Kapitel 7 - Gewitter und Gefühle

63 3 0
                                    

Am nächsten Morgen wurde Olivia wach, blieb aber noch im Bett liegen. Sie überlegte, wie sie heute mit Tom umgehen und sich verhalten sollte. Wäre es am besten, wenn sie ihn direkt konfrontiert, bevor sie an der Stelle sind oder sollte sie es ruhig angehen und sehen, wie er sich verhält? Ihr Rachegelüst schrie nach der Konfrontation, aber sie würde es dann darauf anlegen, dass ihr ganzer Plan vielleicht nicht aufgehen wird. Nachdem sie bestimmt eine Viertelstunde überlegt hat, stand sie auf und betrachtete die Pinnwand mit den Namen. 'Ist mein Plan wirklich gut? Kann ich ihm vertrauen? Egal, ich muss das jetzt durchziehen. Es gibt kein zurück mehr.' Sie blickte aus dem Fenster und sah aufziehende Wolken am Horizont. 'Heute wird es noch regnen', dachte sie und zog sich lieber einen Hoodie und eine leicht zerrissene Hose an. Sie begab sich schließlich nach unten, wo sie im Flur von zwei gepackten Taschen empfangen wurde. Fragend sah sie ihre Eltern an. "Wir fahren für eine Woche zu deinen Großeltern, damit wir hier aus dem Haus und der ganzen Situation einmal rauskommen. Nächsten Sonntag sind wir aber wieder zuhause", informierte ihr Vater sie schnell. Olivias Mutter ergänzte noch: "Wehe hier passiert was! Wir werden dich jeden Tag anrufen, hast du mich verstanden?" Als Antwort bekam sie ein genervtes "Jahaaa.. Und jetzt haut ab, der Weg zu Oma und Opa ist weit." Sie brachte ihre Eltern noch zur Tür und dann war sie alleine. Alleine für eine ganze Woche. Olivia ging in die Küche und briet ihre berühmten Pancakes zum Frühstück. Während sie aß, sah sie auf die Uhr über der Küchentür: "Shit! Ich muss ja los. Tom wartet bestimmt schon!" Olivia zog sich schnell ihre Vans an, schnappte sich ihren Rucksack und ihr Skateboard, überprüfte, ob alles da war und verließ schnell das Haus.

An der Schule angekommen sah sie auch schon Tom, der auf sie zu warten schien. Sie nickte ihm kurz zu und sagte dann in einem schroffen Ton: "Bevor du fragst, folg mir einfach. Ich zeig dir nen guten Ort zum Arbeiten." 'Marie' nahm ihr Board unter den Arm und ging kurzerhand in den Wald hinein, gefolgt von einem skeptisch schauenden Tom. Olivia beobachtete ihn: "Hast dus bald? ich schlaf ja bei deinem Tempo fast ein." Tom beschleunigte sein Tempo und nach einer Weile, als sie der Brücke immer näher kamen, wurde er immer unruhiger. Olivia, die ihn die ganze Zeit immer mal wieder musterte, fiel dieses Verhalten auf. Als die Brücke in Sichtweite gelang, blieb Tom abrupt stehen, spannte sich an und sah kalt zu Olivia: "Was tun wir hier? Warum bin ich hier?" Als er das sagte, wurde Olivia wütend. Sie blieb ruhig, aber ihre Stimme zitterte vor Wut: "Was du hier machst? Ehrlich? Ihr habt mich hier zusammengeschlagen, meine Sachen überall verteilt und mich dann hier liegen lassen." Fast gleichgültig antwortete Tom: "Und jetzt? Willst du kleines, schwaches Mädchen mich jetzt auch zusammenschlagen? Oder kommen vielleicht deine Freunde hinter den Bäumen hervorgesprungen?" Olivia hielt kurz inne. Wie zur Hölle hat Tom es geschafft, seine Emotionen von komplett unruhig auf gleichgültig und kalt umzuschalten? Wie geht das? "Also wenn du mich hergebracht hast, um meine Zeit zu verschwenden, würde ich gerne wieder gehen wollen. Ich hab besseres zu tun." "Ach, so einer bist du. Erst kleine Mädchen zusammenschlagen, dann alles abstreiten, als wäre nie was gewesen. Und jetzt tust du so, als würde es dir am Arsch vorbeigehen. Richtig toller Typ bist du. So richtig schön feige und verlogen!" Diese Worte sprach Olivia mit so viel Hass und Verachtung aus, dass sie Angst vor sich selbst bekam. Tom drehte sich schnell um und kam auf sie zu. Er blickte zu ihr runter und zischte in einem bedrohlichen Tonfall: "Wie war das eben?" Olivia schaute ihn mit einem festem Blick in seine Augen und versuchte, in ihre Blicke so viel Hass zu legen, wie sie nur konnte. Sie hatte das Gefühl, sie könne direkt in seine Seele schauen. "Ich hab keine Angst vor dir, Tom. Schlag ruhig zu. Es kann nicht schlimmer als die zahlreichen Prellungen von euch sein." - "Na gut, wenn das so ist" waren Toms letzte Worte, bevor er ein bisschen zurück trat und ausholte.

