Kapitel 10

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„Vater!"
James spürte, wie seine Stimme vor Anspannung und Wut zitterte, doch es schien seinen Vater nicht zu kümmern.
Mr. Thomas Lancaster hatte ganz offensichtlich mehr Interesse daran, die zwei Blätter Papier, die auf seinem Schreibtisch lagen, zu ordnen, anstatt seinem Sohn in die Augen zu blicken.
Täte er es, James war sich sicher, er wäre erstaunt, über die Verachtung, die in ihnen funkelte.

„Dann tust du es wirklich, Vater? Du lässt sie allein? Es ist dir egal, dass Cecilia, deine eigene Tochter stirbt? Du gibst sie auf, nur um ein Exempel zu statuieren, um mir zu zeigen, dass ich Unrecht hatte und du recht? Ist das deine Art mir etwas beizubringen, Vater? Deine Tochter vor die Hunde gehen zu lassen?"
„Du hast unsere Familie sehr blamiert, James!", erklang die kühle, provozierend ruhige Stimme seines Vaters. Er sprach, ohne von den Papieren aufzusehen, die er anscheinend vorgab zu studieren.

„Vater, es geht um Cecilia! Meine Schwester, deine Tochter und du lässt sie..."
„Du hast unseren Gast brüskiert, dich selbst blamiert und mich in Verlegenheit gebracht, James! Ich erwarte, dass du diesen Raum jetzt verlässt und mir heute Abend einen Aufsatz über die Geschichte der Nova Confederatia, die historischen Persönlichkeiten, auf die sie sich berufen und deren Bedeutung für die moralischen Grundsätze der Nova Confederatia vorlegst. So wirst du hoffentlich endlich lernen..."
„Ich schreibe dir keine Strafarbeit über irgendwelche Sklaventreiber, Vater!"

James hatte nicht geplant so laut zu werden und so überraschte ihn seine Stimme selbst, doch vielmehr überraschte ihn der Blick seines Vaters.
Er wusste, dass sein alter Herr niemals jemand gewesen war, der Verfehlungen ohne ein Wort des Tadels ignorierte, doch wenn Cecilia in Gefahr war, da hatte er doch wesentlich dringenderes zu tun, als irgendwelche Strafarbeiten zu verfassen.
„Du wirst, mein Sohn, diese Arbeit erledigen und das ohne wenn und aber...!"
„Während du Cecilia verrecken lässt?"

Kaum, dass James die Worte ausgesprochen hatte, bereute er sie schon.
Er wollte zurückweichen, als sein Vater die Papiere gemächlich sinken ließ und fein säuberlich die Lesebrille von der Nase nahm und faltete, doch er konnte es nicht.
Er war eher ein Kämpfer, als ein Feigling, das wusste er genau.
Doch nicht einmal der stärkste Kämpfer, würde eine Flucht vor einem aufgebrachten Thomas Lancaster als feige bezeichnen. Vielleicht als einen taktischen Rückzug oder Vermeidung von unnötigen Schäden.

„Die Menschen von Nova Confederatia, James, sind unsere Verbündeten!", erklärte James Vater ihm nach einigen Minuten des Schweigens, die James beinahe um den Verstand gebracht hatten, während er sich vor ihm erhoben hatte. „Wir sind ihnen sehr dankbar für das, was sie für uns tun! Denn wenngleich die Charaktere, auf denen sie ihren Staat begründet haben von unwissenden, jungen Personen häufig verkannt werden, weil sie von der Geschichte ihrer Heimat offensichtlich weniger verstehen, als ihre kleinen Schwestern und denken ich merke nicht, wenn diese ihre Aufsätze schreiben", sein Vater funkelte ihn so eisig an, dass James das Gefühl hatte sein Blick allein, würde ihm für einen Moment den Atem rauben, „haben sie sich in der Vergangenheit doch als überaus nützlich erwiesen."
Sein Vater war, nach seiner kurzen Wanderung um James herum, wieder bei seinem Schreibtisch angekommen und stützte seine Hände mit strenger, gebieterischer Miene auf dem dunklen, auf Hochglanz polierten Holz ab.
„Und warum, mit Ausnahme der Lieferung zahlreicher Agrarprodukte, die uns von den Vasallensiedlungen außerhalb von Utopia unabhängig machen und für deren Anbau wir weder Platz, noch Personal haben, haben sie sich derart nützlich gemacht, James?"

„Soldaten."
Die Antwort war ein Flüstern, ein Hauchen, das James die Tränen in die Augen trieb.
Nicht unbedingt, weil er sich wieder dem Wunsch seines Vaters beugte, sondern weil es die Erinnerungen an diese schreckliche Nacht zurückbrachte.
An Rob, von dem er nicht wusste, wo er war und an Cecilia, bei der er nicht sicher war, ob er ihr nun wünschte zu leben oder tot zu sein, denn er wollte nicht wissen, was die Menschen außerhalb ihrer Welt mit einer von ihnen anstellen würden, wenn sie sie in die Finger bekamen.

„Ganz recht, James, Soldaten!", erklärte sein Vater ihm in einem Tonfall, der eigentlich gelassen sein könnte, wäre er nicht von einer schneidenden Schärfe begleitet. „Und diese Soldaten sind wichtig, da wir unsere Siedlungen verteidigen müssen!"
„Aber Vater, wir haben doch auch...!"
„Wir haben nicht die Zahlen, die ausreichen würden und wir sind nicht die Schlächter, sondern die Richter, James! Gott der Herr entsandte uns zu richten und ihm in seinem Willen zu dienen, darum hat er unsere Siedlungen vor der Marisina-Pestilenz bewahrt."
James spürte, wie ihm unwohl wurde.
Er ahnte, dass es nichts gab, das sein Vater mehr hasste, als wenn man ihm widersprach, doch wie sollte er Cecilia, seine süße, schutzlose Schwester, sich selbst überlassen?

Utopia - Per Scientia ad AstraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt