Kapitel 7.1 - Alte Schulden

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33. Jir'Lore, 2145 n.n.O

Die Entscheidung des Schwarms war für mich wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Immer und immer wieder ging ich die Diskussion in meinem Kopf durch, als wenn ich daran jetzt noch irgendetwas ändern könnte. Vor allem, weil ich jedes Mal zum gleichen Schluss kam: An der Ablehnung war ich selbst Schuld.

Natürlich war auch Angst vor der Reaktion meines Vaters dabei und dass sie meine Zurückhaltung missverstanden hatten. Aber Fakt war, dass sie es vielleicht riskiert hätten, wenn ich etwas offener gewesen wäre, wenn mich die Leute besser kennengelernt hätten. Trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, von mir aus ein Gespräch zu suchen.

Aber hatte ich über kurz oder lang eine Wahl? Der gute Wille des Schwarms war meine einzige Möglichkeit, das Wasser zu verlassen – es sei denn, jemand kannte ein anderes Gegenmittel. Aber wie könnte ich zu einer solchen Person Kontakt aufnehmen? Sollte ich versuchen, ein paar Fischer anzusprechen? Doch was garantierte mir, dass sie mich nicht bei nächster Gelegenheit an den Schwarm verrieten? Die Beziehungen zu den Dörfern waren zwar angespannt – aber Handeln taten sie trotzdem noch miteinander.

Seufzend schüttelte ich den Kopf und versuchte, diese Gedanken zu vertreiben. Jetzt mitten am Tag über eine Flucht nachzudenken war sowieso zu gefährlich, wenn man seine Gedanken nicht abschirmen konnte. Also konzentrierte ich mich lieber wieder auf meine nächtse Arbeit: Das Hemd vor mir, das ich gerade reparierte. Schon das fünfte in zwei Tagen – und der Stapel an zu flickender Kleidung war noch groß. Woher wohl der hohe Verschleiß kam? Ich wusste es nicht, denn ich wusste nicht, wem die Sachen, die ich reparierte vorher gehört hatten, denn genau wie für fast allen Besitz, den der Schwarm zusammentrug, galt auch für Kleidung: Alles gehörte allen. Sie wurde allgemein verwaltet und jeder konnte etwas in seiner Größe und nach seinem Geschmack aus der Kleiderkammer holen oder zurückgeben, wenn er es nicht mehr wollte, es gewaschen oder geflickt werden musste. So wie dieses Hemd jetzt.


Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Varons Rufen durch den ganzen Schwarm hallte, so laut, dass es problemlos sämtliche andere Rufe, die sonst durch den See geisterten, überlagerte und jeder konnte seine Worte deutlich in seinem Geist hören: >>Els von den Lore-Flüssen erbittet Zugang, um eine Bezahlung einzufordern. Es sei ihm gewährt.<<

Unruhe stieg in mir auf. Ich erinnerte mich an Els, den Flussmenschen mit der dunklen, schlammfarbenen Haut und dem unförmigen Körper. Zu seinem Schwarm gehörte auch die Flussfrau, die mich geschlagen hatte. Für sie war ich nicht mehr als eine Sklavin gewesen. Ich fröstelte innerlich und beugte mich wieder über meine Arbeit. Ich musste ja nicht hingehen. Ich blieb einfach hier. Oder vielleicht noch besser: Ich würde zu meinem Seegras-Zimmer schwimmen. Das war ein guter Plan. Entschlossen begann ich rasch meine Arbeitssachen wegzupacken. Ich würde mich später für meine Abwesenheit entschuldigen. Hauptsache, ich war erst einmal-

>>Senga!<<

Zacs Auftauchen spülten meine Überlegungen fort, wie die Strömung das Treibholz. Er schwamm direkt auf mich zu und trotz des Wassers um mich herum, wurde mein Mund trocken, als ich an unseren letzten unterkühlten Gedankenaustausch während der Schwarmversammlung dachte. Seitdem hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen.

Wenige Momente später schwamm er direkt vor mir und ich blickte ihm unschlüssig in sein ausdrucksloses Gesicht. Langsam legte er sich seine Hand auf die Brust und beugte den Oberkörper ein Stück nach vorn: die respektvolle Begrüßung der Flussmenschen. Dann streckte er mir die Hand entgegen und wartete.

Perplex sah ich auf eben diese dargebotene Hand. Schließlich erwiderte ich die überaus höfliche Begrüßung – alles andere wäre mir unglaublich rüde vorgekommen – und legte meine Finger vorsichtig in die seinen.

Des Wassermanns Weib II - berührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt