Kapitel 3

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Mit leisen Schritten tapste ich über den Flur. Dabei versuchte ich so leise zu sein wie es ging, um niemanden aufzuwecken. Denn wenn jemand einen leichten Schlaf hatte, dann waren es meine Eltern. Und am heutigen Morgen konnte ich definitiv keine schlechte Laune gebrauchen.

Ich war mit einem Stechen in der linken Körperhälfte aufgewacht, selbst meine Medikamente hatten keinen großartigen Einfluss darauf genommen; obwohl ich diese vor knapp zwei Stunden zu mir genommen hatte. Normalerweise sollten sie vermeiden, dass ich irgendwelche Nebensymptome entwickelte, so ganz schienen sie allerdings nicht helfen zu können. Aber was sollte man auch erwarten. Eine tödlich verlaufende Krankheit ging mit vielen Symptomen einher. Dabei mussten diese allerdings nicht sofort ersichtlich sein; stattdessen konnte sich das Ende auch langsam heranschleichen, ohne eine Vorwarnung.

Kopfschüttelnd ließ ich mich wieder in mein Bett fallen, aus dem ich vor wenigen Minuten gekrochen war. Der Gang auf die Toilette war ein purer Höllengang gewesen. Nicht nur die Schmerzen, sondern auch ein bevorstehender Kreislaufkollaps, machten mich zu schaffen. Das Gefühl bevor der Kreislauf zusammenbrach, war so ziemlich eins der unangenehmsten. Man konnte nämlich spüren wie die Kraft aus einem heraus wich, und man konnte einfach nichts dagegen tun. Stattdessen musste man sich der Umwelt geschlagen geben; egal wie hart man in seinem Inneren kämpfte.

Die warme und kuschlige Decke, die ich nun um meine Schultern legte, gab mir jedoch ein wenig mehr Geborgenheit. Ich schloss meine Augen in der Hoffnung noch ein wenig Schlaf zu finden, auch wenn mich die Schmerzen mittlerweile auch ins Delirium hätten befördern können. Aber dennoch könnte Schlaf hilfreich sein; vor allem wenn man sich schon so ausgelaugt fühlte.

Wirkliche Ruhe fand ich jedoch leider nicht. Stattdessen wälzte ich mich auffällig oft hin und her. Meine Gedanken spielten verrückt; ließen mich einfach nicht zur Ruhe kommen.
Stattdessen machte ich mir ständig Gedanken, was mit meinem Körper geschah oder wie sich die Menschen in meinem Umfeld wohl fühlen mussten. Schließlich litten sie genauso sehr wie ich; nur mein Leiden hätte ein Ende. Ihres würde fortbestehen. Ich wusste, dass vor allem Noah so tat als wäre alles in Ordnung. Er hatte mich nach unserem Shopping Trip sogar mit zu seinen Freunden genommen, die er mir vorher noch nie vorgestellt hatte. Er präsentierte mich wie auf einem Silbertablett, und teilte feierlich mit, wie wichtig ich ihm war. Um ehrlich zu sein gehörte da meiner Meinung nach viel Mut zu, schließlich würde nicht jeder Cousin oder sogar Bruder einen so vorstellen. Aber sie hatten mich alle gut aufgenommen, statt sich über Noah's Verhalten lustig zu machen.

Also hatten wir mit knapp sechs Leuten zusammen gesessen und Filme geguckt, die ich mehr oder minder fast alleine bestimmt hatte. Noah's Freunde wurden mit einem grimmigen Blick bei den meisten Vorschlägen zum Schweigen gebracht. Also gebührte mir die Ehre alle zu Twilight zu verdonnern; das aber auch nur weil Noah's bester Freund Robin einen ziemlich verachtenden Kommentar dazu gemacht hatte. Also musste er, genauso wie die anderen vier, durch die Hölle gehen. Und ich hatte meinen Spaß.

In der Zeit mit Noah's Freunden konnte ich einfach mal vergessen wer ich war, und wie meine Zukunft verlaufen würde. Stattdessen gab es nur den Moment. Und Noah hatte man ebenfalls ansehen können, dass er für wenige Stunden sich einmal keine Sorgen um mich machte.
Stattdessen hatten wir unheimlich viel Spaß gehabt; Filme gesehen, an der PlayStation gespielt und schlussendlich waren wir sogar noch eine Runde durch die Nacht gefahren. Dabei durfte natürlich ein Zwischenstopp bei McDonalds nicht fehlen.

Als wir dort gegen halb 1 aufgeschlagen waren, war keiner der Kräfte wirklich begeistert uns zu sehen. Immerhin bedeuteten fünf Jungs und ein Mädchen definitiv keine Ruhe vor dem Feierabend. Schlussendlich war es auch fast dazu gekommen, dass wir rausgeschmissen wurden. Mit viel Mühe und Not konnte ich Robin und Jonas gerade noch davon abhalten einen dieser Touchscreens abzureißen, an dem man normalerweise etwas bestellen konnte. Alleine für diese Aktion hätte so manche Mutter ihnen die Ohren lang gezogen. Zu meinem Unglück war das aber noch lange nicht alles. Denn nachdem wir unser Essen bekommen hatten und eigentlich wieder auf dem Weg zum Auto waren, kamen die Jungs auf die glorreiche Idee das kleine Plastikklettergerüst zu erklimmen. Dass dieses unter dem Gewicht von fünf geschätzt 80 bis 90 Kilogramm schweren „Männern" leiden und eventuell sogar zusammenbrechen würde, hatte keiner von ihnen vorher bedacht. Glück im Unglück würde ich sagen, dass ich alle davon wegzerren konnte bevor noch schlimmeres passierte.

In Gedanken an den wohl lustigsten Abend seit meiner Diagnose, hatte ich gar nicht mitbekommen wie meine Mutter leise in mein Zimmer schlich. Erst als sie sich auf meine Bettkante setzte, fuhr ich eine wenig erschrocken aus meiner Position. Normalerweise bekam ich immer mit, sobald jemand mein Zimmer betrat. Dem war jetzt allerdings nicht so.
„Wie geht's dir?", fragte sie vorsichtig und berührte meine Stirn, die sicherlich ein wenig glühte. Immerhin lag ich mit gefühlt drei Decken und unzähligen Kissen in einem Bett; und mir war immer noch nicht wirklich warm.

Etwas ratlos zuckte ich mit den Schultern. Auf der einen Seite wollte ich nicht, dass sie sich Sorgen um mich machte. Aber auf der anderen Seite war ich ziemlich hilflos, was meine Schmerzen und Empfindungen anging. Dr. Meisner hatte mir erzählt, dass ich manche Sachen nicht richtig empfinden könnte; beispielsweise in Form von Ameisenkribbeln oder Schmerzen, die eigentlich gar nicht so stark waren. Alleine die Tatsache, dass mein eigener Körper mich so hinters Licht führen könnte, hatte mich schlucken lassen, aber es jetzt auch wirklich so zu merken, war noch einmal etwas ganz anderes. Ich fühlte mich gefangen. Gefangen in einem Körper, der nicht einfach so wieder gesund werden würde. Und ehrlich gesagt hätte ich genau jetzt in Tränen ausbrechen können. Zum Glück war meine Mutter bei mir, die mir seit der Diagnose wirklich immer näher gekommen war; gleiches galt für meinen Vater.

„Psssht", meine Mutter nahm mich liebevoll in den Arm und strich mir immer wieder über den Rücken. Sie versuchte mich zur Ruhe zu bringen, was ihr in gewisser Weise auch gelang. Und dennoch würde ihre Präsenz nicht alle Gefühle in mir zum Schweigen bringen können.
„Soll ich dir die Notfalltabletten holen?", fragend sah sie mich an, stoppte dabei mir ihrer Hand. Die Notfalltabletten waren ziemlich hoch dosiert und wie gesagt eigentlich nur für Notfälle. Ob es sich gerade jetzt um einen Notfall handelte vermochte ich nicht zu sagen; aber wirklich wohl fühlte ich mich nicht. Statt also zu nicken oder den Kopf zu schütteln, lag ich einfach nur stumm da und stierte meine Mutter an. Sie musste mir anmerken, dass ich keine Antwort auf diese Frage geben konnte und wollte, denn sie erhob sich in Windeseile und verschwand aus meinem Zimmer. Die Tür ließ sie sperrangelweit offen, sodass ich den Lichtschein aus unserem Flur erkennen konnte.

Keine Minute später kehrte sie mit einem großen Glas Wasser und einer Tablette zurück, deren Farbe einen schon fast davor hätte warnen können, sie nur im Notfall zu nehmen. Und genau das tat ich; auch wenn ich es nicht ausstehen konnte, Tabletten herunter zu schlucken.
Nachdem ich also fast das ganze Glas gelehrt und dementsprechend auch die Tablette geschluckt hatte, lehnte ich mich in das obere Bettende. Innerlich fuhr mein Körper immer noch Karussell und auch die Schmerzen gingen nicht sofort weg, aber das wusste ich auch. Solche Tabletten gehörten zwar zu denen, die sich schnell auflösten, doch nicht innerhalb weniger Sekunden. Jetzt hieß es abwarten.

„Wir sollten nochmal mit Dr. Meisner reden", meine Mutter sah mich besorgt an und strich mir einige Haarsträhnen aus der Stirn. Ich war jedoch absolut nicht ihrer Meinung. Dr. Meisner hatte mir zwar versichert, dass ich vorerst nicht ins Krankenhaus müsste, er konnte mir jedoch nicht versichern, ob meine Symptome einen Aufenthalt schneller hervorrufen würden als gedacht. Und um Krankenhäuser machte ich aus gutem Grund einen riesigen Bogen.

„Ich weiß, dass es nicht das ist, was du möchtest", versuchte sie es weiter, „aber wir machen uns Sorgen um dich, Kayla. Dein Zustand war letzte Woche deutlich besser und seit gestern wird es immer schlimmer."
Sie seufzte laut auf und schob einige Kissen beiseite, damit sie sich neben legen konnte. Dafür war ich ihr dankbar. Früher, als kleines Kind, hatte meine Mutter sich manchmal zu mir gelegt und bei mir die Nacht verbracht, weil ich nicht schlafen konnte. Mit der Zeit war es weniger geworden, bis sie schließlich ganz damit aufgehört hatte.
Jetzt fühlte ich mich ein wenig zurückversetzt und war dankbar dafür, dass diese Geste mir ein wenig mehr Sicherheit gab.

„Ich will nicht wieder ins Krankenhaus", brachte ich schniefend hervor und versuchte die aufkommende Traurigkeit zu unterdrücken. Denn genau so meinte ich es auch. Ich fühlte mich schrecklich alleine in einem weißen, kahlen Raum. Da wollte ich definitiv nicht hin.
„Ich weiß", meine Mutter zog mich erneut in ihren Arm, sodass ich meinen Kopf auf ihrer Schulter ablegen konnte, „aber wir wollen, dass es dir gut geht. Und nicht, dass dir etwas schlimmes passiert."

Ich konnte ihre Sorge nachvollziehen, dennoch bestand meine Abneigung gegen das Krankenhaus.
„Ich weiß", murmelte ich also, anstatt ihr noch großartig zu wiedersagenden. Eine solche Diskussion war unnötig; sie würde nur wieder alles schlimmer machen. Und das wollte keiner von uns.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 22, 2020 ⏰

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