@unbekannt

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Ein einziger Kommentar, ein einziger Klick zwischen den wellenartigen Tiefen des Internets, hatte mich gerettet.

Vor was, weiß ich nicht, doch hätte ich den kleinen Abschnitt Text, geschrieben von einem Unbekannten nicht gelesen, würde ich vielleicht nicht mehr leben.

Manchmal will ich erzählen, will meine Geschichte aufschreiben, sie nicht für mich behalten, doch dann denke ich, was das soll. Ich will von einer schönen Kindheit erzählen, von vielen Freunden, von mir, einem glücklichen Mädchen namens Lily. Ich will erzählen, dass ich schon immer für mich gestanden hab, dass ich mich nie unterdrücken lassen habe, doch leider geht das nicht.

Fange ich an zu träumen, rieche ich Blumen, schmecke ich Süße, höre das perlige Lachen meiner Eltern. Doch träume ich so, lüge ich. Und das will ich nicht. Ich will ich sein und das ist meine Geschichte. Meine, die mir gehört, verklingen soll, wenn ich tot bin, aber nie endet.

Ich bin ich.

Mal wieder rannte ich, wollte nichts hören und konnte nicht stehen bleiben.

Mal wieder war mir alles egal, wollte nichts sehen und konnte nicht stehen bleiben.

Sie hatte es wieder getan. Sie hatte mich geschlagen. Nie hätte ich so etwas von meiner Mom gedacht, niemals hätte ich mir erträumen können, dass sie irgendwann ihr Glück auf dem Grund immer wieder voller werden Schnapsflaschen finden würde. Doch es war passiert.

Als Paps uns verlassen hatte, waren wir beide von zwei zusammengeknüllten Taschentüchern, die wegen ihrer Dicke immer auf dem Boden blieben, zu zweien geworden, die offen waren, weg flogen und sich von einander entfernten.

Selbst wenn sie nüchtern war (ziemlich seltene Angelegenheit), konnte ich nicht mit ihr sprechen. Übertrat ich einmal die unsichtbare Linie, die sich immer kreisförmig um meine Mutter wand, rastete sie aus.

Dann schrie sie: „Dumme Lesbe", schlug mich und wie immer flüchtete ich. Hätte ich ihr doch nie gesagt, dass ich homosexuell war, hätte ich ihr nie gesagt, wie ich fühlte! Nun musste ich das hier ertragen.

Kurz wurde ich langsamer. Dort vorne waren meine Klassenkameraden, sie durften mich auf keinen Fall sehen! Auch sie waren hinter meine Fassade gekommen, hatten mein Geheimnis gelüftet, schlugen, schrien und lachten über mich. Gern hätte ich jemandem zum Reden gehabt, gern wäre ich zum reden gekommen, doch nie klappte es.

Einmal war ich zum Schulsozialarbeiter gegangen, hatte versucht ihm alles zu erklären, ihm mich zu erklären, doch sein Gesicht hatte sich verzogen mit „Asozialen" wollte er nicht zu tun haben. Ich beließ es dabei. Alle mobbten mich, was hatte ich erwartet? Genau wusste ich es auch nicht.

Unter der Autobahnbrücke machte ich endlich halt. Hier konnte ich verschnaufen, hier hatte ich Zeit für mich. Angestrengt kramte ich mein Handy aus der Hosentasche und checkte alle Kanäle ab.

Bei YouTube blieb ich stehen. Meistens guckte ich mir die Videos nicht an, sondern las mich durch die Kommentare, versetzte mich in die Gefühle anderer und da sah ich ihn.

Meinen Retter.

Schwarz auf weiß, aber für mich glänzte die Schrift golden, stand da:

Ich bin ich.

Und in dem Moment begann ich, etwas an mir zu ändern. Ich war ich.

Wie in Trance öffnete ich den Account der unbekannten Person und schrieb ihr. Ich erzählte ihr von meinen Problemen, von dem Schmerz, der seine schwarzen Wolken mit sich herzog. Am Ende des Tages hatte sie mir geantwortet, auszuschreiben, was genau sie gesagt hat, kann ich nicht. Genau weiß ich es auch nicht mehr, doch es hat mir Kraft gegeben. Es hat mir die Kraft gegeben, die ich brauchte, ich selbst zu sein. Und jetzt ist alles gut. Dank @unbekannt habe ich überlebt. Dank @unbekannt wollte ich das.


Being different isn't a bad thing. It means you're brave enough to be yourself.

- Luna Lovegood, Harry Potter and the order of phoenix –

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