4. Kapitel

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„Und? Habt ihr ..." Dieses Mal war es an mir den Satz nicht zu Ende zu sprechen. Ich wagte es nicht einmal ihn nur zu Ende zu denken. Das war einfach nur lächerlich. Ich war lächerlich und doch bewies das dumpfe Trommeln in meinem Brustkorb, welches durch jede einzelne Faser meines Körpers vibrierte, eine klar zuordbare Realität.

Ein Sturm tobte in mir, als Jackson sich für meinen Geschmack viel zu viel Bedenkzeit leistete, ehe er mir die erlösende Antwort gab, die ich mir sehnlichst gewünscht hatte, auch wenn ich keinerlei Anrecht darauf hatte.

„Nein", meinte er. Seine Miene so starr, dass ich nur Vermutungen darüber anstellen konnte, was hinter dieser warmherzigen Miene vor sich ging. Seine Lippen formten jedoch unverändert dieses betörende Lächeln, welches mich schon als junges Mädchen an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte. „Wir haben uns genau einmal geküsst. Oder besser gesagt: Sie hat mich geküsst. Allerdings haben wir beide gemerkt, dass es nicht passt. Dass wir besser Freunde bleiben, auch wenn wir jetzt ohnehin nicht mehr regelmäßig miteinander reden. Daraus sind irgendwann bloß noch monotone Nachrichten zum Geburtstag oder zu Thanksgiving geworden."

„Das tut mir sehr leid." Nein, tut es nicht., konterte meine innerliche Stimme. Mit aller Macht formte ich meine Lippen zu einem strengen Strich, damit ich nicht noch mehr ins Fettnäpfchen treten oder anderen unvorhergesehenen Blödsinn von mir geben konnte.

„Muss es wirklich nicht." Jackson war stehengeblieben, was ich ihm umgehend gleichtat. Zugegeben: Wir hatten schon immer diese eigenartige Verbindung zum jeweils anderen gehabt. Die unsichtbare Eingebung was der andere tat. Früher hatten wir sogar ab und an die Sätze vom Gegenüber beendet. So richtig eklig kitschiges Romantikzeug eben. Auch das hatte es danach nie mehr gegeben. „Schau, wir sind da. Daran erinnerst du dich doch wohl oder?" Er deutete mit einem sachten Nicken neben sich.

Meine Augen weiteten sich. Abertausende Erinnerungen zogen in meine Gedanken ein, ließen Gerüche, Geräusche und Kinderlachen an meine Ohren dringen. Es war wie eine Art Phantomschmerz. Nachdem ich Jackson kennengelernt hatte, war ich immer gerne in die Schule gegangen. Nie war ich eines jener Mädchen gewesen, welches jeder in seiner Clique haben wollte und dennoch konnte ich nicht behaupten, eine schlechte Schulzeit hier verbracht zu haben.

„Wow!", flüsterte ich ehrfürchtig und nahm den Haupteingang in näheren Augenschein. Alle sah noch exakt genauso aus wie damals. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich die junge Teenagerin in mir aufleben. Ich konnte mich sehen wie ich, wie fast jeden Morgen, viel zu spät durch das hohe Metalltor auf den Schulhof flitzte, um noch vor dem Lehrer im Klassensaal zu sein – meist ein vollkommen hoffnungsloses Unterfangen.

„Verrückt oder?", durchbrach Jackson das Wirrwarr in meinem Kopf.

Intuitiv blickte ich nach rechts zu einem der kleineren Nebengebäude, auf dessen Dach wir immer gesessen und die Beine hatten baumeln lassen. Das weiße Nass lag so dicht auf dem Dach, dass ich unsere Lieblingsstelle von hier unten nicht sehen konnte. Und auf dem gesamten Gelände so unbedarft und friedlich, dass selbst ohne das Wissen, dass Weihnachten war erahnt werden konnte, dass schon lange Zeit niemand mehr diese Hallen betreten hatte.

„Also?"

Mist. Ich hatte mir das also nicht nur eingebildet, dass er gerade irgendwas gesagt hatte. „Hm?"

Er legte den Kopf leicht schräg und grinste breit. „Ich habe dich gefragt, ob du den Abend noch nostalgischer begehen möchtest", wiederholte er.

Augenblicklich erschien wieder dieses unheilvolle Leuchten in seinem Gesicht. Daran hatte sich auch in all den Jahren nichts verändert. Er heckte etwas aus. Ganz ohne Zweifel. Ohne meine Erwiderung abzuwarten, steuerte er locker leichten Schrittes auf das eiserne Metalltor zu, welches unerwünschte Spontanbesucher wie uns davon abhielt, den Hof zu betreten.

Gas Stop (Short Story) #NewAdultRomance [abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt