Kapitel 1

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Die wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner Haut holten mich langsam aus meiner Traumwelt. Am liebsten wäre ich dort geblieben; hätte weiter versucht der Realität zu entkommen. Aber das war leider nicht möglich. Stattdessen war ihr hier, im Jahr 2020. Festgekettet an ein Schicksal, dass ich nicht einmal meinem Feind wünschen würde.

Hättet ihr euch jemals vorstellen können, wie ein Leben sein soll, dass nur noch ein Jahr lang ist? Wie ihr euch verhalten würdet? Wie sich die Menschen in eurem Umfeld verhalten würden?
Würdet ihr eine Bucket-Liste schreiben und diese abarbeiten? Oder würdet ihr einfach so weiter machen, wie bisher?

Genau die Fragen stellte ich mir seit einer Woche. In dieser Woche war nicht viel passiert; außer die Kundgabe meiner Prognose.
Dr. Meisner, der sich mir als David vorgestellt hatte, übernahm meine Behandlung und die regelmäßig angedachten Check-Ups, um zu kontrollieren, dass es mir gut ging. Er hatte meine Tante angerufen, die sich sichtlich erschöpft mit der Nachricht getan hatte. Auch Noah hatte sie nicht wirklich vertragen, aber er schlug sich tapfer.

Meine Eltern waren direkt nach Hause gekommen, nachdem auch sie informiert worden waren. Seither taten sie so, als wäre ich ihre größte Sorge und versuchten mir alles recht zu machen. Früher hatten sie nie so reagiert, selbst als ich mir mein Bein brach, waren sie lieber auf einer Geschäftsreise. Anstatt meiner Eltern hatte also Tante Elena neben mir gesessen und im Aufwachraum meine Hand gehalten.

Etwas unwirsch warf ich meine Decke zurück und stieg aus meinem Bett. Am liebsten wäre ich noch liegen geblieben, aber auch das konnte ich mittlerweile nicht mehr. Viel zu oft hatte ich in der vergangenen Woche auf meinem Bett gelegen, und mich den ganzen Tag nicht bewegt. Also würde ich damit bald anfangen müssen. Außer ich wollte den Rest meines Lebens nicht sinnlos herumliegen und nichts tun; so viel stand fest.

Also schlüpfte ich in meine Hausschuhe und warf mir eine Jacke über, um wenigstens einigermaßen angezogen in die Küche zu stapfen. Dort saßen meine Tante und Noah, die beiden hatten seit meinem Krankenhausdilemma bei uns Unterschlupf. Keiner meiner Eltern, auch wenn sie etwas dagegen gehabt hätten, würde die beiden rausschmeißen. Sie wussten, dass es mir viel bedeutete, wenn ich nicht alleine war.

„Guten Morgen", wurde ich von meiner Tante begrüßt, die mir sogleich eine dampfende Tasse vor die Nase stellte. Dem Duft nach zu urteilen handelte es sich um meinen Lieblingstee, den meine Tante mir vor geraumer Zeit gezeigt hatte. Seitdem kam ich davon nicht los; Apfel und Zimt, eine möglicherweise weihnachtliche Mischung, aber unverkennbar lecker. „Hast du gut geschlafen?"

„An sich schon", murmelte ich und umgriff die Tasse ein bisschen fester. Draußen war es ziemlich kalt, und in meinem kurzen Pyjama fror ich wie erwartet einwenig. Da half selbst meine Strickjacke nicht viel. Der Tee tat dabei sein übriges. „Kann nur in letzter Zeit schlecht einschlafen", gab ich zu. Es viel mir tatsächlich schwer zu Beginn der Nacht ein Auge zuzumachen, meistens plagten mich irgendwelche Gedanken oder Horrorszenarien, die ich mir am liebsten ersparen wollte.

„Kein Wunder", grummelte Noah, der neben mir saß und aussah als wäre er von einem Bagger überrollt worden. Seine Haare standen in alle Richtungen ab, was das ein oder andere Mädchenherz hätte höher schlagen lassen. Als Cousine musste ich aber gestehen, sah er weder süß noch in irgendeiner Weise ansprechend aus. Eher wie ein halbtotes Eichhörnchen. Er blickte mich aus blutunterlaufenen Augen an. Dabei konnte man fast denken, er hätte Gras geraucht.
„Deine Gedanken möchte ich auch nicht teilen", sprach er weiter, dabei war seine Stimme so tief, dass er damit so einige Männer neidisch gemacht hätte.

„Noah", tadelnd blickte Elena zu meinem Cousin, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. Ich wusste, dass er seine Aussage nicht böse meinte. Seinem Aussehen nach zu urteilen, war auch sein Gemütszustand alles andere als ausgeglichen. So ging es gerade allen.
Auch meine Eltern schliefen schlecht, fuhren nur noch selten zur Arbeit und schienen mir jeden Wunsch erfüllen zu wollen. Auf der einen Seite konnte ich verstehen, dass sie mich glücklich sehen wollten, aber auf der anderen Seite waren sie ein bisschen spät dran. Man konnte die verlorene Zeit nicht innerhalb eines Jahres einfach so wieder aufholen. Und dennoch war ich froh, dass sie da waren.

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