Kapitel 1: Letzte Chance

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Ich starre auf die helle Reklame, die das Whyte Wyrm als Serpentclub auszeichnet. Mich auszeichnet. Eine der Birnen ist kaputt und flackert unruhig hinter dem rießigem Schlangenemblem. Meinen Kopf schüttelnd, setze ich mich wieder in Bewegung. Mit einem Seufzen betrete ich die Bar. Direkt steigt mir der Gestank von Alkohol und Schweiß in die Nase, ich muss unwillkürlich grinsen. Hinter der Bar steht schon Toni und winkt mich ungeduldig zu sich. War ja klar das sie wieder direkt merkt, wenn ich zu spät bin, denke ich mir und winke zurück, bevor ich mich langsam auf den Weg mache. Kaum stehe ich neben ihr und hinter dem Tresen, drückt sie mir ein Bierglas in die Hand, welches ich vor einen alten Mann stelle. Das er ein Serpent ist, erkenne ich nur an seiner schwarzen Lederjacke mit der Serpentschlange, ich habe ihn noch nie gesehen. Nach etlichen weiteren Gläsern, bei denen ich weder auf Inhalt noch den Empfänger achte, wird mein Handgelenk gepackt. Ich hole aus, doch mein Gegenüber fängt meine Faust mühelos ab. "Oh Sweet Pea! Heilige Scheiße hast du mich erschreckt!", ich lache. Ich kann gar nicht anders. Auch er grinst mich an, mit seinen herrlichen Zähnen und den weichen Lippen. Genervt von mir selbst schüttel ich den Kopf. "Sei nicht sauer auf ihn Cam", kommt es von Fogarty, der sich neben Sweet Pea auf den einzig freien Hocker quetscht. "Bin ich doch gar nicht", grinse ich, übergehe den Jungen mit dem Schlangentattoo am Hals aber gekonnt, sodass er nach fünfzehn Minuten immer noch kein Glas vor sich stehen hat. "Okay, okay, ich habs verstanden", er hebt die Hände und macht einen Schmollmund, "Kann ich auch was bekommen?". Lachend stelle ich ein Bierglas vor ihn. Er nimmt einen Schluck, seufzt und sieht mich an. "Danke", es klingt ehrlich erleichtert. Sofort fange ich schon wieder an zu lachen. "Weißt du Sweets, wenn du etwas feundlicher wärst, dann müsstet du nicht immer Angst haben leer auszugehen.", grinse ich. "Du sollst mich nicht so nennen!" Ein dunkler Schimmer legt sich über seine braunen Augen. "Ich störe ja nur ungerne das Turteltaubenpaar, aber wir haben noch andere Gäste Cam", unterbricht Toni bevor ich etwas antworten kann.
Heute ist die ganze Bar besser besucht als sonst, da mein Dad irgendeinen Auftrag besprechen muss. Dann verschwindet gut die Hälfte in ein Hinterzimmer bei dem es schon ein Wunder ist, dass man Stühle herein bekommt. Ich zucke die Schultern. Mich geht das ganze nichts an, denn ich habe vor mehr als einem Jahr klar gemacht, dass ich mit den illegalen Machenschaften dieser Gang nichts zu tun haben will. Mein Bruder hat deswegen meinen Dad verlassen. Ich konnte es nicht. Jedenfalls nicht so richtig, ich wohne nicht mehr bei ihm aber wir sind eine Familie, Serpents, ich kann nicht einfach gehen. Automatisch gleiten meine Finger an meine Hüfte, an die Stelle, an der vor sechs Monaten die Haut schmerzhaft gerötet war. Heute weist nur noch mein Tattoo auf diese Erinnerung hin. "Hey, kann man hier auch was bestellen?", ein Schnipsen kommt von Rechts und ich wende mich einem jungen Mann zu. Blond, groß, graue Augen, süß und das Serpenttattoo am Handgelenk. Ich lächele ihn an, "Was darfs denn sein?" Auch er beginnt zu grinsen, "Whisky on the Rocks, Süße." Mit einem Zwinkern stellt Toni das Glas vor ihn, "Sorry Süßer, sie kann heute nicht.", und dreht sich zu mir. Lachend schlage ich ihr auf den Arm, "Hey, was sollte das denn bitte?" Sie macht große Augen, "Was denn?" Ich verdrehe genervt die Augen. Kurz mustere ich die hübsche Brünette mit den pinken Strähnen, die wir uns gegenseitig gefärbt hatten. Mittlerweile waren meine pinken Haare einem schönen Blauton gewichen, Toni hingegen liebte ihre Strähnchen und wollte nichts neues ausprobieren, ganz im Gegensatz zu mir.
"Hört mal her Schlangen!", schlagartig verstummten alle Gespräche. Mein Dad war auf die kleine Bühne geklettert, hinter ihm die Stange an der jede weibliche Serpent zur Aufnahme tanzen musste. Bei dem Gedanken daran wurde mir ganz heiß und ich musste peinlich berührt grinsen. Betrunken hatte ich auch schon gestrippt, an einer Stange vor der gesammten Gang war es anders. Intimer. Grausamer. Seitdem schloss ich mich Tonis regelmäßigem Versuch, die Serpents und ihre Regeln feministischer zugestalten, an. Bisher ohne Erfolg. "Danke, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Wir haben wichtiges zu besprechen. Also nehmt eure Gläser und folgt mir Jungs!". Er sprang von der Bühne und verschwand im Nebenzimmer. Viele der Serpents folgten ihm. Unter ihnen auch Sweet Pea und Fangs Fogarty.
Kaum hatte sich die Bar geleert, kam Toni zu mir. "Was läuft da zwischen dir und Sweet Pea?", fragte sie mit wackelnden Augenbrauen. "Du weißt, dass da nichts ist." Winke ich ab, lachend. Jedes Mal die gleiche Frage, jedes Mal die gleiche Antwort. Meist lässt sie es darauf beruhen, so aber nicht heute. "Ach komm schon..", sie lacht, "Du willst mir doch nicht erzählen da läuft nichts!". "Doch Toni.. Das mache ich seit fast einem Jahr.", ich puste mir eine blaue Haarsträhne aus dem Gesicht und nehme eines der Gläser und fange an es zu spülen. "Ach komm Caramel" "Nenn mich gefälligst nicht so!", unterbreche ich sie. Ugh, wie ich diesen Name hasse.. Caramel.. Absolut bescheuert. "Und wo warst du heute Nacht?", fragt sie, scheinbar beiläufig. Genervt verdrehe ich die Augen. "Bei Sweet Pea! Meine Güte Toni, was willst du hören?" "Den Grund warum man euch den ganzen Tag nicht gesehen hat und warum ihr beide so spät zu diesem Treffen gekommen seid?", seelenruhig trocknet sie weiter die Gläser ab. Ich beiße mir auf die Lippe und merke wie das Blut bei der Erinnerung von seinen Lippen auf meinem Körper anfängt zu kochen. Ich bin mehr als dankbar für das dämmerige Licht in der Kneipe. Doch gelassen antworte ich, "Wir haben ferngesehen und sind dabei eingeschlafen.", "Oh was habt ihr denn die ganze Nacht gemacht, dass ihr so müde wart um den ganzen Tag zu verschlafen?", ihr Grinsen wird größer. Es müsste mittlerweile zum Mond reichen, denke ich mir genervt. Doch bevor ich antworten kann, wird die Tür geöffnet und Joaquin betritt den Raum. Rettete sie vermutlich vor einer patzigen Antwort. Seine stechend hellgrünen Augen suchen den Raum ab. "Cam, können wir los?". Mein Blick wandert zu der Uhr über dem Billardtisch. Stehen geblieben. Wahrscheinlich schon vor Tagen. Ich mache die Schürze los und feuere sie auf die Theke. "Danke, dass du die Schicht für mich übernimmst.", mit einem Kussmund wende ich mich von Toni ab. Als ich aus der Tür gehe höre ich noch ein gemurmeltes, "Wo wirst du heute Nacht denn schlafen?". Was ich aber nur mit einem bösen Blick kommentiere und die Bar verlasse.

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