[8]

51 7 0
                                    

Pulsierend erhellte schwaches, rotes Licht die kahlen Wände Jimins Zimmers, während er sich keuchend unter der Kraft einer seiner Alpträume hin und her warf.
Zwischen Angst und verschwitzten Laken leuchtete seine Haut immer dann rot auf, wenn das nächste Intervall an Licht das Zimmer flutete und lange Schatten über die Wände und den Boden jagte.
Dass es sich bei dem pulsierenden Licht um die Anzeigeleuchte seines Smartphones handelte, realisierte Jimin erst in dem Moment, als ein Vibrieren ihn aus dem Schlaf riss und er sich kerzengerade auf setzte.
Hustend schnappte er nach Sauerstoff, während die Vibration des eingehenden Anrufs ihm durch Mark und Bein ging. Völlig desillusioniert und orientierungslos, wischte er sich mit dem Shirt über das schweißnasse Gesicht und überlegte panisch, was er tun sollte.
War der Anruf eine Einbildung? Ein einfaches Gespinst seines verwirrten Verstandes und somit lediglich da, um ihm weh zu tun? Oder steckte wirklich der Mann hinter dem Anruf, dessen Namen auf dem Bildschirm dazu aufforderte, abzunehmen.
Dass Yoongi jemals existiert hatte, war längst nichtmehr Teil Jimins Realität und doch hielt allein der empfindliche Hoffnungsschimmer ihn davon ab, völlig den Bezug zu der Welt zu verlieren, die sich außerhalb seines Kopfes abspielte.
Eher automatisiert, als rein aus überlegtem Kalkül, fanden Jimins Finger schließlich über den Bildschirm und noch während er auf das Handy in seiner Hand starrte, meldete sich eine tiefe, aufgelöste Stimme.
Seltsam blechern und leise klang sie durch die kleinen Lautsprecher, bis Jimin allen Mut zusammen nahm und den Hörer an sein Ohr presste.
„Jimin? Bist du dran, oder… oder nicht? Verdammt, bitte, ich kann verstehen, dass du sauer bist. Ich wäre es auch und-„
„Yoongi?“
Jimins Stimme zitterte bedenklich und hörte sich völlig fremd in seinen Ohren an, als er den jungen Mann am anderen Ende der Leitung unterbrach.
Konnte das alles tatsächlich mehr als ein Hirngespinst sein? Oder war er lediglich noch zu tief in einem Traum gefangen, der ausnahmsweise mal etwas Gutes an sich hatte?
„J-ja? Jimin…“
Eine lange Pause hatte es bis zu Yoongis Antwort gegeben und tatsächlich klang nun auch seine Stimme weit weniger sicher, dafür aber beruhigter.
„Vielleicht sollte ich den Mund halten und mich einfach entschuldigen, oder?“, flüsterte die tiefe Stimme und dass Jimin begonnen hatte zu weinen merkte er erst dann, als einige warme Tropfen ihm die Wangen hinunter liefen.
„Nein! Nein, bitte halte nie wieder den Mund, hörst du? Wo… wo warst du, verdammt? Bist du überhaupt real?“
Mit bebenden Lippen kämpfte Jimin darum, nicht einfach los zu schluchzen und sich somit wohl definitiv den Platz des hysterischen Geisteskranken zu sichern.
Augenblicklich kam er sich absolut dämlich bei dem Gedanken vor, wie viel er um einen fremden, jungen Mann geweint hatte, dessen tiefe Stimme er nicht einmal gekannt hatte, genauso wenig wie die Umstände seiner Abwesenheit.
Vermutlich hatte Yoongi einfach einige stressige Wochen in seinem eigenen Leben gehabt, zu welchem Jimin nie Mals einen Zugang bekommen würde und vermutlich hatte er sich viel mehr Gedanken um alles gemacht, als Yoongi.
Er hatte sich an ihn geklammert, als wäre er sein letzter Strohhalm, obwohl Yoongi nicht mal wusste, wie er aussah, oder wer er wirklich war.
„Es tut mir leid, Yoongi! Ich war zu aufdringlich, oder? Deswegen hast du dich nicht gemeldet.“
Nun brach das Schluchzen doch aus Jimin heraus und hasserfüllt schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Yoongi lebte, Yoongi hatte ihn angerufen und Yoongi spielte in einer unerreichbaren Liga, die gar keinen Kontakt mit jemandem wie ihm haben sollte. Einfach, weil sie etwas Besseres verdient hatten.
„Jimin, hey! Hör auf zu weinen, komm schon! Du warst nicht zu aufdringlich. Ich war einfach ein Idiot. Namjoon hat mir ein blaues Auge dafür verpasst, dass ich auf diesem scheiß Dach lag und mein Handy habe fallen lassen. Ich war völlig betrunken und erinnere mich an fast nichts mehr, aber Namjoon hatte sich wohl Sorgen gemacht und mich schließlich vom Dach geholt.“
Es war deutlich zu hören, wie verzweifelt Yoongi versuchte, eine Erklärung zu liefern, mit der er Jimin beruhigen konnte.
Seine Stimme überschlug sich fast.
„Namjoon ist mein bester Kumpel, übrigens. Jedenfalls sieht es bei mir finanziell nicht sonderlich gut aus. Ich konnte mir kein neues Handy leisten und… naja Namjoon hat mir das Geld geliehen, weil ich fast verrückt geworden bin. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Keine Ahnung was ich mir gedacht habe. Ich wollte eben nicht das… das…-„
„Ich bin einfach froh, dass du lebst, Yoongi. Das du einfach lebst…“, flüsterte Jimin mit kratziger Stimme in den Hörer und schüttelte den Kopf.
In diesem Moment wurde ihm klar, dass Yoongi nie weg gewesen war. Egal, ob er keine Möglichkeit gehabt hatte, Kontakt mit ihm aufzunehmen, er hatte ihn zu keinem Zeitpunkt vergessen. Ein Band war zwischen ihnen geknüpft worden, welches über den Zeitraum der Kommunikation hinaus bestand. Ein Band, welches sich nicht in einem Bereich der Freundschaft geschlossen zu haben schien.
Yoongi war ein real existierender Mensch, mit einer wunderschön beruhigenden Stimme, der sich die Mühe gemacht hatte, ausgerechnet ihn anzurufen. Ihn, der sonst nur von Selbstzweifel und Unglück verfolgt wurde.
Die Realisation darüber, dass er mit einem jungen Mann aus seiner Stadt und in seinem alter telefonierte, so wie Jugendliche es für gewöhnlich eben taten, schlug ein wie eine Bombe.
Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum, während er aufmerksam dem fremden Atem lauschte und sonst kein Wort mehr über die Lippen brachte. Woher die plötzliche Verlegenheit kam, konnte er sich nicht erklären, aber fest stand, dass Jimin seit langer, langer Zeit überhaupt wieder ein Wort gesprochen hatte.
„Sag bloß, du hast mich vermisst.“, scherzte Yoongi unsicher, vermutlich um die Situation aufzulockern und tatsächlich breitete sich ein schüchternes Schmunzeln auf Jimins Lippen aus, während die letzten Tränen ihren Weg über seine Wangen fanden.
„Du bist wirklich ein Idiot, Yoongi!“, flüsterte er schließlich, doch seine Stimme hörte sich dabei weit weniger kraftvoll an, als er es geplant hatte.
„Ich halte mich in Zukunft von Dächern fern, ich schwör´s.“, murrte Yoongi leise und setzte ein Paar Mal an, ehe er den nächsten Satz von sich hören ließ.
„Es tut gut, deine Stimme zu hören. Immerhin konnte ich mir auch nicht sicher sein, ob du wirklich existierst.“
Stumm stimmte Jimin ihm zu, auch wenn das Kompliment ihn heftig zum Erröten brachte und er froh war, nicht direkt vor dem hübschen Koreaner zu stehen.
Yoongi hatte nicht einmal ein Foto von ihm gesehen. Prinzipiell wusste er rein gar nichts über ihn und doch machte er sich Sorgen, rief ihn an und investierte Zeit in eine Konversation, mit einem Menschen, dessen Gesicht er nicht kannte.
Jimin allerdings konnte sich noch zu gut an Yoongis Gesicht erinnern. Das Bild, welches der Blondschopf in jener Nacht, vor dem unglücklichen Kontaktabbruch gesendet hatte, war ihm immer wieder durch den Kopf gegangen. Stunde um Stunde hatte er in die katzenhaften Augen gestarrt und jedes Detail des Gesichtes studiert, um sich zu vergewissern, dass all das keine Halluzination gewesen war.
Tatsächlich hatte er sich eine andere, höhere Stimme vorgestellt, wenn er an Yoongis sanftes, beinahe androgynes Gesicht dachte, doch die samtig tiefe Stimme, ließ sein Herz ganz automatisch schneller schlagen.
„Okay, ich muss auflegen, Jimin.“
„Bitte… bitte vergiss mich nicht, sobald du aufgelegt hast, Idiot.“
Hörbar schmunzelte Yoongi, ehe er auflegte. Nur Sekunden später, machte sich eine Textnachricht bemerkbar. Konzentriert starrte Jimin auf die Buchstaben, ehe ein seltsames Geräusch ihn irritiert zusammen zucken ließ. Zum ersten Mal seit langem drang ein Lachen, tief aus seiner Kehle und hörte sich deutlich eingerostet an.

[Yoongi]
› Vom Daddy zum Idioten. Spitznamen sind wirklich dein Ding, was? Ich habe dich übrigens noch nicht vergessen, dass wollte ich dich wissen lassen. ‹

PSYCHOTIC [YoonMin] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt