Nachtdienst

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Ich hab lange überlegt, ob ich davon erzählen soll oder nicht... aber letzten Endes frisst es mich sowieso auf, also wieso sollte ich es nicht mit der Welt teilen? Vielleicht rettet mich das ja irgendwie.

Angefangen hat alles vor ca. einem Jahr. Ich arbeitete (jetzt nicht mehr) als Assistenzarzt in einer recht großen deutschen Klinik und wie jeder Assistent hatte auch ich die Aufgabe ausgiebige und anstrengende Nachtdienste zu schieben. Das war jahrelang ziemlich ok für mich, danach einen Tag frei, in der Nacht einfach mal als sein eigener Chef zu arbeiten und eigentlich ganz gut dafür entlohnt zu werden ... ich hätte nie gedacht, dass ich eine solche Belohnung bekommen würde.

Ich erinner mich als wär´s gestern gewesen, die Nacht hatte angefangen wie jede andere. Wir starteten mit einem Team von 6 Leuten in der Notaufnahme gegen 16 Uhr. Volles Programm... Herzinfarkt, Schlaganfall, Verkehrsunfall, Kopfschmerzen, Knochenbruch. Meine Kollegen und Ich wühlten uns durch die Bürokratie der Dokumentation, lachten, fluchten, rauchten und aßen gegen 22 Uhr eine Pizza zu Abend.

Maria, eine meiner Kolleginnen, wurde aber mit fortschreitender Stunde immer verschlossener. Wir anderen dachten zuerst, der Alltag hätte sie wieder eingeholt, hatte Maria sich doch erst vor 4 Monaten von ihrem Freund getrennt, der sich dann ... ja das war schlimm ... 2 Wochen später das Leben nehmen wollte. Er war vom Dach des Krankenhauses gesprungen und hatte leider nicht genug Glück gehabt und geschafft, es zu überleben.

Meine Kollegen aus der Chirurgie hatten ihn geborgen und es war nicht sehr erfreulich gewesen. Nicht nur das er sich jeden einzelnen Knochen im Körper gebrochen hatte, Nein, er war Kopf voran auf dem Zwischendach zum Versorgungstrakt gelandet und hatte sich so heftig den Kopf angeschlagen, das eine Gehirnblutung ihn ins Koma zwang. Man hatte ihn notoperiert und stabilisiert, dann auf die Intensivstation verlegt und Maria und all ihren Angehörigen erklärt, dass man nicht wisse, ob er wieder wach werden würde.

Wurde er nicht, aber er starb auch nicht.

Dieser Mensch in dem Bett dort oben, angeschlossen an unzählige Kabel und Schläuche, künstlich beatmet und nicht dazu in der Lage sich jemals wieder zu bewegen... das war nicht Julian ... sagte Maria oft. Wir anderen fragten uns häufig warum sie trotzdem weiter zur Arbeit gekommen war. Zwar war sie verschlossen und machte aus ihrer Trauer kein Geheimnis, aber oft saß sie bis spät Abends in der Klinik und arbeitet, oder sie saß an Julians Krankenbett. Ich hätte das nicht gekonnt aber ich sollte den Grund noch in dieser Nacht erfahren. Und ich wünschte jetzt, Julian hätte es geschafft!!

Ich schweife ab...

Maria wurde immer stiller. Wir versuchten sie aufzumuntern und ihr möglichst viel Arbeit abzunehmen, aber es schien, als ob sie immer weiter davon driftete. Sie war in letzter Zeit zunehmend wieder aufgetaut, aber heute, 4 Monate nach Julians Sturz, auf den Tag genau. "Die Arme" dachte ich und nahm sie beiseite.

"Lass mich, Frank. Ich möchte nicht drüber reden." hatte sie gesagt. Ich hielt sie am Kittel fest als sie gehen wollte ... hätte ich das mal nicht getan ... "Maria, du musst endlich darüber reden. Oder woanders hin. Das bringt dich hier sonst um!" hatte ich gesagt. "Du hast keine Ahnung!" schrie sie. "Ich kann nicht anders. Bitte Frank, lass es gut sein. Um unser aller Willen, ja?" Mit diesen Worten ging sie Richtung Bereitschaftszimmer um sich schlafen zu legen.

Ich arbeitete bis ungafähr 2 Uhr Morgens, dann war Ruhe eingekehrt. Nach einer Zigarette und einem Telefonat mit Claudia (wenn du das liest, dann bitte erschrecke dich nicht) entschied ich mich auch Richtung Dienstzimmer zu gehen und ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Die Notaufnahme war leer, die Stationen versorgt. Die Nachtschwestern und -pfleger tranken Kaffee und wünschten mir eine gute Nacht als ich vorbei ging. Ich zog am Automaten eine Flasche Wasser und ging Richtung Neubau, wo sich das Dienstzimmer befand.

DIE CREEPYPASTA SAMMLUNGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt