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- through all that bends / and breaks, you are still / wrapped in grace - morgan harper nichols _

pov: alexis

"Das hat doch alles keinen Sinn", murmele ich und klappe schwungvoll mein Heft zu. Heute ist der letzte Schultag vor den Sommerferien und Miss Cosgrove hat nichts Besseres zu tun, als bis zur letzten Minute zu versuchen, uns den Lernstoff einzuprügeln, von dem es ihr schon den ganzen Rest des letzten Jahres verwehrt war, ihn verständlich zu vermitteln. Jeder andere Lehrer schiebt seit Beginn der Woche zu jedem Stundenbeginn einen Fernseher in den Klassenraum, aber nicht unsere Chemielehrerin.

Ich seufze. Mich interessiert atomare Chemie einfach nicht, niemanden hier interessiert es. Obwohl - ich  glaube, Tristan, der zwei Plätze vor mir sitzt, hat schon Bock drauf. Oder er hat Bock auf Miss Cosgrove, wer weiß das schon so genau. Augenrollend werfe ich einen Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk und stelle fest, dass diese Frau uns nicht einmal fünf Minuten eher Feierabend gönnt. Wie kann man denn so unentspannt sein, wenn man selbst erst gefühlt fünf Jahre aus der Schule raus ist? Viel älter ist unsere Lehrerin garantiert nicht.

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und beginne, meine Stifte zurück in meine Federtasche zu legen, diese zu schließen und dann fein säuberlich neben mein Heft zu stellen. Das würde das Einpacken in wenigen Augenblicken beschleunigen und je schneller ich heute aus diesem Gebäude heraus in die Freiheit kann, desto besser. Die wenigen Dinge, die ich mir in den letzten Minuten nicht notiert habe, werde ich mir im Laufe der nächsten Wochen einfach von meiner besten Freundin Grace kopieren. Wie ich aus dem Augenwinkel sehe, ist sie immer noch über ihr Heft gebeugt und schreibt in einer Geschwindigkeit mit, in der mir schwindlig werden würde. Unglaublich, dass diesem Mädchen in den letzten zehn Jahren Schule die Hand noch nicht abgefallen ist. An der Stelle, an der sie sich eine Notiz zu viel macht, mache ich mir oft eine zu wenig und schreibe später bei ihr ab, auch wenn ich damit mehr Zeit mit dem Schulstoff verschwende, als ich eigentlich müsste.

Während ich diesem Gedanken nachhänge, ertönt endlich die erlösende Schulklingel und ich schnappe mir meien Tasche, in der ich meine Sachen verstaue, obwohl Miss Cosgrove noch redet.

"... und damit wünsche ich euch schöne Ferien!" Mehr höre ich von ihren Worten nicht, denn ich erhebe mich von meinem Stuhl und drängele mich an meinen Mitschülern vorbei zum Tisch meiner besten Freundin. In jedem anderen Fach sitzen wir nebeneinander, außer in Chemie, denn Miss Cosgrove hält es für eine gute Idee, uns alle nach einem organisierten Sitzplan voneinander zu trennen. Ich war das ganze Schuljahr genervt davon, denn ich saß alleine in der letzten Reihe.

Grace erhebt sich in dem Moment von ihrem Platz, in dem ich an ihrem Pult ankomme und schultert sich ihre Tasche, so dass wir gemeinsam den Raum verlassen können.

"Freiheit!", jubele ich, sobald ich über die Türschwelle getreten bin und bereits unzählige grinsende Gesichter sehe. Ich bin definitiv nicht die Einzige, die über den bevorstehenden Sommer erfreut ist.

"Miss Parker, wie Sie bei Ihrer Mitarbeit meine Klasse bestehen konnten, das ist mir schleierhaft. Kein Grund, sich über die anstehenden Ferien zu freuen, für Sie dürfte sich doch kaum etwas ändern", vernehme ich die pikierte Stimme von Miss Cosgrove hinter mir. Sie klingt bereits jetzt wie eine verbitterte alte Frau und in jeder anderen Situation hätte ich wohl einen spitzen Kommentar in ihre Richtung abgelassen, aber nicht jetzt. Ich war viel zu erleichtert, dass ich ihren Unterricht nie wieder besuchen muss.

"Ihnen auch einen wunderbaren Sommer", sage ich also nur und drehe mich dabei zu ihr um, während ich mein strahlendes Lächeln auflege. Es ist nicht so, dass ich es in der Schule hasse - eigentlich gehe ich sogar ziemlich gern her - aber die letzten Wochen dieses Jahres hatten sich gezogen wie alter Kaugummi und ich will nichts mehr, als mich in mein Bett zu legen und zu schlafen. Und das viel und ausgiebig, am besten die ganzen nächsten drei Monate.

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