5. Kapitel ✅

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Der Anblick, welcher sich mir bot als ich eintrat, traf mich wie ein Paukenschlag. Nicht eine meiner vielen Vorstellungen kam auch nur annähernd an dass heran, was ich da sah.

Der Raum, der sich als Thronsaal herausstellte war bestimmt so groß, dass mehrere tausend Menschen dort Platz fanden.
Von der hohen Decke über mir waren imposante Kronleuchter angebracht worden, an denen hunderte von Diamanten hingen, die das Licht, dass durch die riesigen Fenster in den Raum drang, in allen möglichen Facetten brachen.

Allgemein dominierten die Farben Gold und weinrot den gesamten Raum, jedoch waren besonders die Wände an den Seiten auffällig.
Die dunkelrot gestrichenen Wände waren mit goldenen Mustern geschmückt, aber bei genauerer Betrachtung stellten sich die Muster als Zeichnungen irgendwelcher Menschen heraus.

Auf der einen war ein Krieger mit Lanze abgebildet, auf einer anderen wiederum eine Frau mit einem Spiegel in der Hand.

Die Bilder waren in einer Reihenfolge angeordnet, die für mich keinen Sinn ergab. Aber sie hatten etwas, was einen stutzig werden ließ. Es waren nicht die Figuren an sich, sondern die Bedeutung der Zeichnungen. Die Vertrautheit, die ich heute schon einmal gespürt hatte kroch wieder in mein Bewusstsein.
Mehr zu mir selbst fragte ich:
„Was ist das alles hier?"

Vor Überraschung wäre ich fast über meine eigenen Füße gestolpert, als eine Stimme hinter mir sagte:
„Das ist die Geschichte von unserem Königreich, meine Herrin."
Argwöhnisch dreht ich mich um, in die Richtung aus der die Stimme gekommen war.

Dort stand ein Mädchen von bestimmt erst sechzehn Jahren. Sie war ungewöhnlich schön auf eine Weise, die unaufdringlich und gleichzeitig auffällig war.
Ihr braunes gewelltes Haar hing ihr in einem hohen Zopf über den Rücken. Sie trug die typische Dienstkleidung, strahlte aber keineswegs die Aura eines unterwürfigen Dieners aus.
Ein gewisses Selbstvertrauen sprach aus ihrer Körpersprache, was mich extrem verunsicherte.

Auf der anderen Seite sah sie so aus als hätte sie im Gegensatz zu vielen ihresgleichen eine Persönlichkeit, etwas, was man unter Dienern selten sah.
„Wer bist du denn, wenn ich fragen darf?"

Sie lachte hell auf, es klang wie ein Windspiel. Irgendwie war sie mir sympathisch, ihre unbeschwerte Art zog mich an wie Licht eine Motte.

„Nicht gleich so misstrauisch. Ich bin
Nila deine Zofe."
Plötzlich machte sie ein langes Gesicht.
„Entschuldigt meine Herrin, es steht mir nicht zu, so mit Euch zu reden."
Was sollte ich nun machen?

Zuhause wurde ich nie Herrin genannt. Es kam mir irgendwie falsch vor jetzt so angesprochen zu werden.
„Nein alles gut. Bitte nenne mich nicht Herrin. Du kannst mich duzen und bitte sag Liora zu mir, sonst komme ich mir so alt vor."

Verwirrung über meine Offenheit stand in ihren Augen als sie sich eine passende Antwort überlegte. Würde sie mich auslachen und verspotten oder sogar für schwach halten?
„Gut dann Liora also. Soll ich Sie ... ähh ich meine dich auf dein Zimmer bringen und ein Bad zur Entspannung einlassen? Natürlich haben wir auch Eselsmilch da falls Sie ... du nicht in normalen Quellwasser baden möchtest."

Um Gottes Willen, was war denn hier los. Eselsmilch?
Ich war doch kein verwöhntes Prinzesschen. Die Vorstellung in Milch von einem Esel zu baden war für mich sogar sehr ekeleregend.
„Ach, nicht nötig. Eselsmilch ist nicht so meins. Um ehrlich zu sein wusste ich nicht mal, dass man darin baden kann. Ich ziehe normales Wasser vor."

Irgendwie sah sie ein kleines bisschen beleidigt aus, deshalb schob ich hinterher:
„Aber danke trotzdem. Ich weiß die Sorge um mein Befinden zu schätzen." Das meinte ich ernst.

„Okay, also willst du ein normales Quellbad ohne Schnickschnack. Soll ich dich nun auf dein Zimmer bringen oder nicht?"

Bei ihr klang das du zwar noch ein wenig wackelig, aber sie war bereit zu lernen, das schätzte ich ihr hoch an.
Ich wollte schon fast zustimmen, da fielen mir die mysteriösen Zeichnungen an der Wand neben mir ein. Ich musste unbedingt herausfinden was es damit auf sich hatte, denn irgendein Gefühl sagte mir, dass es sehr wichtig für mich war. Für das, was ich war.

„Äh später vielleicht. Könntest du mir was über die Geschichte eures Landes erzählen?"

Ihre anfängliche Offenheit verschwand so plötzlich, dass ich mich schon fragte, ob nicht vielleicht ein anderes Lebewesen gerade von ihr Besitz genommen hatte. Dann, wenige Augenblicke später, schien alles wieder ganz normal, so als wäre nie was gewesen.

„Der Herr hat verboten darüber zu reden. Ich bitte um Verzeihung. Soll ich dich trotzdem jetzt auf dein Zimmer bringen?"

Kurz dachte ich nach. Auf der einen Seite wollte ich nicht unhöflich wirken indem ich weiter nachbohrte, aber natürlich war ich in gewisser Weise auch nur ein Mensch, also dementsprechend neugierig. Am Ende siegte doch der drang das Geheimnis zu erfahren.

„Kannst du mir die Geschichte wirklich nicht erzählen? Es muss ja auch niemand davon erfahren. Ich kann schweigen wie ein Grab, weißt du."
Hoffnungsvoll sah ich zu ihr hinüber. Doch sie blieb unbeirrt, zuckte nicht Mal mit der Wimper.

„Nein Liora, ich wende mich nicht gegen den Herr. Er muss sie dir persönlich erzählen. Wenn du nicht auf dein Zimmer willst gehe ich jetzt."

Sie könnte die unterschwellige Wut, die in ihren Worten mitschwang, nicht unterdrücken. Aber ihr Einwand war berechtigt. Sich gegen ihren König zu stellen wäre Hochverrat gewesen.

Auf einmal wurde mir klar, was passiert wäre, wenn sie nicht so wiederstandsfähig wäre. Ich hätte ihren Tod verantworten müssen, sie wäre durch meine blöde Neugierde gestorben, wenn es König Amilion erfahren hätte. Dem König würde ich alles zutrauen. Kein Wunder dass sie nichts preisgeben wollte. Er drohte wahrscheinlich mit sonst was für abschreckenden Methoden. Wer hätte da nicht seinen Mund gehalten?

„Na gut. Bring mich auf mein Zimmer und bitte keine Eselsmilch."
Ein strahlendes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, so als ob ich sie nicht gerade gebeten hatte Hochverrat zu begehen. Nila's Stimmungen wechselten wirklich wie das Wetter.
„Okay, dann folge mir einfach."

~~~~~~~~~~~~~~

Eine halbe Stunde und dreißig angespannte Nerven später liefen Nila und ich uns immernoch die Füße platt. Das Schloss hatte von außen viel kleiner ausgesehen.
So schnell konnte man sich täuschen...

Dann endlich wurde sie langsamer bis sie schließlich vor einer großen Tür mit einem edlen Türknauf stehen blieb. Sofort wurde ich nervös. Wer wusste schon genau, was mich erwartete? Ein tristes Turmzimmer? Ein Zimmer, welches wir uns teilen mussten? Eine Folterkammer?
Dann nahm ich meinen ganzen Mit zusammen und öffnete die Tür.

Es war ein großes, prunkvolles Zimmer und keine Folterkammer, stellte ich fest. Es war ganz von Lachsfarben geprägt. In der rechten Ecke stand ein großes Himmelbett, mit Kissen, die aussahen wie Wolken. Neben dem Bett befand sich ein riesiger Schrank aus Kirschholz, anscheinend für meine Kleidung.
Ansonsten gab es noch einen Schreibtisch, ebenfalls aus Kirschholz, eine Truhe, eine Kommode und ein paar mir fremde Gemälde von Fabelwesen oder scheinbar herausragenden Persönlichkeiten.

Ich wusste auch nicht Recht, war ich erwartet hatte. Auf jeden Fall alles, bloß nicht das. Nila riss mich aus meinem Erstaunen.
„Liora, das Bad ist fertig. Komm jetzt werden wir dich erst Mal baden."
Wie in Trance konnte ich nur nicken und ihren sanften Befehlen folgen.

Nach dem entspannenden Bad im nach Lilien riechenden Quellwasser rückte das Bedürfnis, zu schlafen in den Vordergrund. Nach einem kurzen Abendmahl auf dem Zimmer kroch ich dann schließlich in mein Himmelbett, welches übrigens so weich war wie es aussah.

Kurz vor dem Einschlafen dachte ich noch einmal an König Amilion. War heute nicht Hochzeitsnacht? Eigentlich sollte mich das schlagartig hellwach machen, aber die Müdigkeit siegte am Ende doch. Erschöpft von dem ereignissreichen Tag, glitt ich einen tiefen Schlaf.

Der Thron der Lilien ~abgebrochen~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt