Kapitel 7 - Geheimnisse im Geräteraum

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Er stand vor meiner Tür im Gang und lehnte an der Wand, als ich gerade heraustrat. Seine Haare waren nach hinten gebunden und sein enges Sweatshirt zeigte mir, dass er brav die Trainingseinheiten der Volleyballmannschaft einhielt.
Das Gespräch lag nun schon Monate zurück. Jeder wusste von unserer Beziehung, obwohl wir es nie öffentlich gemacht hatten.
Sasuke und ich liefen nicht Händchen haltend durch den Gang oder küssten uns auf dem Hof vor der Schule. Das taten wir nur, wenn wir allein waren. Ganz unter uns.
"Kommst du?", fragte er und stieß sich von der Wand ab. Ich sah dabei, dass er das Buch hinter seinem Rücken hervorholte.
Seufzend griff ich nach meinem dünnen Mantel hinter der Tür und kam dann auf ihn zu. "Schon bereit."
Er legte einen seiner langen, schweren Arme um meine Schultern, das einzige Indiz für unsere Beziehung, und zog mich an seine linke Seite. "Ich sage dir jedes Mal, dass du keine Jacke brauchst."
"Nur, weil dir nie kalt ist...", gab ich fast schnippisch zurück.
Ich liebte es, wie wir beide mit steinhartem Blick durch die Schule liefen, keiner wusste, ob es eine Liebesbeziehung oder nur eine schnelle Affäre war, und jeder hingebungsvolle Moment war nur zwischen uns beiden. Diese Pärchen, die jedem ihre tiefe Liebe zwischen den Klassenräumen zeigten, kotzten uns beide an.
Wir liefen den gewohnten Weg rüber zur Sporthalle und passierten dabei Tenten und Neji, die sich in eine Nische zurückgezogen hatten, um Gott wusste was zu treiben. Es war Frühling, es lag dieses gewisse Knistern in der Luft, das Sasuke immer öfter vor meine Zimmertür trieb.
Uns war beiden schnell klar geworden, dass wir keine gewöhnliche Beziehung wollten, bei der man fünf Stunden lang telefonierte oder Dates im nächsten fast food Restaurant organisierte. Wir gingen auf keine Doppeldates, obwohl Hinata und Naruto irgendwann so nervig wurden, dass wir es doch in Betracht zogen, und verbrachten nicht jeden Tag miteinander. Er hatte sein Leben, ich meins. Und manchmal, in besonders guten Momenten, kreuzten sich unsere Wege.
Vor der Sporthalle nahm er seinen Arm von meinen Schultern und hielt mir die Hintertür auf. Andere gingen im Wald oder am See Picknicken. Wir taten das hier.
Wir schlichen nach dem Unterricht in den Geräteraum der Sporthalle und machten es uns auf den Matten und Kissen für den Sportunterricht bequem.
Schlussendlich lehnte Sasuke gegen eine Weichbodenmatte, ich hatte meinen Kopf auf seine ausgestreckten Beine gelegt und hörte ihm mit geschlossenen Augen zu. Er las etwas aus einem unserer Lieblingsbücher. Manchmal lagen wir stundenlang einfach nur so da, bis sein Arm müde wurde und wir eine andere Position einnehmen mussten.
"Nicht einschlafen.", sagte er und stupste mich mit seinem Ellenbogen an.
Ich seufzte und schlug seinen Arm weg. "Ich schlafe nicht."
Und dann hörte er irgendwann auf zu lesen und wir bewegten uns.
Manchmal saßen wir dann nebeneinander und philosophierten über Musik, Kunst, Literatur oder das Leben. Manchmal schlichen wir weiter in die Halle und schlugen uns ein paar Bälle zu, bis meine Unterarme von seinen harten Schlägen so brannten, dass ich keine Lust mehr hatte. Manchmal schwiegen wir uns und die Welt an und hörten aufmerksam darauf, ob jemand antwortete. Manchmal hassten wir die Erde und all ihre Bewohner zusammen. Und manchmal küsste er mich und wir verfielen einem Wahn, der uns beide so gefangen hielt, dass wir uns nicht mal zum Atmen von einander lösen wollten. Er zog mich näher an sich heran, ich schnappte bei jeder Gelegenheit nach ein wenig mehr Luft und dann drehten wir uns auf der Matte und er küsste mich noch intensiver, hungriger, wahnsinniger.
Oftmals wurde das Rumgeknutsche an einem Punkt zu viel und wir verfielen wieder in ein angenehmes Schweigen. Seite an Seite saßen wir nebeneinander und stahlen heimliche Seitenblicke, bis die Spannung wieder so groß wurde, dass er eine seiner großen Hände in meine kurzen rosa Haare grub und mich küsste und küsste bis wir uns verloren.
Er sagte nicht "ich liebe dich", ich sagte nicht "ich liebe dich" und es war gut so. Ich meine, das nächste an einer Liebeserklärung, das er jemals geäußert hatte war: "Gott, ich glaube, ich würde ohne dich völlig verrückt werden." Danach hatte ich tatsächlich gekichert und er hatte mich so lange in die Seite gepikt, bis ich ihn anflehte aufzuhören, da ich dort sehr kitzelig war. Er hörte nicht auf, sondern nahm mich bei der Hüfte und zog mich näher zu sich heran. Küsste mich auf die Stirn, die Wange, das Kinn. Dann legte er sich auf meine Brust und schloss die Augen, während ich ihm durch die langen schwarzen Haare strich.
"Du solltest dir mal wieder die Haare schneiden.", murmelte ich an die Decke gerichtet und er knurrte nur genervt in meine blasse Haut. Dann hob er den Kopf etwas und küsste mich am Hals.
Erst am Abend, wenn überhaupt, verließen wir unser kleines Versteck wieder. Völlig ausgehungert und sehr durstig. An manchen Tagen trafen wir auf unsere Freunde und gingen zusammen etwas essen. An den anderen Tagen saßen wir in einem kleinen Restaurant in der Innenstadt, wo uns keiner kannte und wo niemand wusste, dass wir uns das Restaurant gegenseitig zum Geburtstag schenken könnten. Wir redeten immer noch nicht viel, sahen uns mit müden, begehrenden Blick an, ein Mundwinkelzucken hier, ein über die Lippen lecken dort.
Er küsste mich in der kleinen Gasse hinter dem Restaurant und später liefen wir zurück zur Schule und verabschiedeten uns mit einem Nicken oder einem "Gute Nacht, bis morgen" von einander. Nichts mehr von der Intensität zwischen Apfelschorle und Pizza. Nichts mehr von der hungrigen Leidenschaft im Geräteraum. Nur die kalte Verschlossenheit, die jeder an uns sehen sollte.
Mit einem Unterschied. Sie wussten nicht, dass er die sanfteste Vorlesestimme des Universums hatte. Sie wussten nicht, dass wir manchmal im Mondschein auf dem Sportplatz "tanzten" - wenn man das alberne herumgewirbelt so nennen wollte.  Dass er lieber Orangensaft statt Apfelsaft trank. Dass ich seine Lippen überall an meinem Körper gespürt hatte. Dass er an meiner Unterlippe knabberte, wenn er mich beim Küssen ärgern wollte. Sie wussten nicht, dass er einen weichen Punkt für mich hatte. Sie wussten nicht, dass ich auch einen für ihn hatte. Wir schon. Wir wussten all das von einander. Der Unterschied waren die Erinnerungen, die wir teilten. Die Vorlieben, die Rituale, die Geheimnisse. Es war nur unser.
Wir lebten von Moment zu Moment in unserer kleinen Blase. Und es war einfach perfekt.

Swot! II - Die Ruhe vor dem Sturm Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt