Schulbeginn

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So stand ich also Anfang September vor meiner Schule, ein nicht sehr schönes, dreckiges, graues, längliches Steingebäude mit vor Staub undurchdringlichen Fenstern, hinter welchen man nur vergilbte Vorhänge sah. Davor sah ich tanzende, lachende Erstklässler mit Blumen in der Hand, welche heute ihren ersten Schultag hatten. Denen wird das Lachen noch vergehen, wenn sie Bekanntschaft mit unseren Lehrern machen, dachte ich mit einem höhnischen Grinsen auf dem Gesicht. Denn unsere Lehrer waren unglaublich streng, jede zweite Stunde ein Test, keine angenehmen Aussichten. Es war sehr bedauernswert, dass es jedes Jahr mindestens drei neue erste Klassen gab, da diese die nervigsten von allen waren. Meistens vermied ich Begegnungen mit ihnen, wie auch jetzt. Mit starrem Blick lief ich einfach gleichgültig an ihnen vorbei in das Schulgebäude und begab mich den altbekannten Weg durch die hässlichen, braungestrichenen, Gänge entlang, welche nach Nässe und Schimmeln rochen, zu meinem Klassenzimmer. Das Gelächter der anderen Schüler rauschte an mir vorbei. Grimmig über den Schuljahresstart stapfte ich vor mich hin. Warum hatten die Sommerferien nicht länger andauern können?

Als ich ankam hatte ich Glück, denn es war niemand sonst da, alle anderen begrüßten gerade die Erstklässler (oder sie machten sie fertig, was ich bei meiner Klasse eher glaubte). Beruhigt darüber, alleine zu sein, setzte ich mich auf meinen Platz. Er befand sich, wie jedes Jahr, in der letzten Reihe, was mir nur mehr als Recht war. Zwar bekam ich von hinten nicht so viel vom Stoff mit, weshalb ich, nebenbei bemerkt, auch nicht die besten Noten hatte (nur mit Müh und Not war ich versetzt worden), doch das war nichts im Gegensatz dazu, was mir dadurch erspart blieb. Nämlich meine Klassenkameraden. Es gab zwei Sorten in meiner Klasse. Einmal die Streber, die sich alle in den ersten Reihen positioniert hatten, um auch ja kein Wort des Unterrichts zu verpassen, und die, denen der Unterricht vollkommen egal war und sich die ganze Zeit mit Papierfliegern beworfen, oder mit Kaugummis dealten. Und dann gab es mich. Außenseiter. Manchmal wünschte ich mir, irgendwie dazuzugehören, was leider nur eine Wunschvorstellung war. Ich passte zu keiner der beiden Gruppen (was ich irgendwie auch gut fand).

Beim Auspacken meiner Schulsachen ließ ich mir Zeit. Ich hatte schließlich noch eine halbe Stunde, bevor sich alle Schüler im Innenhof versammeln und zusammen singen würden. Die meisten bereiteten sich schon vorher auf den Unterricht vor, so wie ich.

Gedankenverloren legte ich meine ziemlich alte Federmappe, sowie mein Heft auf den Tisch, mehr brauchten wir heute noch nicht. Wie würde dieses Schuljahr wohl werden? Jetzt, da ich wusste, dass ich ein Wolf war bestimmt nicht einfacher. Wie oft hatte ich wohl mit einer ungewollten Verwandlung zu kämpfen? Wahrscheinlich würde mich mein Wandlerdasein viel zu sehr vom Unterricht ablenken, sodass ich den Stoff nicht schaffte. Die Chancen waren hoch, dass ich dieses Jahr wiederholen musste. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte, wie ich nach und nach auch den restlichen Inhalt meiner Schultasche auf den Tisch packte. Ein Foto, auf welchem ich abgebildet war, sowie etwas Traubenzucker, eine Flasche Wasser, und eine Brotdose mit Würstchen. Zu spät realisierte ich, dass ich in diesem Moment Gesellschaft bekommen hatte.

„Was haben wir denn da?", witzelte Arseny, ein massiger Junge mit schwarzen, ungepflegten Haaren und kalten, hellen Augen, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen, und schnappte sich das Bild weg. Er war einer der schlimmsten Schläger an unserer Schule, hatte immer irgendwo eine Wunde, diesmal an der Unterlippe, und ging, zu meinem größten Bedauern, in unsere Klasse. Eigentlich vermied ich Begegnungen mit ihm, weshalb ich auch fast keinen Kontakt zu ihm hatte, da es, seiner Meinung nach, interessantere Leute zum Verprügeln gab, zum Beispiel Erstklässler.

„Gib das wieder her!", knurrte ich, stand auf, und versuchte, ihm das Bild aus der Hand zu schlagen. Ich war selbst erstaunt über meine Versuche. Denn früher wurde ich immer kompromisslos niedergemacht, wenn Arseny keine anderen Opfer gefunden hatte. Doch jetzt wusste ich, dass ich stärker war als er, durch meine Adern floss das Blut eines gefürchteten Jägers. Der innere Wolf gab mir mehr Kraft, als ich erwartet hätte.

„Na sowas, du zeigst ja mal Widerstand." Arseny betrachtete erst das Bild, dann mich mit einem höhnischen Grinsen. „Da siehst du definitiv besser aus, als heute. Ist das vielleicht der Grund, weshalb du es wiederhaben willst? Damit du dich daran erinnerst, wie du einmal aussahst? Ich frag mich echt, was über die Ferien mit dir geschehen ist."

Verärgert knurrte ich ein paar unanständige Worte. Aber irgendwie hatte er auch recht, seit letzter Woche sah ich wirklich nicht gut aus. Unglaublich große Augenringe umspielten meine Augen, meine Haare sahen struppig und ungepflegt aus, und meine Haut war viel zu rau. Das elende Verwandeln hatte mich nicht nur seelisch fertig gemacht. „Das ist nicht der Grund, und jetzt rück das wieder raus, es gehört mir!" Der wahre Grund war der, dass meine Eltern es mir gestern Abend noch gegeben hatten, damit ich es bei einer ungewollten Verwandlung als Hilfe zur Rückverwandlung verwenden konnte. Und diese Hilfe bräuchte ich dabei dringend.

„Fang es doch.", lachte der schwarzhaarige Junge, holte aus, und warf das Foto in die entgegengesetzte Seite unseres Klassenraumes, wo die Scherben mit einem lauten Klirren prompt auseinander sprangen. Hilflos sah ich zu, unmöglich wäre ich rechtzeitig dort gewesen. Kochende Wut stieg in mir auf. Das war mein Eigentum gewesen.

„Du bist so ein A****loch!", brüllte ich Arseny zu, welcher nur zufrieden grinste. Ich dagegen spurtete nur zu den Überbleibseln des Bildes und sammelte die Scherben zusammen. In den Mülleimer schmeißen konnte ich sie nicht, das würde dumme Fragen aufbringen, deshalb entschied ich prompt, sie in meine Schultasche zu tun. Was würden nur meine Eltern sagen? Sie würden sicherlich wütend sein, weil ich ihr Lieblingsbild von mir kaputt mit nachhause gebracht hatte. Und das alles war Arsenys Schuld gewesen, wie ich ihn doch hasste! Am liebsten würde ich ihn hier, auf der Stelle, zusammenschlagen, vielleicht hatte ich ja eine Chance. Doch in diesem Moment trafen leider die nächsten Schüler ein, und ich setzte mich knurrend auf meinen Platz, ohne Arseny noch einen Blick zu widmen.

Wolfsherz *Woodwalkers-Fanfiction* ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt