„E-es ist nicht so, wie es aussieht!", stotterte ich verzweifelt, als ich das Entsetzen sah, welches sich in Arsenys grauen Augen deutlich spiegelte. So aus der Fassung gebracht hatte ich ihn noch nie gesehen, obwohl wir seit gut vier Jahren eine Klasse besuchten. Langsam wanderte seine Hund zu seinem Mund, dann verkrampfte sie sich davor und er biss sich auf den Daumen, als wäre dies der Anker, um hier in dieser Welt zu bleiben. Ich bemerkte, wie er zitterte.
„Ich...ich wusste doch schon immer, dass du krank bist!", nuschelte er angsterfüllt durch seine Hand, dabei betonte er das vorletzte Wort besonders. „Du bist nicht normal...geh weg!" Langsam wanderte sein linker Arm nach unten, wo er sich das zersplitterte Handy krallen wollte. Verdammt, der würde doch bestimmt jetzt die Polizei rufen! Ich begann zu schwitzen, und eine eisige Starre machte sich in meinem Körper breit, kroch von den Füßen hoch, über die Pfoten, bis hin zu den pelzigen Ohren. Was hatte ich getan?! Ich hatte das Wandlergeheimnis verraten, und somit meine ganze Art! Konnte ich seine Erinnerungen irgendwie löschen? Doch im Moment konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen, mir schwirrte der Kopf und ich wusste nur, dass ich mich irgendwie zurückverwandeln musste.
„Halt!" Arseny deutete es eher als Drohung, als meine Hand, nein, Pranke hervorschnellte, um ihn davon abzuhalten, sein Telefon zu nehmen. Dieser zuckte zusammen und nahm eine abwehrende Haltung ein.
„Ich sagte doch, geh weg, du Freak!", schrie er und schaute sich immer wieder panisch um, seinen Körper hatte er dabei fest an die Wand gedrückt. Durch meine hochsensiblen Ohren konnte ich sogar seinen Herzschlag hören; oder war es mein eigener? „Was zum Teufel bist du?!"
Chaska, jetzt mach doch auch mal was, als einfach nur zusammengekauert unter dem Tisch zu hocken, du bist ja nicht besser, als er!, meinte ich leicht gestresst, mit einem verstohlenen Blick an eben diesen Ort. Nun richtete auch Arseny seine Augen ihr zu.
„Akela? Was hast du mit ihr gemacht, du Arschloch?!", fuhr er mich an, nachdem er sah, wie verängstigt sie dalag. Mist, das ging alles so verdammt schief! Seitdem ich herausgefunden hatte, dass ich ein Woodwalker war, ging mein Leben so hochgradig den Bach hinunter! Scheiße! Mit rasendem Herzen kaute ich auf meiner Unterlippe, sodass sie bald anfing, zu bluten.
„Ich? Ich-ich hab gar nichts gemacht!" Sollte ich es drauf ankommen lassen? Er hatte eh schon gesehen, wie ich mich teilverwandelt hatte, warum nicht also gleich die komplette Wahrheit sprechen lassen? Vielleicht würde er mich dann irgendwie verstehen, wenn nicht sogar akzeptieren. Mein Körper zitterte und kribbelte ganz komisch, als ich begann, mir die richtigen Worte im Kopf bereit zu legen. „Also..." Meine Stimme war eher ein brüchiges Krächzen, als selbstbewusst. „Versprich mir, dass du kein Sterbenswörtchen an irgendjemanden verlieren wirst!"
Mittlerweile hatte Arseny es aufgegeben, die Polizei zu verständigen, da sein Handy nicht mehr angehen wollte. Wenigstens etwas! „Was zum Henker?! Zuerst offenbarst du dich hier als Werwolf, und jetzt soll ich auch noch schweigen?!" Der Mut, welcher in ihm wieder entflammte, erlosch in mir. Trotzig hatte er die Arme vor der Brust verschränkt und starrte mich an. „Und wenn ich das nicht tue? Wirst du mich fressen, oder was?"
Es war zu viel. Einfach zu viel für mich; ich sackte auf dem Boden zusammen und festigte meine braungrünen Augen auf den pelzigen Pfoten. Sie sollten verschwinden, einfach verschwinden! „Ich...lass es mich erklären, bitte!", klagte ich verzweifelt. Ich war ein schwaches Wesen. Das realisierte ich in diesem Moment. Nicht einmal würdig, mich als Mensch zu bezeichnen.
„Ich höre?" Arseny war zu Chaska gegangen, hatte sich zu ihr heruntergebeugt und versuchte sie mit vorsichtigen Gesten aus ihrem Versteckt hervorzukommen.
Meine Ohren zuckten wie wild hin und her, als ich mich angestrengt darauf konzentrierte, meine Worte erneut zu aufsammeln, welche in meinem Kopf verstreut herumlagen. „Du wirst wahrscheinlich nicht glauben, was ich dir gleich erzähle, aber das...ist nicht schlimm, Chaska und ich haben es anfangs auch nicht." Ich schloss die Augen für einen kurzen Moment und atmete ein paar Mal tief ein und aus.
Arseny verengte seinen Blick, während er der Hündin beruhigend das Fell kraulte. „Wer ist Chaska?" Wie ironisch diese Frage doch war...ich musste sogar leicht schmunzeln. Dann hielt ich inne und sog die Luft scharf ein. Er wusste nichts...das hatte ich vergessen. War es richtig, was ich gleich tun würde? Wenn ich Arseny erzählen würde, dass Chaska wie ich war? Durfte ich das?
Zu diesem Zeitpunkt begriff ich nicht, dass ich es nun war, welcher in diesem Moment über ihr Schicksal bestimmte.
Ich musste es tun, sonst hätte ich keine glaubwürdige Erklärung für meine Teilverwandlung. Ich atmete wieder aus und machte mir innerlich Mut. „Chaska ist Akela. Sie ist wie ich und..." Ein lautes, klägliches Jaulen riss mir die Worte aus dem Mund. Sofort richtete sich mein Blick auf Chaska, deren bernsteinfarbene Augen ungewohnt wässrig und blass wirkten. Sie wirkten zersplittert, zerstört, ausdruckslos. Mein Herzschlag erhöhte sich. Doch ich durfte jetzt nicht auf meine innere Stimme hören, welche mir sagte, dass es falsch war, was ich tat. Ich redete einfach weiter, beachtete Arseny und Chaska nicht. „Wir sind Woodwalker. Woodwalker sind sehr selten...sie sind weder Menschen, noch Tiere, sondern beides. Ich bin ein Wolf und ein Mensch, und Chaska ein Mensch und...weißt du ja selber. Ich habe mich verwandelt, um ihr zu zeigen, dass ich nicht lüge." Die Informationen sprudelten geradezu aus mir heraus, und damit kam auch mein Gewissen, welches sich langsam seinen Weg über meinen Rücken bis hin zu meinem Verstand bahnte. Ich erschauderte.
„Was zum...was zum...du willst mich doch verarschen..." Ruckartig stieß Arseny die komplett ausgelöste Chaska von sich weg, betrachtete sie mit einer ekelhaften Art von Verachtung und Unglauben, welche nicht nur Chaska einen Pfeil ins Herz schoss. Doch zu diesem Zeitpunkt begriff ich noch nicht, was ich angerichtet hatte.
„Akela...nein, Chaska...du...was...?" Arseny war aufgestanden und bewegte sich langsam rückwärts, dabei schützend die Hände vor seinem Körper; doch trotzdem anscheinend tief in Gedanken versunken. „Ihr...ihr seid Monster...verschwindet...VERSCHWINDET!" Sein eiskalter, herzloser Blick hätte hier als illegale Mordwaffe gelten können. Und da war sie wieder, diese kühle Schicht, welche dieses weiche Etwas im inneren verbarg. Noch mochte ich seinen Worten keinen Glauben schenken. Monster. Nein, wir waren keine Monster. Wir waren nur arme Wesen, verraten von ihrem Schicksal, verachtet von der Welt. Mein Körper war betäubt. Es war, als wäre ihm sein ganzes Leben und seine Gefühle ausgehaucht worden. Wie in Trance bewegte ich mich an der Seite von Chaska, deren Schultern betrübt nach unten hingen und Fell sich gesträubt hatte, nach draußen. Ich dachte nicht mehr daran, die Teilverwandlung rückgängig zu machen, dazu hatte ich keine Kraft mehr. Ich würde einfach meine Kapuze tiefer ins Gesicht ziehen.
„Ich hab echt gedacht, dass wir...das ist jetzt auch scheißegal, mit solchen Monstern will ich eh nichts zutun haben!" Ich bin kein Monster, dachte ich. „Und Akela, was dich angeht...ich...ich..." Auch Arseny wirkte völlig fertig, anscheinend erinnerte er sich gerade an seine gemeinsame Zeit mit Chaska. „Ich will euch nie wieder sehen! HAUT AB!" Mit einem lauten Knall fiel die Wohnungstür ins Schloss und ließ Chaska und mich perplex davor zurück. Die letzten Minuten waren mir wie ein einziges Gewirr vorgekommen und schon begann meine Erinnerung, bröckelig zu werden. Erst nach mehreren Minuten wandte ich mich zu Chaska, welche winselnd vor der Tür hockte.
„Hör zu, es-"
In ihren bernsteinfarbenen Augen glomm heiße Wut. Es ist schon erstaunlich, wie eine einzige Begegnung mein Leben so dermaßen zerstören kann. Die plötzliche Kälte ihrer immerzu warmen Stimme ließ meinen Körper und Verstand gefrieren. Wie lautet überhaupt dein Name?
Ich schloss die Augen und horchte in mich hinein. Mein Name ist Joaron. Er kommt aus der Wolfssprache und bedeutet Krieger.
Joaron. Ich hasse dich.
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Wolfsherz *Woodwalkers-Fanfiction* ABGEBROCHEN
FanfictionAn seinem 13. Geburtstag erfährt Joaron nicht nur, dass er ein Drilling ist, sondern auch von der Welt der Gestaltwandler. Seine Eltern und er sind sogenannte Wolfswandler, das heißt, sie haben eine Menschen- und eine Wolfsgestalt. Seine Geschwister...