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Ungeduldig lief Yoongi in seinem Zimmer auf und ab. Den Duft von Verbranntem nahm er kaum wahr, während er auf das Display seines Handys starrte. Immer wieder biss er sich auf die Unterlippe. Eine Angewohnheit, die er nicht abschütteln konnte, egal, wie viel Schmerz er sich dabei zufügte.
Obwohl er erwartet hatte, dass der Fremde ihm sofort antworten würde, erschrak ihn das: „Pling“, so sehr, dass er zusammen zuckte, ehe er hektisch auf das Nachrichtensymbol tippte.

[Weirdo]
› Du entschuldigst dich bei mir? Woher kommt der Sinneswandel? ‹

Es war gleichermaßen Wut, als auch Erleichterung, die Yoongi tief durchatmen ließ, als er einen Moment stehen blieb um die Nachricht zu lesen.

[Yoongi]
› Wer sagt, dass ich mich entschuldigt habe? ‹

Schrieb er und konnte das Lächeln auf seinen Lippen nicht vermeiden. Ein Lächeln, was nur von kurzer Dauer war.

[Weirdo]
› Danke, Daddy! ‹

[Yoongi]
› Uff… ‹
› Wie heißt du eigentlich? ‹

[Weirdo]
› Babyboy? ‹

[Yoongi]
› Ach komm schon. Ich meine deinen richtigen Namen. ‹

[Weirdo]
› Jimin… ‹

[Yoongi]
› Jimin also… Schöner Name! ‹

[Jimin]
› Danke~ ‹

[Yoongi]
› Wow, mal kein „Daddy“? Ich bin beeindruckt. ‹

Das Jimin, ebenso wie er selbst, Koreaner sein musste, hatte Yoongi bereits an seiner Nummer gesehen aber dennoch war er noch immer skeptisch. Immerhin konnte der junge Mann alles Mögliche erzählen und Yoongi würde nie Mals herausfinden, ob er die ganze Zeit belogen wurde oder nicht. Warum er es nicht einfach sein ließ, konnte er kaum sagen. Es war eine seltsame Anziehungskraft, die ihn alles um sich herum vergessen ließ und ihn beinahe dazu zwang, zu antworten. So beschloss er, der Sache etwas näher auf den Grund zu gehen.
Zu verlieren hatte er ohnehin nichts, oder doch?

[Yoongi]
› Also gut, Jimin. Wie alt bist du? Wo wohnst du und was machst du in deiner Freizeit? ‹

[Jimin]
› Ich… bin 19? Wohne in Seoul und tanze gerne? ‹

Verwirrt runzelte Yoongi die Stirn. Dass Jimin offensichtlich beinahe im gleichen Alter war, wie er, und zudem in Seoul, in derselben Stadt wohnte, ließ ihn misstrauisch zurück, doch es war noch eine andere Sache, die ihn stutzig machte.

[Yoongi]
› Warum die Fragezeichen? Rätst du oder was? ‹

[Jimin]
› Nein ich… Du schüchterst mich ein. Irgendwie… ‹

[Yoongi]
› Uhm… ‹

[Jimin]
› Ich bin es gewohnt, also mach dir nichts draus. Du bist viel älter als ich, oder? ‹

[Yoongi]
› Du bist es gewohnt? Was meinst du damit? Ist das so ein krankes, sexuelles Ding mit Dominanz und so? ‹

Skeptisch setzte Yoongi sich auf die Kante seines Bettes, ohne den Blick vom Display zu lösen. Schon früh hatte er eine Faszination gegenüber den abtrünnigen Seiten des Internets empfunden und sich bereits mit Sechzehn auf Seiten herum getrieben, die für seine Augen noch nicht bestimmt gewesen waren. Er liebte es, sich selbst an Grenzen zu bringen und wählte nicht selten den Weg der Kriminalität, um dem Adrenalin die Macht zu geben, sein Leben, lebenswerter zu machen.
In Südkorea galt Homosexualität noch immer als unnatürlich und es war undenkbar ein gleichgeschlechtliches Paar dabei zu beobachten, wie es in der Öffentlichkeit Händchen hielt oder gar einen Kuss austauschte. Seine Mutter war nicht minder konservativ und hatte ihn streng dahingegen erzogen, dass rein das Bild von Mann und Frau, Platz in der Gesellschaft hatte. Dass aber selbst Themen, wie der Sex zwischen Mann und Frau, völlig undenkbar für eine Konversation waren, hielt selbst er für übertrieben.
So war Yoongi schnell auf Seiten im Internet gestoßen, die sich im Illegalen, hinter listigen Upload Filtern verbargen, um sich in der Pubertät die Informationen zu besorgen, die er brauchte. Es war also kein Zufall, dass ihm dabei Begrifflichkeiten wie Daddykink, BDSM und andere Vorlieben, durchaus geläufig waren.  

[Jimin]
› Das ist nicht… krank. Aber nein, darum geht es nicht. Ist auch nicht so wichtig. Erzähl mir lieber etwas über dich. Du hast meine Frage gar nicht beantwortet. ‹

[Yoongi]
› Hm… Ich bin 20. Keine Ahnung, was ich sonst noch sagen soll. Ich bin nicht sonderlich spannend. ‹

[Jimin]
› Also doch nicht so viel älter als ich. ‹
› Was machst du denn so, außer Mädels auf Partys abzuschleppen? Was ist deine Lieblingsfarbe? ‹

[Yoongi]
› Nicht jeder kann ein Beziehungstyp sein aber ich wüsste nicht, was dich das angeht. Meine Lieblingsfarbe ist Lapislazuli- Blau und ich hätte lieber, dass du mich Suga, anstatt Yoongi nennst. Die meisten nennen mich Suga. ‹

[Jimin]
› SugarDaddy~ ‹

[Yoongi]
› Jimin! Ich dachte wir sind über das „Daddy“ hinweg. ‹

[Jimin]
› Spaßverderber. ‹

[Yoongi]
› Jedenfalls studiere ich Musik, rappe und schreibe Texte. ‹

[Jimin]
› Oh Hyung und du sagst, du bist nicht spannend? ‹

[Yoongi]
› Du stehst wohl drauf mir Spitznamen zu geben, was? ‹
› Nein warte, ich will es gar nicht wissen! ‹

[Jimin]
› Suga es gibt Essen, da darf ich mein Handy nicht dabei haben. Lauf nicht weg, ja? ‹

Unwillkürlich musste Yoongi lachen. Warum und wo hin sollte er schon laufen? Tatsächlich fühlte er sich oft wie gefangen in seinen eigenen, mit Postern behangenen Wänden. Wie in seinem ganz persönlich erschaffenen Käfig, den er sich weigerte zu verlassen.
Er hasste die Sonne, welche oft viel zu hell war und nicht nur seine Augen, sondern auch seine helle Haut innerhalb von Sekunden zum Brennen brachte. Auch die Luft war für seinen Geschmack deutlich zu heiß und generell genoss er es, atmen zu können.
Die vielen Menschen in den engen Straßen, das Lachen und die fremden Gerüche überreizten seine Sinne sofort und es glich einem Slalomlauf ums Überleben, wenn er sich doch mal am Tag vor die Tür traute. Auch dann sah man ihn nur mit Kopfhörern über den Ohren und großer Sonnenbrille.
Yoongi war ein absoluter Nachtmensch.
Wenn die Sonne, dem Mond am Horizont eine gute Nacht wünschte, brauchte er seine Schutzmaßnahmen nicht mehr. Dann genoss er es in vollen Zügen, den Melodien zu folgen, welche der Wind durch die verwinkelten Seitengassen zu ihm trug.
Ein Straßenkünstler, mit seinem alten Cello, welches die kühle und feuchte Nacht schon etwas verstimmt hatte oder eine Stimme aus einen offenen Fenster, welche zu den Songs des Radios summte. Selbst das Wummern der Bässe, welches immer dann durch die Nacht schallte, wenn jemand die dicken Türen der Clubs öffnete, um frische Luft zu schnappen.
Seoul war riesengroß. Man konnte sich mit Leichtigkeit verlaufen und verloren gehen. Ganz besonders dann, wenn man im Herzen derart einsam war, wie Yoongi. Das einzige Zuhause, welches ihn wie ein Kompass, immer wieder zurück rief, war die Musik.

Ein lautes Magenknurren riss ihn plötzlich aus seinen Gedanken und erschrocken schreckte er hoch.
„Fuck!“
In übler Vorahnung stürmte er zur Küche und riss den Backofen auf. Augenblicklich musste er hustend in Deckung gehen, als ihm eine dunkle Rauchwolke entgegen kam.
Das war´s dann wohl mit der Pizza.
Frustriert stemmte Yoongi die Fäuste in die Seiten und seufzte. Nur zu gerne wäre er in diesem Moment bei Jimin, obwohl er ihn gar nicht wirklich kannte. Vermutlich saß er gerade sicher in einem warmen, gemütlichen Esszimmer. Den Duft von frisch gekochten Speisen in der Luft und seine Mutter reichte ihm wohlmöglich lächelnd einen vollen Teller.
Yoongi stellte sich vor, wie Jimins Vater sich nach seinem Tag erkundigen würde und die Frage, ob Jimin wohl Geschwister hatte, drängte sich ihm auf.
Es musste schön sein, in einer intakten Familie zu leben mit Menschen, die sich wirklich für das eigene Leben interessierten.
Während er die verbrannte Pizza in den Mülleimer beförderte, schüttelte er kaum merklich den Kopf.
Ihm war all das nicht vergönnt, denn er war allein.

PSYCHOTIC [YoonMin] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt