Der junge Mann ging mit schnellen Schritten voraus, schien gar nicht auf Cecilia zu achten, die ihm nass und frierend folgte.
„Wohin gehen wir?", fragte sie, die verschüchterte Stimme zu einem Flüstern gesenkt, den Blick gegen die Wände gerichtet, die an ihnen vorbeiglitten.
Schwarze, hohe Wände, verziert durch nichts als alle paar Schritte eine Lampe, die ein dumpfes, kaltes, flackerndes Licht verströmte. Es war die Art von Lampe, die sie nur aus den gruseligen Filmen kannte, die sie sich heimlich mit Jamie angesehen hatte.
Die Art von Lampe, die immer dann flackerte, wenn etwas Unheimliches geschah, sich ein Angreifer von hinten näherte, nur um dann in dem Augenblick zu erlöschen, in dem...
„Wir sind da!"
Sie waren stehen geblieben, vor einem Umriss in der Wand, der mit viel Phantasie und gutem Willen eine Tür darstellen könnte.„Was...", setzte sie an, nachdem er für ein paar Augenblicke nichts getan hatte, als dazustehen und in die Dunkelheit zu starren, doch ihre leise Stimme wurde von einem scharrenden Kratzen erstickt und nur Sekunden später flutete Licht in den Raum, das sie für einen Augenblick blendete.
„Komm mit, meine Liebe!"
Hände ergriffen ihren Arm. Riesenhafte, raue und doch sanfte Hände, die sie berührten als sei sie aus Glas und sie vorsichtig zu einem Stuhl führten, der in der Mitte des Raumes stand.
„Der Tag muss sehr anstrengend für dich gewesen sein, doch ich versichere dir, dass dir hier nichts geschehen wird! Du bist in jedem Falle sicher und stehst unter meinem...!"
„Wer sind sie?"
Cecilia kniff die Augen zusammen und versuchte ihre Hand so zu heben, dass sie sie einigermaßen abschirmte, während sie die Tränen wegblinzelte, die ihr einen genauen Blick in den Raum verwehrt hatten. Nun konnte sie erkennen, war sie umgab und das Erste, was sie sah war, dass es nicht einmal so hell war, wie sie vermutet hatte.Das Licht, das sie geblendet hatte, von dem sie geglaubt hatte, dass es nur die Sonne selbst hätte sein können, entpuppte sich als riesiger Kandelaber, der neben einem Schreibtisch aus abgewetztem, dunklem Holz stand und in dessen Fassungen mindestens zwei Dutzend kleine Kerzen brannten, jede von ihnen bedeckt mit einer gläsernen Glocke, als wolle man verhindern, dass ein mächtiger Windstoß sie erlöschen ließ.
Das Büro erinnerte sie, auf groteske Weise, an das ihres Vaters, in dem sie als kleine Mädchen ganze Nächte hindurch friedlich geschlafen hatte, weil die Dunkelheit in ihrem Zimmer ihr Angst gemacht und ihr Vater ihr erklärt hatte, dass er arbeiten musste.
Jedes Mal, wenn sie sich auf dem großen, weichen Sessel zusammengerollt hatte, den Kopf auf ein Sitzkissen oder ihren Plüschlöwen gebettet, hatte ihr Vater die Helligkeit seines Notebooks gedämpft und Kerzen angezündet, deren stetig flackerndes, einschläferndes Licht sie beruhigt hatte, während die grellen Deckenlampen sie nur vom Schlafen abgehalten hätten.Und auch hier war es das Licht, das sie beruhigte, selbst als sie merkte, wie sehr sich der Rest des Raumes vom Arbeitszimmer ihres Vaters unterschied. Alles in ihm, von den Bücherregalen über den Schreibtisch und den Teppich, bis hin zu dem Stuhl, auf dem sie saß, schien abgewetzt zu sein, angeschlagen, an einigen Stellen rissig.
Die Regale an den Wänden enthielten keine Bücher, sondern nur hohe Ordner, in denen sich was auch immer verbergen mochte, unterbrochen nur von einigen wenigen groben Klötzen, die vielleicht eine Art Dekoration darstellten und einem uralten Fernseher, wie sie ihn nur aus Filmen von vor der Jahrtausendwende kannte.
„Wenn ich mich vorstellen dürfte, Miss Lancaster: Ich bin Kommandant George Moncrieff!"
Er lächelte sie an, so breit und mit einer so tiefen Ruhe in seinen Augen, dass sich Cecilias Mundwinkel wie von alleine nach oben kräuselten.Sie wusste nicht warum sie ausgerechnet jetzt lächelte, noch warum es ausgerechnet dieser alte Mann in einem Nest voller Feinde war, der ihr sympathisch erschien, doch eine besondere Ruhe ging von ihm aus, eine Milde, die sich auch in seinem alten Gesicht mit den hängenden Wangen und den tiefliegenden, hellblauen Augen wiederfand.
Allgemein sah er, wie Cecilia verwundert feststellte, nicht aus wie jemand, der einem Ehrfurcht oder Autorität einflößte, so wie sie es von ihrem Vater gewohnt war.
Dass er so jemand sein musste, ein Anführer, war ihr klar, hatte er sich ihr doch als Kommandant vorgestellt, auch wenn nur die steife Haltung ihres Begleiters, der hinter dem Stuhl seines Vorgesetzten auf der anderen Seite des Schreibtisches stand, davon zeugte, dass er auch tatsächlich irgendeine Art von Autorität besaß.
Wäre sie zu Hause, daheim in Utopia, Cecilia hätte bei dem Gedanken, dass eine Person wie dieser Mann auch nur irgendeinen Einfluss ausübte laut gelacht, besaß seine Gestalt doch nichts Ehrfurchtgebietendes.
Sie kannte ihren Vater, den großen Thomas Lancaster, dessen Präsenz genug war, um einen Raum zum Schweigen zu bringen, dessen Blick jemandem, der ihm missfiel, das Gefühl gab immer weiter zu schrumpfen, bis nichts mehr von ihm übrig blieb.
Doch ihr Vater war intelligent, redegewandt, diszipliniert und schien das alles in seiner Aura untergebracht zu haben, während der Mann vor ihr aussah, wie ein alter Boxer, der nachts vor dem Kamin lag.
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Utopia - Per Scientia ad Astra
AdventureIm Jahr 2020 hört die Erde, so wie wir sie kennen, auf zu existieren. An ihre Stelle tritt Utopia, eine perfekte Gesellschaft voller Eintracht, Wohlstand, Gesundheit und Frieden, die sich hinter hohen Mauern gegen das Unaussprechliche schützt, das v...