Olivia stand nur da und konzentrierte sich auf seine Augen. Sie zuckte nicht mal mit der Wimper, als Toms Faust ihrem Gesicht näher kam und so knapp vor ihrer Nase verharrte, dass sie den Windhauch spüren konnte. Dieses Mal hielt Tom inne. "Respekt Mädchen. Du bist wirklich Taff geworden. Wars das jetzt? Ich kann auch sinnvoller meine Zeit verschwenden." Olivia ließ ihn gehen, aber nur circa zwei Meter. Dann holte sie etwas aus ihrem Rucksack: "Ey, Junge! Ich glaube, du hast hier was vergessen." Tom drehte sich um und als er den Stift in 'Maries' Hand sah, brachte er nur ein Stottern hervor: "W.. Woher hast du den?" Er näherte sich langsam wieder 'Marie', welche nur gelassen "Den? Ach, den hab ich bei einem meiner Spaziergänge hier gefunden, als der Besitzer hier, genau an diesem Ort auf dem Boden gekauert hat und wie ein aufgeschrecktes Huhn weggerannt ist, als ich mich ihm genähert habe." "GIB IHN ZURÜCK! Du hast kein Recht, ihn zu behalten, Mädchen!" schrie Tom sie an. In seinen Augen erkannte Olivia Wut und Furcht. Diesen Moment nutzte sie aus: "Das 'Mädchen' kannst du dir schleunigst abgewöhnen. Ich habe einen Namen, von dem ich will, dass du mich mit diesem ansprichst. Zum anderen hätte ich gerne gewusst, warum du hier warst. Wolltest du deine Erinnerung wieder aufleben lassen? Tat es dir leid?" - "Das geht dich nen Scheiß an! Marie, jetzt gib mir den Stift endlich wieder! Sonst -" Weiter kam Tom nicht, denn Olivia schnitt ihm das Wort ab: "Sonst was? Wirst du mich wieder zusammenschlagen? Wirst du den anderen davon erzählen und dich selbst lächerlich machen? Das ich nicht lache. Aber immerhin kennst du meinen Namen. Respekt." Nun war Tom endgültig genervt und und ließ das Olivia auch spüren. "Ach weißt du was? Behalt den scheiß Stift. Ich brauch den eh nicht." Er wandte sich zum Gehen, als Olivia ihm noch "Hier, dein Stift. Morgen 15:00 Uhr habe ich deine Sachen für die Präsentation, sonst sind deine Folien leer und du am Arsch." hinterher rief und den Stift vor Toms Füße auf den Waldboden schmiss. Sie drehte sich um, nahm ihr Skateboard und begab sich zur Brücke, wie sich an einem der Pfosten auf ihr Board setzte und Tom beobachtete, wie er den Stift aufhob, an den sie am Vortag einen Zettel mit ihrer Handynummer klebte. Sie grinste kurz und beobachtete Tom solange, bis er sich nicht mehr in ihrem Sichtfeld befand. Sie nutzte die neu gewonnene Ruhe und dachte nach. Über ihn. Warum konnte er so schnell seine Emotionen ändern? Ihr Plan, Informationen aus ihm zu bekommen, war zwar gescheitert, aber sie konnte sich ein wenig Respekt verdienen. Sie war nicht mehr "Mädchen", sondern "Marie". Ein kleiner Erfolg. Das Vibrieren ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Chrissi hatte ihr geschrieben. "Hey Oli, Lust mit Aaron, mir und Chris ne Runde zu skaten? Oder bist du mit Tom am knutschen?" Der letzte Satz brachte Olivia zum Grinsen. "Nein, alles entspannt. Bin gleich da." war die knappe Antwort.

An die Mörder meiner SchwesterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt