Ohne einen Mucks von uns zu geben, saßen wir vornüber gebeugt im Auto und lauschten angespannt auf den heranfahrenden Wagen. Wir hörten, wie die Reifen stoppten und dann das Schlagen von den Türen.
"Ich schau mal kurz nach, wo sie sind. Wir müssen hier weg, bevor Marcel merkt, dass sein Baum weg ist!", flüsterte ich Marco leise zu. Keine Ahnung warum wir eigentlich flüsterten, schließlich konnte man uns ja so oder so nicht durch das Metall hören. Wahrscheinlich verstärkte es so das Gefühl etwas verbotenes zu tun. Mein Freund versuchte seinen Kopf wie eine Eule zu drehen, um etwas erkennen zu können, doch ich drückte ihn sofort wieder in die Polster. "Ich kann viel besser nachschauen. Keine Sorge, ich werde vorsichtig sein!"
Ganz ganz vorsichtig und langsam streckte ich mich etwas, damit ich durch die Scheiben nach draußen schauen konnte. Ich sah gerade noch, wie das Garagentor sich in Bewegung setzte und Marcel und Jenny dahinter verschwanden. Das hieß, dass sie jeden Moment den fehlenden Tannenbaum entdecken würden. Jetzt zählte jede Sekunde!
"Marco los jetzt! Fahr!"
Aufgeregt zog ich ihn regelrecht nach oben, während ich versuchte mich anzuschnallen. Das Adrenalin, das mir durch die Adern schoss, erschwerte mein Vorhaben, denn ich konnte kaum das Zittern meiner Finger lang genug unterdrücken, um den Gurt in den Anschnaller zu stecken. "Los jetzt!"
Marco sah wie mein Ebenbild aus. Auch er brauchte mehrere Anläufe bis er endlich den Schlüssel drehen konnte. Sofort drückte er das Gaspedal durch, woraufhin der Wagen erst einen Satz machte, dann aber mit aufheulenden Motor losfuhr. Eine Welle der Erleichterung erfasste mich. Ich konnte mich nicht mehr halten und lachte los. Marco stutzte kurz, fing dann aber ebenfalls an zu lachen.
"Ich, ich kann nicht fassen, dass wir gerade wirklich damit davongekommen sind Marcels Baum zu stehlen!" Es war einfach unglaublich. Ich hatte nie im Leben gedacht, dass ich jemals bei einem Einbruch helfen würde und dann waren wir auch noch so erfolgreich bei meinem ersten Mal. "Ich dachte echt, wir wären erledigt, als Marcels Auto um die Ecke kam! Als ob er uns einfach übersehen hat."
Marco zuckte grinsend mit den Schultern. Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und drückte diesen. "Wir zwei sind einfach ein unschlagbares Team!"
Erst langsam realisierte ich, was das für uns bedeutete. Ich ließ einen begeisterten Schrei los, sodass Marco neben mir erschrocken zusammen zuckte. Verwirrt sah er mich kurz an, musste dann aber sofort wieder auf die Straße schauen. Es war eisig heute Nacht. "Was war das denn jetzt?"
"Wir haben gewonnen! Marco, du hast das erste Mal bei eurer komischen Weihnachtsbaumklautradition gewonnen! Und das, weil ich dir geholfen habe!" Natürlich war ich stolz auf meine Leistung. Ohne mich wäre Marco nicht so weit gekommen. Alleine den Baum hätte er nie ohne mich zum Auto schleppen können. Ich war ein wichtiger Bestandteil in diesem Diebstahl.
Marco schnaubte belustigt. "Wir müssen den Baum noch in meine Wohnung stellen, erst dann haben wir offiziell gewonnen. Aber ja. Wenn nicht zufällig noch jemand die nächste halbe Stunde ein Bild von dem Baum seines Mitspielers schickt, haben wir den Sieg in der Tasche!" Der Stürmer grinste wie ein Honigkuchenpferd. Auch er freute sich offensichtlich darüber den Sieg zum Greifen nahe zu sein.
Wir parkten neben Marcos Aston Martin in der Tiefgarage unter Marcos Wohnung. Während der Fußballer den Baum am Stamm nach hinten zog, hatte ich mich zwischen Beifahrersitz und Baum gequetscht und schob ihn nach hinten. Wie schon zuvor im Haus von Marcel trugen wir den Baum zum Aufzug. Es sah schon ziemlich komisch aus, wie wir, den Tannenbaum zwischen uns, gemeinsam in den vierten Stock fuhren.
Im zweiten Stock öffneten sich die Türen und eine ältere Frau tauchte dahinter auf. Geschockt starrte sie zuerst auf uns, dann auf den Baum. Es war Frau Schanz, eine nette Witwe, die einen Schäferhund namens Strolch hatte. Ich kannte sie eigentlich nur vom Sehen her, wir hatten nur ein oder zwei mal miteinander geredet. Dafür kam Marco ganz gut mit ihr zurecht. Zum Beispiel wusste ich, dass er ihr, wann immer er in England war, echten englischen schwarzen Tee und aus Italien ihre Lieblingspesto. Dafür brachte sie ihm immer mal wieder etwas Süßes nach oben. Sogesehen führten die zwei eine richtig süße Beziehung zwischen Beinahnachbarn. Ich mochte sie.
"Oh, ähm. Guten Abend Frau Schanz. Wollen sie nach unten?" Man hörte ganz klar die Verlegenheit aus Marcos Stimme. Die ältere Frau anscheinend auch, denn sie zog die Augenbrauen hoch, so wie es meine Oma immer gemacht hatte, als sie uns Kinder verbotenerweise am Süßigkeitenschrank entdeckt hatte.
"Mein lieber Marco. Sehe ich da etwa einen Tannenbaum?" Marcos Wangen wurden eine Spur roter. Da fing sie plötzlich an zu grinsen. "Heißt das etwa, dass du endlich mal eure Weihnachtstradition gewonnen hast? Nach all den Jahren jetzt endlich. Oh, das ist ja wundervoll!"
Ich war baff. Marco hatte ihr davon erzählt, dass er und seine Mannschaftskameraden sich gegenseitig ihre Bäume klauten und sie feierte es sogar? Das war echt.... Unglaublich!
Mein Freund dagegen begann zu strahlen. "Das ist Marcels Weihnachtsbaum. Sie wissen doch, der Mann, den Sie damals mit einem Golfschläger bedroht haben."
Die Geschichte wurde ja immer schöner. "Ähm, bitte was?", fragte ich, gerade, als sich die Aufzugstüren wieder schließen wollten. Schnell fasste Marco dazwischen. Frau Schanz grinste nur wie eine Katze, die gerade eine extra Portion Sahne bekommen hatte. "Ich habe vor einem halben Jahr beobachtet, wie ein Fremder in den Aufzug stieg, also bin ich hinterher. Man weiß ja heutzutage nie, was sich für komische Gestalten einschleichen wollen. Auf jeden Fall drückte er auf die Nummer vier, in dem sich nur Marcos Apartment befindet. Ich wusste aber, dass er ja gerade bei seiner Familie zu besuch war, also schnappte ich mir den Golfschläger meines verstorbenen Mannes und hinderte ihn an der Flucht."
Der Fußballer gluckste vergnügt und erzählte weiter.
"Naja, ich hab Marcel damals meine Schlüssel geliehen, weil ich seine Küchenmaschine ausgeliehen habe, mit der ich Yvonnes Kuchen gemacht hatte. Frau Schanz hat die Polizei verständigt, die mich dann dazu geholt hat. War eine ganz witzige Geschichte."
Ich stand mit offenem Mund im Aufzug, während Frau Schanz bei der Geschichte nur schmunzelte und Marco lachte.
"In unserem Haus gibt man noch aufeinander acht!", meinte die alte Dame mit bestimmender Stimme, als wäre sie Batman persönlich, der für Recht und Ordnung in Gotham sorgte. Naja, mit ihrer Methode war da schon etwas dran. "So sieht es aus! Einen schönen Abend Ihnen noch!", konnte Marco gerade noch sagen, bevor sich die Türen abermals schlossen. Frau Schanz hob lächelnd die Hand, dann war sie weg.
"Das ist - ähm- Ich kann nicht glauben, dass du mir das bis jetzt noch nie erzählt hast!", meinte ich empört, während sich der Aufzug wieder in Bewegung setzte. Mein Freund zuckte mit den Schultern, während er mich frech angrinste. "Hat sich bis jetzt noch nie ergeben."
Bevor ich noch etwas erwidern konnte, hielt der Aufzug mit einem 'Pling' und wir kamen in Marcos Wohnung an. Wir lehnten den Baum gegen eine Wand und machten uns auf die Suche nach seinem Baumständer. Nach kurzer Suche fanden wir ihn dann unter dem Weihnachtsschmuck.
Den Tannenbaum aufzustellen, erwies sich als die größte Herausforderung von allem. Wieder sollte Marco ihn halten, während ich ihn versuchte festzumachen. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand er dann endlich. Zwar etwas schief, aber er stand. Ohne noch weiter Zeit zu verlieren, schnappte sich der Fußballer sein Handy und schoss ein Foto, dass er sofort in die Mannschaftsgruppe schickte. Dort ging schon die Post ab. Natürlich hatte Marcel sofort den Verlust seines Baumes gemerkt und hatte gleich danach in die Gruppe gefragt, wer dafür verantwortlich war.
Jeder beschuldigte jeden. Das Witzige war ja, dass anscheinend keiner Marco verdächtigte. "Was warst du denn bis jetzt für ein schlechter Einbrecher, wenn sie nicht einmal an dich denken! Sie haben ja sogar Moukoko im Verdacht und der ist fünfzehn!" Ich bekam mich nicht mehr ein. Lachend ließ ich mich neben ihn auf das Sofa fallen und pikste ihn neckisch. Beleidigt schubste er mich von der Couch. "Das sind alles Idioten. Jetzt sehen sie ja wozu ich fähig bin!"
"Ähm ja... Wozu DU fähig bist!" Besserwisserisch grinste ich ihn an, worauf er mir die Zunge herausstreckte. Sehr erwachsen Herr Reus. Wirklich sehr erwachsen.
"Was schreiben sie denn auf dein Bild?"
Stolz als hätte er die Champions League gewonnen, hielt er mir sein Handy unter die Nase. "Das wir zwei uns jetzt auf ein Haufen Geschenke freuen können!"
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Adventskalender
Fiksi PenggemarKleine Geschichten, die die Vorweihnachtszeit versüßen. Eine Geschichte geht zwei Kapitel lang, sodass am vierundzwanzigstens hoffentlich zwölf Geschichten entstanden sind. Letztes Jahr ist dein Adventskalender leider ausgefallen, Mareike, aber dies...