sᴇᴠᴇɴ -mothers & fathers

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Albus Potter trug einen zu großen Anzug und sah starr aus dem Fenster.

Wie oft war er diese Straßen schon entlang gefahren? Dieses Viertel war immer sein Zuhause gewesen, und der Löwenzahn im aufgesprungenen Asphalt, die bunten Fassaden und die rostigen Fahrräder, die vergessen an Straßenlaternen angekettet waren, schienen fest verankert mit der Realität, mit allen Dingen, die ewig waren, wie Zeit und Schwerkraft und Wind.

Albus konnte sich keine Zeit vorstellen, in der diese Hausfassaden nicht standen, um das dickflüssig goldene Sonnenlicht zu reflektieren, in der passierende Fahrräder nicht durch die regenwassergefüllten Schlaglöcher rumpelten, doch es musste eine gegeben haben. Eine Zeit, in der diese Straße anders ausgesehen hatte, gar nicht existierte.

Es gab immer eine Zeit ohne Dinge, die uns konstant erscheinen.

Normalerweise dachte Albus kaum darüber nach, denn dieses Viertel war ein fester Bestandteil seiner Kindheit, und die Zeitlosigkeit war ein Teil der Magie, doch heute erschien es ihm falsch, dass sich nichts verändert hatte.

Wie konnten die letzten Blumen des Spätsommers noch immer ihre Köpfe der Sonne entgegenstrecken, um ein paar der kostbaren Strahlen zu erhaschen? Wie konnten die Kinder der Nachbarn lachend im Vorgarten spielen? Wie konnten Passanten ihre Hunde ausführen und lächelnd die Wärme dieses späten Septembertages genießen? Wie konnte die Welt so tun, als wäre nichts passiert?

„Alles okay dahinten, Al?" Harry's Augen fanden die seines Sohnes im Rückspiegel, sein Blick ein unbeholfenes Ich weiß, dass nichts okay ist, aber ich frage trotzdem, falls du reden möchtest. Albus nickte stumm.

Ein fragiler Bund verband Vater und Sohn seitdem Scorpius' Brief eingetroffen war. Es war später Abend gewesen, Albus hatte sich eigentlich gerade fertig fürs Schlafengehen gemacht, als ein leises Klopfen an sein Fenster seine Aufmerksamkeit weckte. Glücklicherweise war es kein gruseliger Serienmörder (er sollte wirklich aufhören, diese True-Crime Podcasts zu hören), sondern Scorpius' Schleiereule Flubbers.

Unschuldig und unwissend wie er war, war Albus' erste Reaktion freudige Überraschung gewesen. In den Ferien waren Scorpius und er per Telefon in Kontakt geblieben (nicht ganz so ästhetisch wie Briefe, aber nichts war lustiger als Scorpius Malfoy, der versuchte, ein Muggel-Handy zu bedienen), und sollte sein bester Freund nicht sowieso im St. Mungo's sein? In den letzten Wochen hatte sich Astorias Zustand zunehmend verschlechtert und Scorpius verbrachte immer mehr Zeit im Krankenhaus. Das Benutzen seiner Eule deutete allerdings klar darauf hin, dass er wieder zuhause war.

Grinsend öffnete Albus sein Fenster und ließ Flubbers hinein, welcher sofort auf den Schreibtisch flog und anfing, auf eine leere Süßigkeitenpackung einzupicken. Flubbers war der mit Abstand dümmste Vogel, dem Albus je begegnet war, er brauchte oft mehrere Tage um kurze Strecken zurückzulegen, vermutlich da er sich verflog oder (was Albus für wahrscheinlicher hielt) schlichtweg im erstbesten Baum ein zwölfstündiges Nickerchen einlegte. Scorpius bestand darauf, dass Flubbers „einen guten Charakter" habe.

Sobald Albus anfing, die Pergamentrolle von Flubbers' Bein zu lösen, fing dieser schrill an zu kreischen, bis er schließlich mit einem Rascheln seiner Federn zur Seite weg kippte und sich tot stellte, das Bein mit Scorpius' Brief daran dramatisch in die Luft gestreckt.

Albus konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen, doch genauso wenig konnte er das Grinsen zurückhalten, das sich auf sein Gesicht schlich, als er das Stück Pergament entrollte. Er hatte Scorpius vermisst, die Wochen zuhause mit seiner Familie zeigten ihm jedes Mal aufs Neue, wie wenig er zu ihnen gehörte. Manchmal kam es ihm so vor, als wäre er eine verschlüsselte Nachricht, mit der seine Familie einfach nichts anfangen konnte, und als sei Scorpius der Einzige, der den Code kannte.

IMMORTAL ᵃ ˢᶜᵒʳᵇᵘˢ ˢᵗᵒʳʸWo Geschichten leben. Entdecke jetzt