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--Jimin Pov--

Das Ticken einer Uhr, dessen Standort Jimin nicht orten konnte, hallte in seinem Kopf wieder, als wäre es allein für ihn bestimmt. Als wolle es ihm mitteilen, dass seine Zeit dabei war, abzulaufen. Unaufhaltsam schonungslos und doch so langsam, dass ihm jede Sekunde der Qual viel zu lang erschien.
Die hölzern vertäfelten Wände des verrotteten Geräteschuppens, schienen vor Lebendigkeit zu atmen. Von Schimmelsporen durchzogen, lockte das feuchte Holz allerleih Getier an und der modrige Duft brannte unangenehm in Jimins Nase.
Klammes Moos zog sich wie ein dünner Teppich über den alten Dielenboden und bot ihm nur wenig Möglichkeit, auf dem glitschigen Holz Halt zu finden. Immer wieder glitten seine Finger über den schleimigen Film des Mooses, während er sich noch enger in die Ecke des Schuppens drängte.
Er konnte die Schritte der schweren Stiefel bereits im Laub der Wahlnussbäume hören.
Seit geraumer Zeit, hatte sich das Monster unter seinem Bett zu etwas viel Bedrohlicherem entwickelt. Zu einer Gefahr, die sein Kinderverstand kaum fassen konnte.
Erschrocken presste sich Jimin beide Hände auf den Mund, als das Ungeheuer um den Geräteschuppen schlich und ihn zu wittern schien.
Bebend vor Angst, hielt Jimin die Luft an. Seine Hände rochen nach feuchter Erde, Moos und dem süßen Gebäck, welches er noch am Vormittag gegessen hatte. So voller Unschuld hatte er sich den Puderzucker von den vollen Lippen geleckt und sich mit großen Augen verbeugt, als er seinem Vater für die Süßigkeit dankte.
Von unschuldigem Puderzucker war in seiner Hölle zwischen tickenden Uhren und schimmeligem Holz allerdings nichts mehr übrig gewesen. Nur noch erbarmungslose Angst und der Wunsch, die Zeit in seinem Kopf würde endlich ablaufen waren es, die ihn umhüllten.
Er wusste was ihm bevorstehen würde, als er erschrocken die Augen zusammen kniff genau in dem Moment, als sich die alte Tür des Schuppens öffnete.

„Geh weg!“
Schweißgebadet fuhr Jimin aus dem Schlaf.
Die haltlose Panik, schüttelte seinen Körper, während er sich nach vorne beugte und trocken in seinen Schoß würgte.
Die verwahrloste Laube war verschwunden und mit ihr sein persönliches Ungeheuer, doch auch der kleine, stockdunkle Raum in dem er sich befand, vermochte es nicht, seine Panik zu lindern.
Keuchend atmete er die stickige Luft ein, kämpfte gegen die drohende Panikattacke und die atemberaubende Übelkeit an.
Immer wieder ermahnte er sich, die Ruhe zu bewahren. Sich zusammen zu reißen und den Verstand nicht zu verlieren, doch dieser hing an einem derart fragilen Faden, dass die Aufgabe bei Verstand zu bleiben schier unmöglich erschien.
Das Ticken der Uhr dröhnte noch immer in seinem Kopf, während er die Distanz zum Lichtschalter überbrückte und sich mit dem Handrücken vor dem grellen Licht schützte.
Vermehrt plagten den jungen Mann Alpträume und Panikattacken, fast jede Nacht und schmerzerfüllt dachte er an den blauen Schmetterling zurück. Wie sich der sanfte Flügelschlag auf seiner Haut angefühlt hatte und wie sorglos er aus dem Fenster geflattert war.
Alles würde Jimin geben, um er sein zu können. Nur ein nächtlicher Flug im Licht des Mondes war es, der ihm die Welt bedeuten würde. Nur einmal wollte er die Freiheit in seiner Lunge spüren, wieder tief Luft holen zu können ohne sich permanent beobachtet oder verfolgt zu fühlen.
Doch das Ticken, war immer noch da, als Jimin versuchte, tief Luft zu holen. Es verschwand nicht, selbst dann nicht, als er sich verzweifelt die Ohren zu hielt und leise begann ein Lied zu summen, welches er irgendwo aufgeschnappt hatte.
Energisch klammerte er sich an das Bild des blauen Schmetterlings. Wie sich die kleinen Füßchen auf seiner Haut angefühlt hatten und wie hübsch er gewesen war.
So zart und klein, voller Unschuld und Reinheit, nicht ahnend, was ihm bevor stehen würde.
Die Bilder in Jimins Kopf entglitten ihm. Nahmen bizarre Formen an und begannen höhnisch über ihn zu lachen.
Gelächter übertönte letztlich sogar das Ticken der Uhr, als er seiner eigenen Hand dabei zusah, wie sie sich um den Schmetterling schloss.
Das heftige Flügelschlagen und der panische Überlebenskampf des hübschen Insektes, fand schnell sein Ende.

Panisch riss Jimin die Augen erneut auf und starrte auf seine Handflächen. Rasselnd strömte der Atem aus seinen Lungenflügeln und so langsam vermutete er, schlicht an zu viel Panik zu sterben.
Es befand sich kein toter Schmetterling zwischen seinen Fingern und gelöst brach das heisere Schluchzen über ihn ein.
Speichel und salzige Tränen stürzten ihm den Rachen hinunter, während er schrie. Sich all den Schmerz aus der Seele schrie, bis die Tür seines Zimmers sich öffnete und schützende Arme sich um ihn legten. Doch sie gehörten nicht zu Yoongi, oder zu jemandem, der ihm wirklich hätte helfen können.
Circa vierzehn Tage war es her, seit dem er zuletzt von Yoongi gehört hatte.
Unzählige Male schon hatte er verzweifelt versucht Kontakt zu ihm aufzunehmen, doch stets gingen seine Anrufe und Nachrichten irgendwo im Labyrinth der umherschwirrenden Datensätze verloren.
Immer mehr fühlte er sich abgeschnitten von sich selbst und der ganzen Welt, während er sich fragte, ob er sich Yoongi nur herbei fantasiert hatte. Vielleicht aus Langeweile, oder als Erzeugnis seines verwirrten Verstandes.
Merklich jagte er einem Phantom hinterher. Einem Trugbild, welches aus Satzfragmenten und einem einzigen Bild bestand.
Ein zäher Tag reihte sich an den nächste, bis Jimin aufhörte zu zählen und das Blinken seiner Benachrichtigungs- Leuchte am Smartphone zuerst überhaupt nicht mehr wahrnahm.

PSYCHOTIC [YoonMin] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt