🔥Kapitel 1

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~ Cave ~

Hongjoong fühlte nichts.

Keine Wut. Keine Trauer. Er war einfach... taub.
Seonghwas Tod erschien irgendwie unwirklich,  nicht real. Wie konnte das überhaupt passieren? Der Ältere hatte doch gesagt, er würde vorsichtig sein!

Nach einer langen Zeit, in der die Kälte ihm in die Glieder kroch, bewegte sich Hongjoong wieder. Wie ferngesteuert lief er zurück zu ihrem Lager und begann, die verstreuten Messer, den Kompass, die Trinkflaschen und den schmalen Kommunikator in den kleineren der beiden Rucksäcke zu räumen. Er konnte nicht ewig in dieser kleinen Höhle bleiben. Hongjoong würde nach dem Palais suchen, auch ohne Karte. Und ohne Seonghwa.

Mit routinierten Handgriffen befestigte Hongjoong ein langes Seil an einem der Stalakmiten am Eingang, dann schlüpfte er in seinen Klettergurt und zog sich Handschuhe an um seine Finger vor scharfen Kanten und den daraus resultierenden Schnitten zu schützen. Das Letzte das er hier brauchte, war eine Blutvergiftung.

Mit einem leisen Wuusch! warf er das Seil nach unten, hakte seine Karabiner ein und atmete tief durch. Nach einem letzten Blick nach oben sprang er aus der Höhle und begann, sich abzuseilen. Nach den ersten zehn Metern knipste er seine kleine Stirnlampe an, um wenigstens ein bisschen zu sehen. Er wollte nicht aufgespießt auf einer Tropfsteinsäule enden.

Der Abstieg lief überraschend glatt. Meistens konnte Hongjoong sich am Seil nach unten lassen, an manchen Passagen kletterte er lieber um vorsichtig zwischen engen Steinbergen hindurchzukommen. Er traf niemanden bis auf ein paar vereinzelte Höhlenfledermäuse, die mit leisem Gequietsche und Gefiepse einen Bogen um ihn schlugen. Yunho würde wahrscheinlich alles über sie wissen, von ihren Schlafgewohnheiten bis zu ihrer Paarungszeit aber weil Hongjoong nunmal Hongjoong war und kein überdrehter Biologe, konnte er bloß sagen, dass diese Tiere ungewöhnlich groß waren.

Einmal, als er an einem anderen Vorsprung vorbei kam, glaubte Hongjoong ein Knurren zu hören und ein Paar unheimlich glimmende Augen zu sehen aber als er genauer in die Finsternis spähte und sein Licht auf die Stelle richtete, war da nichts.

Wahrscheinlich wurde er einfach paranoid. Was sollte hier auch sein? Altägyptische Zombies?

Nein, hier war niemand außer den Fledermäusen, Yeosangs Männern irgendwo über ihm und Seonghwas Leiche irgendwo unter ihm.
Hongjoong würde die Sache einfach schnell durchziehen und auf dem Rückweg Yeosang eventuell eine Kugel in den Schädel blasen, denn er war sich sicher, dass sein Feind irgendwo hier unten war.

Dann kam auch schon das nächste Problem: Sein Seil war zu kurz.

Hongjoong musste klettern. Eigentlich kein Problem, das tat er auf Schatzsuchen ständig aber hier gab es ein Problem: a) Er wusste nicht wie weit es noch bis zum Boden war und b) Die Wände waren steil und zum Teil sogar nass. Und hier unten war es zappenduster bis auf den schmalen Lichtkegel seiner Stirnlampe.

Aber was blieb ihm anderes übrig? Wieder raufzuklettern? Hier am Seil hängend zu Verhungern? Nein, er musste diese Sache zu Ende bringen. Wenigstens für Seonghwa.

Mit Hilfe seiner Beine begann Hongjoong, das Seil zum Schaukeln zu bringen. Irgendwann schaffte er es, die Felswand zu erreichen und sich irgendwie daran festzuhalten. Dann löste er seinen Gurt vom Seil und hing schließlich ganz an der Wand. Langsam kletterte der junge Mann nach unten, langsam und vorsichtig. Einmal passte er nicht auf, wäre fast abgestürzt aber nach zwei Metern konnte er sich wieder festhalten. Das hätte ihm fast seinen Arm ausgekugelt.

Und dann, endlich, erreichte er den sandigen Boden. Sobald Hongjoong sicher stand, sah er sich um. Es gab nicht viel zu sehen außer hohen Felswänden und unzählige glitzernde Tropfsteinsäulen. Das Wasser hier unten musste vor langer Zeit Salz gebunden haben. Rechts vor Hongjoong führte ein schmaler natürlicher Gang in die Dunkelheit. Der junge Mann streckte sich kurz, dann betrat er ihn.

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Mit einem Husten zwängte sich der Blonde zwischen zwei Wänden durch einen schmalen Spalt.

Wie lange war der verflixte Gang denn noch?!

Grummelnd rückte Hongjoong seinen Rucksack zurecht, schnürte seine Schuhbändel wieder fest und stiefelte weiter. Irgendwo musste ja der Ausgang sein!

                              🔥

Da.

Licht.

Hongjoong beschleunigte seine Schritte, der rötliche Sand unter seinen Füßen wich langsam grauem Fels.
Der Blonde bog um eine Ecke.

Und dann war er da.

Vor ihm, in einer tiefen Senke, eingekeilt zwischen Felsen, stand Le Palais Rouge. Das rote Gestein des Gebäudes war einwandfrei erhalten,wurde von natürlichem Licht beleuchted und strahlte die gleiche Erhabenheit aus wie schon vor über 3000 Jahren auch. Es gab einen riesigen Haupteingang in Form eines Löwenmauls, unzählige Fenster und Dächer. Der weite Weg zum Palais war gespickt mit morschen Hängebrücken und alten Aufzügen aber das war es nicht was Hongjoong stutzig werden ließ: Vor ihm lag ein Drahtseil.

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Und? Wem gehört das Seil?

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