Bei Arseny

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Ganz so wohl fühlte ich mich nicht, als ich Seite an Seite mit Arseny die Treppenstufen zu seiner Wohnung hinaufstieg. Das Treppenhaus sah im Gegensatz zu unserem sehr gepflegt aus, nur an manchen Stellen blätterte der Putz von den weißen Wänden ab. Die Treppen bestanden aus hellem Eichenholz, überall hatte sich der Dreck von draußen angesammelt, anscheinend hielten die Bewohner dieses Hauses es nicht für nötig, eine Fußmatte zu benutzen. Das lag wahrscheinlich daran, dass es hier keine gab. Deshalb passte es mir gar nicht, als ich mit schlammverschmierten Schuhen hier entlang lief. Schmutz war nicht so ganz mein Ding. Zugegebenermaßen hatte ich einen kleinen Reinlichkeitsfimmel.

Doch das war nicht der Grund für mein Unbehagen. Vielmehr war es die Aufregung, da ich nicht wusste, was mich erwartete. Würde Chaska da sein? Das war so ziemlich die einzige Sache, die etwas Licht ins Dunkeln brachte. Ich rechnete jeden Moment damit, dass Arseny auf mich losgehen würde und hatte deshalb schon die ganze Zeit meine Muskeln angespannt. Es hatte mich außerordentlich erstaunt, dass er seine Worte einhielt und wir uns heute tatsächlich an den Vortrag setzten.

Wir wechselten kein Wort. Ich schnappte nur die Gerüche der einzelnen Wohnungen auf, an welchen wir vorbei gingen. Katze, dachte ich mir bei jeder zweiten und ein Knurren kam meine Kehle hinauf. Ich war noch nie ein Fan dieser egoistischen Biester gewesen. Die arme Chaska, dass sie mit diesen Viechern zusammenwohnen musste. Apropos Chaska. Wir liefen immer weiter nach oben, und so langsam fragte ich mich, ob das für einen Hund, einen WOLFShund, überhaupt gut war, so viele Treppen steigen zu müssen. Zuhause hatte ich mich mal informiert, weshalb ich wusste, dass vor allem Wolfshunde viel Platz und Bewegung brauchten - hier bekamen sie dies bestimmt nicht.

„Wir sind da.", riss mich mein Begleiter aus den Gedanken und ich fuhr hoch. Er hatte die grauen Augen zusammengekniffen und musterte mich, als ob er mich erst prüfend müsse, bevor ich in seine Wohnung kam. Ich strengte meine Nase an und entdeckte einen leichten Angstgeruch an ihm. Moment mal - ich war es doch, der hier Schiss hatte, oder nicht?

„Okay.", meinte ich nur schulterzuckend und versuchte beim schuheausziehen so wenig wie möglich Dreck zu berühren.

„Meine Geschwister sind aber da."

„Okay."

„Und Akela."

Als er die Tür öffnete, wurde er sogleich von einem graubraunem Fellbündel angesprungen. Nachdem Chaska ihm bellend das Gesicht abschleckte, wandte sie sich an mich. Zuerst beobachtete sie mich schwanzwedelnd durch ihre orangenen Augen, bevor sie wieder anfing zu bellen und auch wild um mich herumsprang. He, dich kenn ich doch! Du hast mir doch erzählt, dass ich mich verwandeln kann, oder? Was für ein Flohmist!

Ich war wie paralysiert. Sie glaubte mir nicht? W-was? Irgendwie schockte es mich schon. Aber ich konnte sie auch verstehen, ich selbst hatte es meinen Eltern ja auch nicht abgekauft - und manchmal tat ich das immer noch nicht -, bis ich es mit eigenen Augen sah. Vielleicht war das bei Chaska auch so?

Hallo! Freut mich dich wieder zusehen, Chaska! Ich grinste sie an, und tätschelte vorsichtig ihren Kopf. Ihr Fell war weich und dick, wahrscheinlich hatte sie bereits ihr dichtes Winterfell, welches sie hier in Sibirien tatsächlich gut gebrauchen konnte. Und ob du mir es glaubst oder nicht, du bist ein Woodwalker. Warum sonst könnte ich mit dir sprechen?

Multitasking war definitiv nicht meine Stärke, denn Arseny begann schon, mich zu beleidigen, da ich anscheinend ziemlich blöd aussah, wie ich hier nur diesen Hund anstarrte. Also versuchte ich weniger erfolgreich, gleichzeitig mit Arseny und Chaska zu reden.

„Habt ihr hier einen Computer?", meinte ich beim Reingehen. Arsenys Wohnung war sehr viel geräumiger, als ich sie mir vorgestellt hatte. Der Flur war gesäumt mit großen orangefarben lackierten Holzplanken, auf welchen viele Schränke und Komoren standen, allesamt mit den unterschiedlichsten Dingen geschmückt und überseht von Hundespielzeug, das überall verteilt herumlag. Ich tat meine Schuhe auf die blau gestrichene Schuhablage, auf welcher schon Weitere standen, von kleinen bunten für Kleinkinder bis hin zu riesigen Wanderstiefeln aus dunklem Kunstleder. Von allen ging ein sauberer Geruch aus, anscheinend waren sie erst vor kurzem gesäubert worden. Chaska beschnupperte aufgeregt meine Jacke, als ich sie aufhängte, was mich etwas störte.

Woher soll ich das wissen? Schließlich verstehe ich die anderen Menschen auch, das kann doch jedes Tier, oder nicht?, entgegnete Chaska und wedelte aufgeregt mit dem dichten Schweif.

Nein, das kann nicht jedes Tier. Ich werde es dir zeigen, warte kurz. Eigentlich hatte ich vor, meine Hand teilzuverwandeln, doch ich wurde aus meiner Konzentration gerissen, als ich die tapsigen Schritte eines Kindes hörte.

Bald darauf öffnete sich eine Tür. Ein kleines Mädchen, ich schätzte sie auf vier Jahre, mit schwarzem Haar kam freudig auf Arseny zu gerannt. Ihre blauen Augen strahlten, als sie ihren Bruder umarmte.

„Da bist du wieder!", rief sie und drehte sich einmal in ihrem pinkfarbene Prinzessinnenkleid, welches schon viele Flecken hatte.

„Ja, und jetzt geh weg." Mürrisch schob Arseny seine Schwester aus dem Weg. Das hatte leider keinen Zweck, da sie sich nun an sein Bein klammerte und auf den Boden setzte. Chaska und ich schauten belustigt zu und ich hoffte, dass sie mich nicht bemerken würde. Mit Kindern konnte ich gar nicht umgehen. Zu laut, zu nervig, zu anstrengend, und vor allem zu dreckig.

„Mensch Sascha, jetzt hau ab, du bist bescheuert. Ich hab keine Zeit, geh zu deiner Schwester." Auch Arseny schien weniger erfreut zu sein, was nicht nur seine Worte verrieten, sondern auch seine Miene. Er kniff die Augen zusammen und schaute böse drein. Dann bückte er sich, um seine Schwester von ihm loszumachen. Nicht ganz gewaltfrei riss er ihre kleinen, zierlichen Hände von seinen massigen Unterschenkeln ab und schupste sie, woraufhin sie anfing zu heulen. Schrill und laut erklang es in meinen Ohren und ich presste instinktiv meine Hände darauf und fluchte leise. Nur leider hatte das zur Folge, dass Sascha mich bemerkte.

„Wer ist das denn? Dein Freund?" Neugierig kam sie auf mich zugelaufen, anscheinend hatte sie schon wieder vergessen, dass sie heulte.

„Wir sind nicht befreundet und jetzt hau ab! Spiel doch mit deiner Schwester. Geht mit Akela Gassi, ich hab keine Zeit." Zum Glück rettete mich Arseny, indem er mich grob nach vorne stieß und somit weiterdrängte. Hastig stolperte ich ihm hinterher und wir verschwanden schnell in seinem Zimmer. Bevor ich wieder schauen konnte, hatte er die Tür bereits verschlossen und ignorierte die kläglichen Schreie eines gewissen kleinen Mädchens davor. Nur leider war Chaska nun auch ausgesperrt.

Genervt warf Arseny den Eisenschlüssel auf sein kleines blaugraues Stoffsofa, welches in der Mitte des Zimmers auf einem zerrupften Teppich stand.

„Das war Akela.", sagte der dunkelhaarige Junge, als er sah, wie ich den Teppich interessiert musterte. Arsenys Zimmer war allemal größer als meins. Über mir verliefen ein paar helle Holzbretter, auf welchen eine Matratze neben sehr vielen zerfledderten Comics lag. Die Wände waren tapeziert mit Marvel- und Videospielplakaten, sodass man nichts vom Untergrund erkennen konnte. In den weißen Plastikregalen neben dem Sofa befand sich das ganze Schulzeug, denn auf dem Schreibtisch war kein Platz mehr. Anstatt Büchern, Heften und Stiften stand dort eine Tastatur mit einem riesigen Bildschirm und Boxen, welche in einem dunklen schwarz glänzten. Auf dem Mauspad war Batman abgebildet. Der fahle Geruch von Chips und Pizza lag noch in der Luft.

„Was glotzt du so? Hast wahrscheinlich noch nie so etwas schönes gesehen." Schief grinsend streichelte er seine Tastatur zart, bevor er sich auf dem Stuhl niederließ. „Um deine Frage von vorhin zu beantworten. Ja, ich habe einen Computer."

Wolfsherz *Woodwalkers-Fanfiction* ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt