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Was werden die anderen dazu sagen?
Je näher der Tag rückt, desto mehr Gedanken mache ich mir.
Nicht, ob ich es überhaupt mache oder nicht, nur was danach passiert. Und ob mich jemand vermisst, mit wem Betty in ein Zimmer kommt, wie Michael darauf reagiert, Ryan, Collin, Brian, Amelie. Alle meine Freunde. Sie werden mir fehlen, wenn ich tot bin. Aber ich glaube, dass weiß ich dann nicht mehr. Werde ich ihnen auch fehlen? Zwei Tage noch, dann werden sie es wissen. Und ich werde nichts mehr wissen. Es ist irgendwie gruselig, aber auch aufregend. Es ist schon ein gutes Gefühl, die Zukunft in der Hand zu haben. Ich habe lange nachgedacht und beschlossen: Es muss einen Abschiedsbrief geben. Um alles zu klären, und - um allen zu sagen, wie sehr ich sie liebe und vermissen werde. Im Moment sitze ich in meinem Bett, den Block und einen Stift auf dem Schoß, bei dem Versuch die richtigen Worte zu finden.

Hey Leute.
Sorry, jetzt wird es wahrscheinlich Mega kompliziert... Weil ihr ja mit der Polizei wahrscheinlich sprechen müsst und so. Aber vielleicht hilft dieser Brief ja dabei.
Ich wollte nur sagen, ich werde euch echt vermissen, wenn ich tot bin. Es ist gerade so irreal darüber zu schreiben. Noch zwei Tage und ich weiß, dann wird mein Leben beendet sein. Ja, an meinem Geburtstag. Ja, an meinem 18. Es ist eine gruselige Art von Vorfreude die mich durchfährt wenn ich meine Hand beim schreiben beobachte und ich weiß ich werde sie nie runzlig und alt sehen. Das freut mich, erschreckt mich aber auch total.
Ich liebe euch alle, Leute. Wirklich. Das müsst ihr mir glauben, denn es ist der einzige Grund, weswegen es diesen Brief gibt. Können wir ihn bitte nicht Abschiedsbrief nennen? Vielleicht eher sowas wie eine Entschuldigung. Dafür, dass ich euch allein gelassen habe. Ich liebe euch über alles und ich habe Angst. Angst davor, dass mein Plan funktioniert. Aber ich weiß ja, dass er funktioniert, deshalb frage ich mich, wieso ich in meinen Gedanken noch nicht ganz damit klar komme, wieso ich Angst habe. Aber es gibt kein zurück mehr. Noch zwei verdammte Tage, dann ist es zu Ende.
Betty, weißt du noch, wie wir immer auf unsere Geburtstage runter gezählt haben? Oder wie wir Märchen nachgespielt haben...
Iss nie die rote Seite des Apfels, Betty.
Michael, weißt du noch unser 5.000.000.000-Sterne Hotel? Es war so schön. Ich liebe dich. Michael? Ich weiß, dass du gerade weg schaust. Ich liebe dich.
Ryan, Brian, meine Brüder. Ich werde euch vermissen, wenn das überhaupt möglich ist als Tote... Aber ich weiß, ich tue es jetzt schon. Und wenn ich die Packung Schlaftabletten anstarre, kommt in mir ein schmerzlicher Gedanke hoch.
Weint bitte nicht um mich.
Es ist kein Selbstmord, sondern eine selbstständig getroffene Entscheidung. Ich bin ja nicht depressiv oder so. Ich will bloß nicht alt werden.
In liebe, eure Joyce

Unschlüssig kaue ich noch auf dem Ende des Stiftes herum, dann krakele ich schließlich ein unordentliches Herz neben meinen Namen.
Noch zwei Tage.

Different                    -Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt