Kapitel 1 - Wahnsinn von Medizin

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Es war Morgen. Ich wachte auf, als die Ärztin eintrat und die Rolladen hoch machte. Das Licht blendete mich. Ich zog die Decke über mich, doch sie wurde mir weggezogen. Kühl umspielte die aufgewirbelte Luft meinen Körper. Etwas grob wurde ich aus dem Bett geworfen. Ich stand auf und trottete zum Esszimmer. Dort setzt ich mich hin und aß mein Müsli. Als ich dann zum Dienstzimmer ging und zu dem Mann sah, um ihn nach meinen Dipiperon zu bitten, bekam ich diese ausgehändigt. Das ich sie nahm, wurde genauestens kontrolliert. Ich fühlte mich dennoch, trotz dieser Kontrollen sehr wohl. Man sagte mir, ich müsste ins Krankenhaus um dort einige Untersuchungen zu machen. Es war eine Autofahrt durch die Stadt. Ich erinnere mich noch daran, das ich aus dem Fenster sah und ein Dönerladen meinen Blick streifte. Die Ampel sprang von rot auf gelb und dann auf grün. Der Mann im Wagen, welcher fuhr, sagte mir, das ich einfach ruhig bleiben und nicht wegrennen sollte, da das Krankenhaus sehr groß sei. Natürlich nickte ich brav und wir parkten irgendwann nahe der Eingangstüre. Der Mann nahm mich bei der Hand und führte mich in das Gebäude. Am Tresen redete er mit der Dame und sagte ihr, warum wir da waren. Ich sah mich um. Die Gänge die ab gingen waren weiß. Sie waren für mich nicht interessant und ich fing an sie mit den hellgrünen Gängen der KJP wo ich war zu vergleichen. Ich war noch nicht ganz bei Sinnen, als der Mann mich zum Wartezimmer der Neurologie zog. Ich wurde irgendwann ins Behandlungszimmer gebeten. Ein junger Mann, gerade mal um die 30 bat mich auf der bereits präparierten Liege platz zu nehmen. Ich setzt mich also hin und sah den Mann im Kittel an. Männer in Ärzte Outfit hatte ich schon oft gesehen, und als er mir die Nadel in seiner Hand zeigte, wusste ich, das er meinen Arm haben wollte. Ohh, Ich hasste Nadeln. Auch damals schon. Ich zögerte, aber gab ihm meinen linken Arm. Seine Finger brannten sich kalt in meine Haut und meine Ohren fieberten vor sich hin. Ich zuckte zurück als ich den Stich merkte. Ging sowas denn nicht sanfter? Er nahm mir etwas Blut ab und gab mir anschließend ein Beruhigungsmittel. Ich sah ihm zu und man konnte mir denke ich sehr gut ansehen das ich nicht begeistert war. Immerhin war ich sieben Jahre alt. Wenn man von einer Siebenjährigen einen Intellekt von Sheldon Cooper erwartet hatte, hatte man sich wohl getäuscht. Man klärte mich auf.

“Du darfst dich nicht bewegen und nicht weg zucken. Es ist wichtig das du still sitzen bleibst.”

sagte mir einer der anwesenden Ärzte und wieder einmal entlockte man mir ein halbherziges Nicken. Der junge Arzt forderte mich dazu auf, mein Oberteil auszuziehen. Dieser bitte kam ich ohne zu zögern nach. Meine Gedanken fuhren Karussell und so verlor sich mein Gedächtnis im Kreise der Erinnerungen. Ich sollte mich vorbeugen, wozu mir ein Kissen auf die Oberschenkel gelegt wurde. Nun saß ich in einem OP-Hemd da und wartete ab. Das Mittel ließ mich eher wenig wahrnehmen. Ich erinnere mich daran, wie zwei oder auch drei Ärzte in einem grünen Anzug vor mir standen und sich als Frösche verkleidet hatten, um mich abzulenken. Ich spürte etwas kühles auf meinem Rücken. Es musste wohl das Desinfektionsmittel gewesen sein. Anschließend tasteten die kalten Hände des Arztes über meinen Rücken. Ich spürte auch hier ihre Kälte sehr deutlich. Man sagte mir erneut dass ich stillhalten sollte. Mit einem seltsamen Gefühl in meiner Magengrube tat ich dies und fühlte mich nur wenige Momente darauf genau für diese Entscheidung bestraft. Das Gefühl wie sich die Nadel durch meine Haut bohrte und zwischen meine Wirbel eindrang war schrecklich. Ich hatte das Gefühl mich nicht mehr regen zu können und der Schmerz erfüllte mich am ganzen Körper. Die Ärzte vor mir, welche sich als Frösche verkleidet hatten, versuchten mich mit Albereien abzulenken, jedoch vergebens. Ich versuchte mich von dieser Nadel zu lösen und wurde dabei von einem Arzt festgehalten um nicht von der Liege zu stürzen. Alles in mir schrie damals danach von dieser Nadel erlöst zu werden. Es war eine schier unendlich lange Zeit. Der Arzt hinter mir sah mich an:

"Nur noch ein paar Tropfen."

Versuchte er mich zu beschwichtigen und ruhig zu halten. Gerade in solchen Augenblicken wird mir klar wie wichtig es anscheinend war mir damals Beruhigungsmittel zu verabreichen. Ich glaube ich hätte den Arzt damals locker geschlagen, jedoch bin ich mir dessen nicht so ganz sicher. Als er die Nadel aus meinem Rücken zog, atmete ich erleichtert auf. Mein Rücken wurde erneut desinfiziert und ich bekam ein großes Pflaster drauf. Noch immer schmerzte es und ich musste an mich halten nicht laut los zu schreien. Man lagerte mich in das Bett auf welchem ich bereits saß und machte das Kissen sehr flach. Wie ich in das eigentliche Krankenzimmer gelangt bin, war mir nicht bekannt. Ich denke ich war bewusstlos geworden. Als ich mich jedenfalls wieder daran erinnern konnte wo ich war, sah ich zu meiner Hand, wo ich etwas spürte. Es war ein kleines Gerät welches an meinem rechten Zeigefinger befestigt war und mein Sauerstoffgehalt im Blut messen sollte. Irgendwann traten zwei Ärzte ein und meine Mutter und mein Vater gesellten sich hinzu. Es war das erste Mal seit über zwei Wochen dass ich meine Eltern wieder gesehen hatte. Erfreut lächelte ich und wollte mich aufsetzen doch ich spürte dass es mir unmöglich war dies zu tun. Etwas hilflos fuchtelte ich mit meiner Hand herum und hoffte dass meine Mutter oder mein Vater diese nehmen würden und mir zeigen würde dass sie bei mir wären. Der Arzt sprach zu meinen Eltern dass ich noch überwacht werden würde und noch etwa zwei Tage auf der Station bleiben müsste. Für mich waren zwei Tage damals eine unendlich lange Zeit und ich konnte es kaum erwarten endlich nach Hause zu kommen. Wobei das Wort "Zuhause" auch falsch gewählt war, denn es war nie wirklich mein Zuhause gewesen. Diese zwei Tage auf der Station verbrachte ich damit liegen zu bleiben, gelegentlich etwas zu essen und sonst einfach nur meiner Langeweile herr zu werden. Das Zimmer war trist und die Vorhänge hellgelb. Mein Bettzeug war mit einem gestreiften Bezug bezogen worden. Es war ein Mehrbett Zimmer, aber ich lag alleine darin. Als meine Eltern das zweite Mal in mein Zimmer kamen hatten sie einen Rollstuhl bei sich. Noch immer plagt mich die Schmerzen von der Punktion welche durchgeführt worden war. Mein Vater setzte mich in den Rollstuhl und half mir dabei zurechtzukommen. Selbst dieses kleine bisschen Umlagern vom liegenden ins sitzende war für mich ziemlich unangenehm. Mein Vater beschwichtigte mich und sagte mir dass alles gut werden würde und auch meine Mutter versuchte mir Mut zu machen. Ich erinnere mich doch an den roten Alfa Romeo welchen mein Vater fuhr. Doch heute empfinde ich etwas dabei wenn ich einen Alfa Romeo über die Straße flitzen sehe und mir kommt ein lächeln ins Gesicht wenn ich an das Fahrgefühl denke. Der Arzt hatte aufgetragen, dass ich mich noch eine ganze Weile schonen sollte und ich nicht laufen sollte. Damals fragte ich nicht welcher normale Mensch einem siebenjährigen Kind verbot sich auszutoben und draußen in der Natur mit den Lavendelsträuchern zu reden. Ich mochte den Weg zu den Lavendelsträuchern und genau so sehr mochte ich auch den Weg generell aus dieser Glastür hinaus in die Freiheit an die frische Luft. Wirklich frei war ich dabei jedoch nie gewesen, aber das war mir in diesen Momenten wirklich egal. Jeden Mittwoch gab es bei uns einen Kiosk welcher offen hatte, wo man sich Süßigkeiten kaufen konnte. Doch diese eine Woche sollte dem nicht so sein. Meine Aufgabe war es einfach nur ruhelos in diesem Bett zu liegen und meine Gedanken nachhängen. Ich wollte aufstehen, aber es war mir nicht mehr möglich meine Beine zu bewegen. Jede Bewegung war für mich, als wäre ich 30 Meter unter Wasser gezogen worden und wüsste nicht mehr wo oben und unten ist. Es gelang mir erst sehr spät wieder irgendwie zum laufen zu kommen. Mein Kreislauf war teilweise ziemlich down und ich kam mir manchmal sehr verloren vor. Den einzigen Trost den ich hatte war meine Freundin Monika. Wir beide haben viel Zeit damit verbracht mit den Puppen zusammen zu spielen und gemeinsam über irgendwelche belanglosen Wörter und Witze zu lachen. Oftmals wussten wir in unserer kindlichen Lage nicht mal was wirklich um uns herum passierte, eher strich es an uns beiden vorbei. Eines Tages wollte ich mit Monika zusammen draußen spielen, doch sie stürzte und brach sich das Bein. Ich brach zu diesen Zeiten in Tränen aus, denn ich wusste ich würde meine Freundin so schnell nicht wieder sehen. Überraschenderweise kehrte sie nach zwei Wochen Krankenhausaufenthalt zu uns in die KJP der Station 54 zurück. Ich wollte mit ihr spielen, aber die Ärzte der Kinder Jugendpsychiatrie meinten dass das auch nicht möglich wäre. Mehrere Tage hatte ich auf sie gewartet und nur darauf hingefiebert das sie endlich zu mir kommen und mit mir wieder spielen würde. Als sie auf ihrem Gehhilfen zu mir entgegen lief, lief ich ebenfalls zu ihr und umarmte sie erstmal kräftig. Sie legt ihre Gehhilfen an einem Tisch ab und erwiderte die Umarmung dann half ich ihr sich hin zu setzen. Ich bat sie darum mir alles mögliche von ihren Erlebnissen im Krankenhaus zu berichten und sie erzählte mir dass sie sich eben so gelangweilt hatte, wie ich es getan hatte als es mir nicht gut ging. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht dass uns irgendwann etwas trennen würde. Wir gingen unseren Alltag nach. Wir gingen in die Schule, spielten draußen, lachten und tollten herum. Wenn es Aktionen gab und man nach draußen auf dem Fußballplatz oder dem Basketballplatz gehen durfte, so machten wir zwei bei diesen Aktionen immer mit. Wir beide merkten schnell dass wir sonst keinerlei Anschluss fanden. Wir waren für viele Kinder einfach zu komisch. Heute weiß ich dass dieses "komisch sein" nicht an den anderen lag und sie teilweise mit ihren Einschätzungen sogar recht hatten. Ich weiß noch wie oft mir damals Blut abgenommen wurde nur um zu kontrollieren wie das Dipiperon auf mich wirkte. Ich hatte mich da schon immer gefragt, warum ich Medikamente bekam. Ich hatte die Entscheidungen der Ärzte jedoch nie in Frage gestellt. Ich glaubte zu wissen was die Ärzte von mir wollten und ich glaube auch immer, dass ihre Entscheidungen mir keinesfalls schaden sollten. Jede zweite Woche kamen mich meine Mutter und mein Vater besuchen. Einmal da gingen wir in die Innenstadt und ich sah einen Juwelier welcher ein paar Ohrringe ausgestellt hatte. Feuer und Flamme von der Idee mir selbst Ohrlöcher stechen zu lassen, fragte ich meine Mutter welche nur erwiderte dass wir dies nachholen und in zwei Stunden und die Ohrringe stechen lassen würden. Ich quengelte etwas rum als wir weiter gingen da mir dies doch sehr wichtig war zur damaligen Zeit. Erst Tage später als ich zurück in der Kinder Jugendpsychiatrie war fiel mir auf dass wir dieses gar nicht gemacht hatten und ich noch immer keine Ohrlöcher hatte. Etwas enttäuscht davon dass meine Mutter ihre Versprechen anscheinend nicht einhalten konnte suchte ich das Gespräch mit Monika. Ich erzählte ihr wie unfair ich es finden würde hier zu sein und nicht meine Mutter oder meinen Vater zu sehen und sie im Arm halten zu können. Ich erzählt ihr auch dass mir die Zuneigung fehlte und dass ich diese gerne bei anderen Menschen suchte. Ich war sehr gefrustet und Monika schien das nicht sehr zu gefallen dass ich mich anscheinend nur bei ihr beschweren wollte. Was belastete ich meine Freundinnen nur auch mit solch einem Kram? War es nicht eigentlich eher unsere Aufgabe unsere Kindheit zu leben? Ich meine - hätten wir nicht einfach unbeschwert spielen sollen, lachen sollen, witzig sein sollen - Kind sein sollen? An einem Tag kam meine Ärztin zu mir. Sie war meine lieblings Ärztin, denn mit ihr hatte ich viele schöne Dinge erlebt. Wir haben gemeinsam Masken bemalt oder auch Tassen aus Ton hergestellt. Wir haben mir zusammen ein Lavendelkissen genäht und sie war diejenige die mir Beistand als ich nach dieser seltsamen Punktion nach Hause kam. Dank ihr kam ich immer wieder zu kräften und stand auf, wenn ich gefallen war. Als ich nach Hause kam, in die Welt der Psychiatrie. Sie überbrachte mir eine wichtige Nachricht.

"Du wirst bald umziehen. Schon in wenigen Tagen werden Menschen kommen und dich mitnehmen. Sie werden dir helfen so wie ich es getan habe und sie werden mit Dir gemeinsam arbeiten."

Dass sie auch sagte dass sie mit mir gemeinsam arbeiten wollen würden, kam mir in diesem Moment nicht seltsam vor. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht dass ein Psychologe mich mit einer Diagnose "Sozialgesetzbuch VIII - Paragraph 35a" entließ. Im Fachjargon der Medizin beziehungsweise eigentlich eher der Psychologie ist dies eine Bezeichnung einer seelischen Krankheit. Sie soll durch Vernachlässigung der Elternteile ein Traumatisierendes Ereignis oder auch einen Lebensabschnitt beschreiben. Ja im ersten Moment mag das befremdlich klingen wenn man von Paragraphen, Gesetzen und irgendwelchen Bestimmungen der deutschen Regierung keinerlei Ahnung hat. Ich erlebte dieser Zeit in der Kinder-Jugendpsychiatrie einige Abenteuer. Heute weiß ich dass vieles nur auf Lügen und Skandalen aufbaut. Mittlerweile trägt die Klinik einen anderen Namen. Damals war sie mir noch unter anderem Namen bekannt. Als ich jedoch erneut von ihr hörte, musste ich erstaunt feststellen dass sie sich umbenannt hatten.

SELBST ⁱⁿ ˢⁱᶜʰ GEFANGENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt