Kapitel 3 - Timeout

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Ich erlebte in meinen jungen Jahren einige Erlebnisse. So war es mir nicht möglich, mich oder meine Umwelt wirklich wahrzunehmen. Ich hatte viel Ärger, auch weil nun mal zu meinem Verdruss alle älter als ich waren. Ich war acht Jahre alt, als ich es erlebte, das ich Tischdecken durfte. Für eine Wohngruppe zu sieben Kindern und drei sich im Dienst befindenden Erziehern war das eine Masse. Für ein achtjähriges Kind war das eine Arbeit von mehr als 30 Minuten. Und was da alles auf den Tisch gedeckt werden musste… einmal waren das Besteck, welches Messer, Gabel und Teelöffel umfasste, dann gesellten sich Brettchen, Tassen, Gläser und natürlich das Essen hinzu. Ich musste sämtliche Aufschnitt auf Tellern platzieren und Brot in Brotkörbe tun. Dann Dinge wie den Tisch ordentlich herrichten oder sauber wischen. Immer zwischen 18 Uhr und 19 Uhr, eine gesamte Woche lang. Eine für ich quälend lange Zeit. Ich musste in dieser Stunde sowohl den Tisch decken, als auch Duschen gehen. Tag für Tag und Woche für Woche. Wenn man Mist gebaut hatte, und oft reichte damals schon ein falscher Blick, wurde einem direkt noch eine Woche Tischdienst aufgebrummt. Ich war oft diejenige die diese Arbeit machen durfte. Die älteren schienen es wirklich amüsant zu finden und haben teilweise sogar Geschichten erfunden um sich um ihren eigenen Tischdienst zu drücken. So kam es wie es kommen musste. Die Leidtragenden waren dabei immer die Jüngsten. Mehrere Wochen schien eben jene Masche für die anderen sehr gut zu laufen, denn keinem der Erzieher schien es wirklich nahe zu gehen, auf welch miese Art und Weise man runtergemacht wurde. Ich habe es nach über sieben Wochen nicht mehr ausgehalten. Mein Geduldsfaden war nach all diesen Tagen, es waren 49, gerissen. Wütend stand ich von der Tür des Gruppenraumes, stampfte mit meinem Fuß auf und schrie meinen Frust raus. Ich beleidigte die Erzieherin und schlug gegen die Wände, die Tür und den Boden. Meine Hände taten weh, meine Stimme wurde heiser. Ich weinte und war kaum zu halten. Mit mehreren Erziehern drucken sie mich grob zu Boden. Mein Arm wurde mir auf den Rücken gedrückt, halb verdreht und Tränen stiegen mir in die Augen. Immer wieder schrie ich das man mich Los lassen solle. Ich wurde zum Tisch decken zitiert und anschließend vom gemeinsamen Essen ausgeschlossen. In Mir wusch doch nur der Wunsch eines Kindes heran - Kontakt zu anderen zu haben, und dafür nicht belangt zu werden. Ich wurde in einen Raum, kalt und fern ab von anderen gesteckt. Es wurde sogar abgeschlossen. Weinend schlug ich gegen das Mauerwerk. Sie nannten diesen Raum “Timeout Raum”, was mich immer wieder Zittern ließ. Diese Isolation war grausam. Mehrere Stunden, ja manchmal sogar Tage war ich dort drinnen gefangen. Mitten in der Idylle der Lüneburger Heide, war ich eingesperrt in einem alten Anbau eines Pferdestalls. Ich Bekam immer nach den anderen mein Essen, lieblos zubereitet. Schlafen durfte ich auch einer Isomatte und einem Schlafsack. Manchmal hatte ich aber nicht mal diesen und musste mich mit Handtüchern als Decke zufrieden geben. Ich froh oft, da ich ohne weitere Kleidung dorthin gebracht wurde. Die Dusche war immer kalt gewesen und das Wasser war hart, als es auf meine Haut traf. Meine Hände zeigten deutlich wie ich mich verletzt hatte. Sie waren rot, geschwollen, sogar offen. Zu meinem Glück brach ich mir bei einer solchen Aktion nie etwas. Mehrfach aber prellte ich mir die Knöchel, Verstauchte mir die Finger oder Blutete irgendwo. Ich lernte meinen Schmerz irgendwann nicht mehr wahrzunehmen. Wiedermal verdonnerte man mich  zum Tischdienst und ich brach weinend zusammen. Wie ein häufchen Elend lag ich mit angezogenen Beinen da und die Tränen fanden ihren Weg an die frische Luft. Manche hörte ich lachen.

“Schaut euch Amelie mal an.”

hörte ich aus dem Gelächter heraus. Ich fühlte mich dreckig. Man zog mich hoch, schüttelte mich und schubste mich durch die gegend. Ich folgte den Anweisungen, aus angst noch mehr Gewalt zu erfahren. Ich deckte den Tisch, doch immer mehr schwelte in mir diese Wut. Bald schon, als man mir weh tat, artete es in eine Art Sucht aus, eher in der Hoffnung zu sterben. Mit Neun Jahren das verlangen nach dem Tod zu haben mochte vielleicht Falsch klingen, aber für mich hieß es die Lösung auf alle meine Probleme gefunden zu haben. Ich ließ mich irgendwann mit absicht verletzen. Ich trat, schlug und schrie förmlich danach. Umso witzige fand ich jedch die Entwicklung, das wenn man mir weh tat ich zu lachen begann. Wegen diesem Umstand wurde ich einer Psychologin in der Celler Altstadt vorgestellt. Diagnose? Die ist mir nicht bekannt, aber bekannt war mir, das man eine Dosis von Dipiperon von 0,5mg auf 1,0mg angehoben hatte. Mit Neuroleptika zugedröhnt wurden meine Erinnerungen nun wieder blasser und nur noch wirklich wenige ereignisse tauchten auf. Ich war oftmals zu benebelt um noch irgendwas zu begreifen. Zum selbstschutz Isolierte ich mich nun von den anderen, so gut es ging. Ich verweigerte das Essen, Trank nur wenig und wurde zum Essen gezwungen. Ich verweigerte auch die Einnahme der Tabletten, als hätte ich damals gewusst das sie mir schaden. Die Erzieher zwangen mich dazu, stecken mir die Tablette in den Mund und ließen mich dann wasser trinken. Irgendwann aber aber, schluckte ich das Wasser alleine und als sie gingen spuckte ich die Tabletten aus. Es wurde jedoch entdeckt und man fing an die Tabletten im Wasser aufzulösen und in mich zu zwängen. Als ich dies merke versuchte ich immer das Zeug im Klo zu versenken und Leitungswasser zu trinken. Ich hatte das Gefühl, das man mich mit Absicht vergiften wollte und wurde Paranoid. Ich hatte immer mehr das Gefühl, das das Leben nur so an mir vorbei zog, ohne das ich dieses Gefühl auch nur hätte aufhalten können. Immer mehr Tabletten bekam ich, weil ich immer Verhaltensauffälliger wurde laut den Psychologen. Ich fragte mich wozu ich die Medikamente bekam. Als ich es bei der Ärztin ansprach, erwiderte sie nur:

"Damit geht es Dir besser. Sie sollen dir helfen."

Ich als Neunjähriges Kind habe das natürlich irgendwo geglaubt. Wer schenkt einem Arzt denn kein Vertrauen? Wir gingen aus dem Haus und Richtung Parkplatz, ein Platz gepflastert mit Kopfsteinpflaster-Steinen. Der Wagen war ein Ford Mondeo. Er war Silbern, sehr geräumig und der Größere der beiden Firmen Wagen. Der andere war ein Ford Fiesta. In einem hässlichen grau Ton. Im Kinderheim angekommen gab es jedoch nur ärger, denn diese Erlebnisse wollten nicht enden. Die Fahrt kam mir ebenso lang vor, wie jede andere auch. Meine Erwartungen, einfach nur “Zuhause” anzukommen, wurden wieder mal von den Plänen der Erzieher gecrasht. Es war mir wohl nie vergönnt, mal ruhe zu haben, ohne mich selbst zu Isolieren. Ich war gefangen in dieser Welt. Einer Welt, die Surrealer kaum sein konnte.  

SELBST ⁱⁿ ˢⁱᶜʰ GEFANGENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt