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Sieben Stunden. Sieben Stunden hatte der blonde Mann geschlafen, bis er wach wurde. Er hatte sich nachdem er hochgegangen war, sofort in das breite weiche Bett gelegt und fühlte sich wie in einem Luxushotel. Doch sobald er die Augen öffnete, wurde ihm die grausame Realität wieder schlagartig bewusst. Atqasuk, ein Dorf in Alaska mitten in der Tundra. In Eiseskälte unter Menschen, die wilde Tiere speisten und in klapprigen Häusern wohnten. Wenigstens war es hier drin warm.
Er wälzte sich herum, starrte stumm durch das Zimmer. Es war klein. Es reichte. An der Wand über der Tür hing ein ausgestopfter Kopf eines Karibus. Die Augen des Tieres sahen ihn eindringlich an.
"Blödes Vieh. Starr woanders hin.", murmelte Wesley und setzte sich auf. Er nahm seinen Laptop von dem Tisch vor ihm, den er aus seinen Koffer ausgepackt hatte, bevor er zu Bett gegangen war. Er fuhr ihn hoch, doch schlug ihn gleich wieder zu, als er sah, dass es hier kein Internet gab."Das ist ja nicht zu fassen!" Sauer erhob er sich, zog sich seine schwarze Jeans und ein weißes Hemd an. Er würde mit dieser Frau reden müssen. Wie sollte er den Herrn Anouk kontaktieren, wenn er nicht einmal Netz hatte? Katastrophe.
Er zog sich seine Schuhe an, machte sich seine goldene Rolex um und nahm dann sein Handy und verließ das Zimmer. Auf der Treppe nahm er Kamingeruch war und eine drückende Hitze. Doch das war ihm egal. Er war so wütend. Wieso schickte sein Vater ihn in so ein Loch?
Er vernahm Anjis Stimme, die lachend zu ihm drang und lauter wurde, bis er um die Ecke bog und fast vor ihr stand. Die anderen Personen in der Bar bemerkte er garnicht. Sein Gemüt war viel zu angespannt, als dass er noch irgendetwas anderes wahrnehmen könnte.
"Anji ich brauche Internet. Wie soll ich denn jetzt meinen Geschäftspartner kontaktieren!", fragte er sie säuerlich. Augenblicklich verschwand das Lächeln von ihren Lippen und sie schaute ihren Gast trotzig an.
"Mister Kings. Sie sind hier in einer der nördlichsten Dörfer in Alaska. Glauben sie wirklich, wir haben hier Internet?",anwortete sie patzig zurück und wandte sich ab. Sie schenkte einem Mann, der auf einen der Barhocker saß einen Kurzen ein. Erst jetzt bemerkte Wesley die anderen Gäste, die an den Tischen saßen und ihn argwöhnisch beäugten. Sie hatten alles mitgehört. Es war so ruhig, dass er den Gast mit dem Kurzen schlucken hören konnte, als dieser die Flüssigkeit hinunter kippte. Er konnte sich garnicht vorstellen, wie anders er wirken musste. Mit seinen gegelten blonden Haaren, den teuren Klamotten und der Uhr. Wie ein Außerirdischer vermutlich.
"Sie haben hier doch auch Strom.", sagte er nun etwas gedämpfter und ruhiger zu der schwarzhaarigen. Die seufzte und sah ihn wieder an.
"Das ist nicht das Gleiche Mister Kings...", stellte sie klar. Noch immer hörten alles zu. "Das sind völlig verschiedene Dinge. Sie sind doch derjenige, der aus der Stadt kommt."
"Und was soll ich Ihrer Ansicht nach jetzt tun? Ich bin hier hergekommen, weil ich ein Geschäft abschließen möchte, nicht um hier Urlaub zu machen und mich von Robben zu ernähren, wie sie und ihr Dorf...",zischte er nun wieder etwas lauter. Seine Wut war fast aufs Maximum gekrochen. Es stresset ihn, dass er sein Geschäft nicht schnell in einem Rutsch durchziehen konnte. Er wollte auf keinen Fall länger als nötig hier bleiben, doch anscheinend lief es darauf hinaus, dass er mehrere Tage in diesem Dorf verbringen musste.
"Ich halte es hier doch keinen Tag länger aus, verdammt!"
"Wieso sind sie dann hier?" Anjis Geduld schien auch am Ende. Die kleine schwarzhaarige, die fast so groß war wie er, funkelte ihn stinkig an. Er merkte es ihr deutlich an, dass sie sauer war, denn sie ballte ihre Hände zu Fäusten zusammen. Die Tür der Bar wurde aufgerissen und ein kalter Luftzug fuhr durch das Zimmer.
"Ich hatte keine andere Wahl. Niemals wäre ich freiwillig in dieses verkackte Dorf gekommen. Wer würde denn hier freiwillig leben? So dumm kann man nicht sein und sich hier niederlassen!"
Vielleicht hatte er es etwas mit seiner Ansprache übertrieben, doch Wesley war das bekanntlich egal. Er machte sich nichts aus anderen Menschen. Hauptsache ihm ging es gut. Andere interessierten ihn nicht.
Anji schwieg ihn an nach seinen Worten. Ihr Ausdruck verwandelte sich in das eines verletzten Kindes. Unweigerlich wandte sie ihren Kopf ab und schaute hinunter, während sie sich an der Spühle abstützte.
Wesley bereute es vielleicht ein kleines bisschen. Er bereute es hier hergekommen zu sein.
"Hey! So sprechen sie nicht mit meiner Schwester!"
Wesley richtete seinen Blick auf einen Mann, der an der Tür stand. Er war es, der gerade reingekommen war. Er war jung. Vielleicht sechs Jahre älter als Wesley selbst und hatte dunkles schwarzes Haar. Auch er hatte die typischen Gesichtszüge aller anderen Einwohner hier, doch war sein Gesicht ein wenig kantiger und nicht so aufgeplustert. Er sah verdammt gut aus und hinterließ eine heiße Spur auf Wesleys Wangen. In der linken Hand hielt er eine Leine an dessen Ende ein schwarz weißer Hund saß. Wahrscheinlich ein Husky oder sowas. Der Blonde kannte sich nur bedingt mit Hunden aus. Sie waren ihn immer suspekt gewesen.
Aber umso glaubwürdiger war es, dass dieser Mann der Bruder war, von dem ihn Anji erzählt hatte. So wie er Wesley feindselig anfunkelte, mit seinen dunklen Augen.
Wesley konnte deutlich die Spannung in der Luft spüren, die von den Einwohnern in dem Haus ausgingen. Wahrscheinlich hatte er gerade das komplette Dorf gegen sich aufgehetzt.
"Wenn es Ihnen nicht gefällt, dann gehen sie. Wir leben hier alle gerne und brauchen keine Besucher von außerhalb, die uns das Leben schwer machen.", sagte der Mann ruhig aber bestimmt. Alle warteten auf die Reaktion des Geschäftsmannes.
Wesley musste zugeben, dass er sich unter all den abwertenden Blicken unwohl fühlte. Aber er war kein Mann, der sich dies anmerken ließ.
"Na schön. Dann suche ich ihren Mister Anouk selbst. Kann ja nicht so schwer sein ihn in diesem Dorf zu finden."
Er verschwand kurzerhand nach oben. Es war demütigend genug, dass er noch seine Jacke holen musste, um dann wieder hinunter zu gehen. Er kam sich vor wie ein bockiges Kind, welches extra harte Schritte auf den Boden stampfte. Er stackste an dem großen Mann vorbei und fing dabei seinen Duft auf. Er roch aromatisch nach Tannen und Holz. Als sei er gerade in einem Wald zum Holzhacken gewesen. Dabei gab es hier nicht mal Bäume.
Verärgert stieß Wesley die Tür auf und begab sich in die Eiseskälte. Pure Finsternis empfing ihn. Sein Gesicht fühlte sich im Gegensatz zu der wohligen Wärme drinnen nun steifgefroren an. Es war als könnte er nicht mal seinen Mund zu einem gequälten Ausdruck verzerren. Er hasste es hier. Das war die Bestätigung.
Wie sollte er sich zurecht finden, wenn er nicht einmal sah, wohin er ging? Es war eine törichte Idee gewesen, auf eigene Faust hinaus zu gehen, doch er konnte jetzt unmöglich einen Rückzieher machen. Wenn Wesley sich wieder in der Hütte verzog, bestätigte er nur, wie aufgeschmissen er wirklich war und das er kein Recht hatte, schlecht über die Einwohner zu reden. So ein Mist.
Er hörte, wie hinter ihm die Tür aufgerissen wurde und fuhr erschrocken herum.
"Kommen sie wieder rein!" Es war Anjijs Bruder. Er schloss die Tür hinter sich und Wesley konnte sein Gesicht in dem schwachen Licht der glühenden Fenster erkennen. Er starrte den blonden an.
"Sie sind zu dünn angezogen. Sie werden sich erkälten. Sie wissen doch garnicht, wie man hier draußen überlebt.", meinte er und deutete ihn wieder hineinzugehen, doch Wesley schüttelte den Kopf. Er hatte erwartet eine Spur Verachtung in der Stimme des dunkelhaarigen zu finden. Fehlanzeige.
"Ich komme ganz gut alleine klar, danke."
"Reden sie keinen Blödsinn. Sie zittern wie Espenlaub. Selbst ein Wolfsjunges hat mehr Pelz als sie."
Erst jetzt fiel ihm auf, wie kalt ihm eigentlich war. Er zitterte wirklich. Die Kälte drang bis auf seine Knochen durch.
Beschämt blickte er auf den glitzernden schneebedeckten Boden.
"Aber ich muss doch zu Mister Anouk...", murmelte er mehr zu sich selbst, doch der andere hatte seine Worte sehr wohl vernommen.
"Der kann warten. Erfahrungsgemäß finden sie ihn hier eh nicht."
"Was?",platzte es Wesley nun heraus. Er sah dem anderen fest in die Augen. Sie machten ihn nervös, doch er wusste nicht wieso.
"Was meinen sie damit? Ich dachte er lebt hier. Ich wurde explizit hier her geschickt."
Der Mann seufzte. "Kommen sie erstmal wieder rein, dann erkläre ich es Ihnen. Ich möchte nicht, dass sie morgen krank im Bett liegen und meine Schwester sie auch noch bemuttern muss."
Er hielt dem jüngeren die Tür auf und Wesley schob sich schweigend hinein. Es würde keinen Sinn haben, sich länger zu sträuben. Er wollte ja auch nicht erfrieren.
Ohne auch nur aufzusehen, ließ er sich auf einen Barhocker nieder. Zuerst lag erneut ein riesen Schweigen im Raum, doch als Anjij mit einer Flasche Whiskey herumging und eilig Gläser füllte, kam das treibende Leben zurück und es wurde wieder angeregt miteinander geredet. Ob sie über ihn sprachen, konnte er nicht deuten.
"Also...", ertönte es plötzlich neben ihn. Der Ältere hatte sich ebenfalls niedergelassen und blickte den Geschäftsmann nun mit eindringlichen Augen an. Wie konnte er Wesley gegenüber jetzt so nett sein, wenn dieser sich eben benommen hatte, wie das letzte Arschloch? Er fühlte sich ein wenig schlecht.
"Mister Anouk lebt hier zwar, doch er zieht es vor, sich in seinem Haus in Seward nieder zu lassen."
"In Seward? Schön, dann fahre ich da eben hin."
"Ich glaube sie verstehen nicht ganz...",sagte der dunkelhaarige nachdrücklich. "Seward liegt ganz im Süden Alaskas. Sie können nur mit einem Flugzeug dorthin gelangen und das würde Stunden dauern. Es wäre schlauer, wenn sie warten, bis er wieder hier auftaucht."
"Warten bis er wieder auftaucht? Wieso bin ich hier, wenn er eigentlich ganz woanders wohnt.", zischte Wesley verärgert. Gott, war das hier alles unnötig.
"Warten sie einfach. Sie können ohnehin die nächsten Tage nicht hier weg, da sich ein gewaltiger Schneesturm anbahnt."
Na super. Das hieß er würde hier festsitzen.
Verächtlich schnaubte er auf. Wie sollte er die Zeit nur totschlagen in diesem Loch? Es gab kein Internet und dann konnte er nicht einmal hinaus gehen?
"Ich gehe hoch. Mir ist das hier zu bunt...", zischte er dem anderen zu und erhob sich von seinem Stuhl. Ohne auf irgendeine Antwort und zu warten und ohne Verabschiedung, begab er sich in sein Zimmer. Trotzig ließ er sich auf sein Bett fallen.
Es lief nicht, wie Wesley geplant hatte. Er wollte nur ein zwei Tage hier bleiben, schnell den Deal abschließen und dann wieder verschwinde. Das würde wohl nicht klappen.
Er stöhnte genervt auf, legte sich angestrengd die Hand auf seine Stirn. "Womit habe ich das verdient?"

Into The Wild | mxmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt