Kapitel 4.2 - Wir sind eins

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17. Jir'Lore, 2145 n.n.O.

Am Flussgrund angekommen schallt ich mich eine Närrin. Es war ja nicht so, dass ich noch nie einen nackten Mann gesehen hätte – aber so schamlos lief zu Hause keiner herum. Flussmenschen schienen es da generell nicht so genau zu nehmen. Schließlich hatte mich die Flussfrau in Els' Schwarm auch aufgefordert, mich vor allen anderen umzuziehen. Innerlich schüttelte es mich. Irgendwie kam mir das barbarisch vor.

Ein lautes Platschen über mir riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah nicht nach oben – ich konnte mir auch so denken, wer da kam. Und richtig, einen Moment später berührte mich Zacs Hand an der Schulter.

>>Ich hab dich erschreckt.<< Es war eine Feststellung, keine Entschuldigung. >>Ich habe vergessen, wie prüde ihr Menschen seid.<<

>>Was hat es mit prüde sein zu tun, wenn es einfach Dinge gibt, die ich nicht von jedem sehen oder wissen möchte? Das nennt man Diskretion<<, knurrte ich gedanklich zurück und spürte sein mentales Äquivalent zu einem Achselzucken.

>>Ganz wie du meinst. Aber komm jetzt. Wir wollen die anderen nicht noch länger warten lassen.<< Das erinnerte mich wieder an die Schwarmeinführung und sofort bekam ich wieder dieses unangenehme, mittlerweile vertraute Gefühl der Unwirklichkeit im Magen. Ich war jetzt schon seit mehreren Zyklen im Fluss und absurder Weise hoffte ich manchmal immer noch, dass das alles ein einziger, bizarrer Alptraum war. Doch Zacs Griff war hart und erinnerte mich unbarmherzig an die grausige Wirklichkeit, als er selbst wieder zur Oberfläche schwamm und mich einfach mit sich zog.

Als Zac und ich schließlich wieder auftauchten, unterbrachen die Drei ihr Gespräch und blickten uns entgegen – mittlerweile alle bekleidet. Immerhin. Erleichtert suchte ich abermals Halt an den Griffen des Sims. Anscheinend hatten sie auf uns gewartet und am liebsten hätte ich ein paar Worte der Entschuldigung gestammelt.

Doch mir blieben sie alle im Halse stecken, als ich die beiden neu hinzugekommenden Männer genauer ansah – oder besser: schockiert angaffte. Insbesondere den einen, an dem wirklich alles fremdartig aussah. Groß und durchtrainiert überragte er alle anderen um mindestens einen Kopf. Doch das war es nicht, was mich so aus der Bahn warf. Auch nicht seine dunklere Hautfarbe, die nach ständiger Sonnenbräune aussah und verriet, dass er irgendwo von den südlichen Inseln Karathers kommen musste – wie auch immer es ihn dann ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Vielmehr war es seine kahl-rasierte Glatze, die mit verschlungenen Mustern tätowiert war, die sich über seinen Hals hinabzogen und irgendwo unter seinem schlichten, dunklem Hemd verschwanden. So etwas hatte ich noch nie gesehen oder gehört, mir nicht einmal vorgestellt.

Ich blinzelte und versuchte, meinen Schock in den Griff zu bekommen, während mich der gruselige Fremde aus dunklen, überraschend freundlichen Augen verschmitzt anfunkelte, als er auf dem steinernen Vorsprung vor mir in die Hocke ging und so fast auf Augenhöhe mit mir war. „Hallo, Senga-bald-von-der-Krallen-Mündung." Na danke auch für diese Erinnerung. War das Absicht? Wie viel hatte Zac Ihnen erzählt? „Ich bin Riccodris. Aber nenn mich Ricco, das tun alle. Und das ist Varon."

Varon war der kurz zuvor noch nackte junge Mann mit den langen hellen Haaren, die er sich zu einem ordentlichen Zopf geflochten hatte. Halbwegs trocken und bekleidet machte er nun einen geradezu charmanten Eindruck, als er sich mit einem jungenhaften Grinsen vor mir verneigte, wie es heute schon einmal Achs getan hatte. Warum war Zac eigentlich nicht so gut erzogen?

>>Ich habe es nicht nötig, zu schleimen<<, hörte ich seine trotzig gemurmelte Antwort in meinen Gedanken und ich warf einen kühlen Blick nach rechts, wo er neben mir im Wasser schwamm, noch immer meinen Oberarm festhaltend.

Des Wassermanns Weib II - berührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt