Brief 2

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In unserem Briefkasten haben wir heute morgen wieder einen kleinen Schatz gefunden. Dieses Mal stammt er von der bezaubernen ungekuesst. Wir bedanken uns mit einer warmen Tasse Himbeertee:

Liebe ich selbst, 

erst einmal liebe ich an mir, wie ich es in den letzten Monaten geschafft habe, mich selbst zu lieben. Manchmal sehe ich diesen Fortschritt nämlich als zu selbstverständlich an. Als wäre es nichts Besonderes. Dabei ist genau diese Entwicklung die Ursache dafür, dass ich diesen Text überhaupt schreiben kann. 

Ich finde es toll, dass ich meine Meinung durchsetzen kann, ohne die andere Person damit zu beleidigen oder in den Hintergrund zu stellen. Ich finde es auch toll, dass ich seit einiger Zeit keinen Grund mehr darin sehe, über meine Mitmenschen schlecht zu reden, weil es mir eigentlich nichts bringt und nur davon zeugt, dass das eigene Selbstbewusstsein sehr weit unten ist, wenn man so etwas tut. 

Man weiß nie, was jemand durchmacht, deshalb ist Freundlichkeit für mich das A und O. 

Ich liebe es, dass ich Freunde habe, die genauso denken wie ich, in anderen Punkten aber anderer Meinungen sind, sodass wir stark darüber diskutieren können. Ich liebe es, dass ich schnell verzeihen kann, aber nicht so schnell, dass ich wiederum schwach wirke und nur nach wenigen Tagen einknicke. Ich liebe meine Schlagfertigkeit, auch wenn es andere Mitmenschen oft einschüchtert. Und ich liebe meine verrückte und durchgeknallte Ader, die ich manchmal vielleicht ein bisschen zu sehr auslebe. Trotzdem werde ich nicht damit aufhören, weil es mich ausmacht. So bin ich eben. Warum sollte ich mich also verstecken, nur, weil es anderen dann mehr gefällt? 

Was ich an meinem Charakter aber am meisten liebe, ist, dass es ihn nicht noch einmal gibt. 

Vor ein paar Monaten habe ich viel an meinem Aussehen auszusetzen gehabt, dabei wurde mir ständig gesagt, dass ich hübsch bin. Anstatt diese Komplimente jedoch anzunehmen, habe ich sie hinterfragt und abgelehnt. Ich liebe es, dass ich es geschafft habe, damit aufzuhören. 

Ich liebe meine dunklen Locken, mein eher rundliches Gesicht, meine großen Augen, meine ziemlich kleine Nase und das klitzekleine Muttermal unter meinen Lippen, weil es mich einfach ausmacht. Ich liebe mittlerweile auch meinen Körper, weil ich gelernt habe, dass meine Hüften deshalb in den letzten zwei Jahren breiter geworden sind, weil da ja auch irgendwann ein Kind herauskommen soll. Ich liebe meine Beine, weil man ihnen ansieht, dass ich viel Joggen gehe. Und ich liebe meinen Bauch, weil sich dort das leckere Essen befindet, das ich tagtäglich zu mir nehmen kann.Was ich an meinem Körper aber am meisten liebe, ist, dass es ihn nicht noch einmal gibt.Mir wurde immer gesagt, dass ich nicht Deutsch aussehe. Woher ich komme, woher meine Eltern kommen, warum ich überhaupt in Deutschland bin ... diese Fragen wurden mir ziemlich oft gestellt. Versteht mich nicht falsch, ich habe kein Problem damit, sie zu beantworten, aber, wenn ich Menschen kaum kannte und sie sofort diese Frage stellten, hatte ich das Gefühl, dass nur meine Abstammung und mein Aussehen an mir interessant war. 

Um kurz alle Spekulationen aus dem Weg zu räumen: Meine Mama kommt aus Mexiko und Aserbaidschan, dadurch die dunklen Locken und die eher dunklere Haut bei mir. Mein Papa kommt aus Polen, Deutschland und Irland, aber davon sieht man nicht so viel an mir. Ich habe ebenfalls Wurzeln aus asiatischen Ländern, deshalb ist meine Augenform ganz leicht schmal, aber eigentlich sieht man das stärker an meiner Mama. Mittlerweile liebe ich jedes Land, von dem ich abstamme, weil diese Wurzeln der Grund dafür sind, warum ich nun so aussehe, wie ich eben aussehe. Und ich sehe ziemlich gut aus. 

Was ich an mir aber am meisten liebe, ist, dass es mich ― Charakter, Körper und Herkunft ― nicht noch einmal gibt.

Vergiss nie, dich selbst zu akzeptieren, 

Deine ich selbst

Liebesbriefe an mich selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt