von Mrs Matthews bereits begonnen worden war.

Gerade teilte sie Arbeitsblätter mit Auszügen von Theodor W. Adornos Minima Moralia aus, die wir unter der Klasse besprechen sollten.

Eigentlich war ich nicht die geborene Philosophin, doch da man Adornos Werke durchaus als modern bezeichnen konnte und sie somit einfach zu lesen und verstehen waren, konnte ich mich in einigen Zitaten sogar identifizieren.

Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.

Sollte ich mir merken, mir gefiel dieses Zitat.

Ich ignorierte Aiden, der weiterhin ständig versuchte, meinen Blick einzufangen, doch irgendwann nervte mich sein ständiges Räuspern so sehr, dass ich mich stöhnend zu ihm umdrehte.

„Kannst du bitte aufhören, irgendwelche komischen Geräusche zu machen? Ich würde mich gerne auf den Unterricht konzentrieren!"

Überrascht, über meinen Ausbruch, sah er mich erstmal verdutzt an, dann schlich sich wieder ein Grinsen auf seine Lippen.

„Mir gefällt dein Stöhnen."

Ich glaubte, ich spinne. Der hat sie doch nicht mehr alle! Meine Sprachlosigkeit nutzte er und beugte sich langsam zu mir vor.

„Es gefällt mir wirklich sehr", raunte er in mein Ohr.

Oh Gott mir wurde schlecht.

Ich wollte ihn wütend wegschubsen und – wären wir nicht im

Unterricht - hätte ich das vermutlich getan, doch leider hatte mein Gehirn aufgehört, auf meine Befehle zu hören.

Stocksteif saß ich da und glotzte Aiden an, als wäre er ein Alien. Er lehnte sich wieder ein Stück zurück und wanderte mit seinem Blick an mir herab. Erst, als er bei meinem Ausschnitt hängen blieb, machte es bei mir klick.

„Ey, spinnst eigentlich völlig?!", fuhr ich ihn aufgebracht an und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

Hätte ich bloß mal einen Pullover anstatt der Bluse angezogen.

Aiden runzelte die Stirn und sah ganz so aus, als müsse er sich ein Lachen verkneifen. Er war wahrhaftig der größte Affe von Typ, der mir jemals begegnet war!

Mit seinen verwuschelten Haaren, die aussahen, als wäre er gerade eben erst aufgewacht, und den giftgrünen Augen, die mich an chemischen Müll erinnerten und ... und ... ach, er war einfach kacke!

Während ich innerlich brodelte, wurde es um mich herum plötzlich ruhiger und ich verstand, wieso Aiden voll idiotisch und schadenfroh vor sich hin grinste.

Ich hatte das etwas zu laut gesagt.

Manche sahen amüsiert, andere argwöhnisch und die Minderheit (also Mrs Matthews) wütend zu uns. Aber auf jeden Fall konnten wir sicher sein, dass die ganze Klasse Aiden und mich anstarrte.

„Ms. Hanson! Behalten Sie ihre Meinung über andere für sich, anstatt sie in die Klasse zu posaunen und ihre Mitschüler somit vom Arbeiten abzuhalten! Und seien sie doch freundlicher! Mr. West ist neu hier, falls sie das nicht mitbekommen haben dürften. Und jetzt seien sie ruhig, damit ich meinem Unterricht fortführen kann!"

Mit offenem Mund sah ich Mrs Matthews an, die mich drohend anfunkelte. Aiden verhielt sich wie der letzte Arsch und ich bekam Ärger? Hey, wo blieb da die Gerechtigkeit?

„Aber ... aber ...", stammelte ich.

Eigentlich wollte ich ihr sage, dass Aiden derjenige war, der die Standpauke verdient hatte, nicht ich. Schließlich hatte er mir wie ein perverser Dreizehnjähriger in den Ausschnitt geglotzt und ganz danach ausgesehen, als wollte er mich begrabschen, nicht umgekehrt.

„Kein Wort will ich hören!", sagte meine Lehrerin schon etwas ruhiger, taxierte mich aber weiterhin mit ihrem ganz speziellen Todesblick, als ich den Mund erneut öffnete.

In diesem Moment fing Aiden, der wie Adonis aussehende Vollidiot, zu lachen.

Völlig entgeistert starrte ich ihn an.

In dem Moment wollte ich nichts lieber, als ihm an die Gurgel zu springen.

„Mr. West, dürfte ich fragen, was so lustig ist?", fragte Mrs. Matthews, aber nicht wie der herrische Drache, der sie war. Nein, sie klang beinahe schon nett.

Verdammt, der Typ hatte sie mit seinem charmanten Lächeln um den Finger gewickelt. Ausgerechnet meine meist gehasste Lehrerin. Einfach perfekt.

Pale green eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt