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Am nächsten Tag war wieder Schule. Ich wollte mich nicht den anderen aussetzen. Sie mochten mich nicht und ließen keine Chance aus, mich zu mobben. Aber meine Eltern zwangen mich, in die Schule zu gehen.
Auf dem Weg hörte ich non-step Musik. Ohne Musik konnte ich nicht. Musik war die einzige Flucht von dieser bescheuerten Welt.
Schon auf dem Schulweg machten sich die anderen Schüler über mich lustig; angefangen bei meinen natürlichen, lockigen Haaren. Ich hatte jetzt schon keine Lust mehr und hatte das Bedürfnis, die nächste Brücke aufzusuchen und runter zu springen.
In der Schule ging ich sofort zu meinem Platz. Wieder einmal lagen Zettel auf meinem Tisch. Es handelte sich immer um die gleichen Sprüche. Stirb endlich. Keiner mag dich. Du gehörst nicht hierher. Geh zurück, wo du hergekommen bist. Du bist hässlich.
Ich ließ die Zettel in meiner Schultasche verschwinden. Da noch reichlich Zeit war, steuerte ich die Toiletten an. Ich sah auf den Boden, weswegen ich nicht mitbekam, dass ich in jemanden rein lief. Ich sah nur kurz auf und entschuldigte mich.
Ich schloss mich in eine Toilettenkabine ein und nahm ein Messer heraus, welches ich auf mein Unterarm ansetzte und mich schnitt. Es war beschämend, dass ich das tat. Aber ich wusste keine andere Möglichkeit, um mein Stress, meine Schmerzen und Traurigkeit loszuwerden.
Ich zog meine Ärmel runter und verließ anschließend die Toiletten. Trottend ging ich wieder ins Klassenzimmer und setzte mich hin. Meine Mitschüler sahen mich abwertend an. Die Mobbingattacke blieb aus, aber nur weil der Lehrer nun hineintrat. Und neben ihm war ein Junge zusehen. Seine Haare waren blond gefärbt, erinnerte mich an mich selbst. Vor einer Woche hatte ich mir meine Haare aufblondieren lassen.
Aber er kam mir vage bekannt vor.
"Das ist Lee Felix", fing Mr Kim an. "Er kommt aus Australien und kann noch nicht so gut Koreanisch." Dann sah Mr Kim mich an. "Chan, du bist der einzige, der fließend Englisch sprechen kann. Und außerdem bist du ja auch in Australien aufgewachsen. Bitte kümmere dich um ihn."
Eigentlich hatte ich darauf keine Lust. Aber ich konnte diese Bitte nicht ablehnen.
"Also, Felix, bitte setz dich neben Chan", sagte Mr Kim und deutete auf mich. Felix nickte und setzte sich neben mich.
"Hallo", sagte Felix in brüchigen Koreanisch und lächelte breit. Ich nickte nur.

Die Mittagspause musste ich mit Felix verbringen. Er saß mir in der Mensa gegenüber. Ich aß fast nichts und außerdem fühlte ich mich unwohl hier. Die Pausen verbrachte ich nämlich eigentlich nur auf dem Dach, wo mich niemand störte.
"Na, Chan", blaffte mich ein Klassenkamerad an, der mit dem Mobbing angefangen hatte. Er nahm mein Smoothie in die Hand und schüttete den Inhalt über meine Haare. "Schade, dass du es nie schaffst, dich umzubringen." Spöttisch grinsend ging er davon. Felix sah mich fragend an, doch ich winkte ab.
Rasch stand ich auf und lief schnurstracks zu den Toiletten. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass Felix mir gefolgt war.
"Can I help you?", fragte Felix, als ich den Wasserhahn aufdrehte. Anschließend musterte ich den Jungen.
"You really don't understand Korean that well, don't you?", erwiderte ich. Felix sah beschämend zu Boden.
"Don't be afraid", sagte ich und fing an, den Smoothie aus meinen Haaren zu waschen. Und ohne, gefragt zu haben, half mir Felix.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Erst als die Pause endete, waren meine Haare wieder sauber.
"Thank you, Felix", bedankte ich mich.
"You're welcome", sagte Felix lächelnd.
Zusammen gingen wir in die nächste Schulstunde.

SuicidalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt