Kapitel 3- Fighting!

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Immernoch sadistisch grinsend verstaue ich das Acai-Püree im Gefrierschrank und schließe die Tür. Falls jetzt jemand denkt: Heiliger Bimbam, girl, hast du Kim Namjoon nicht erkannt? Natürlich hab ich das. Die drei Jahre Studium über Korea waren ganz sicher nicht umsonst. Und natürlich stößt man da auch auf Kpop. Mittlerweile bin ich ein eingefleischter Fan.

Aber irgendwie find ich die Vorstellung, so zu tun als ob ich ihn nicht kenne, ziemlich amüsant. Ich schätze, mein Humor ist einfach krank. Gibt's da irgendwelche Bücher drüber? "Wie heile ich gestörten Humor?- Die Notfallhilfe" oder sowas.

Mitsamt meinem heißgeliebten Handyschätzchen und dem mittlerweile zerknüllten Zettel werfe ich mich auf das Sofa, welches überraschenderweise nicht mal protestiert. Die Couch meiner Großmutter, auch bekannt als pingelige Schreckschraube, hatte immer Laute von sich gegeben als würde jemand sterben. Vielleicht liegt das aber daran, dass es mindestens so alt ist wie seine Besitzer und diese nicht gerade das haben, was man heutzutage bei Gntm sucht.

Mein Handy meint es aber offensichtlich nicht gut mit mir, denn es lässt lautstark Jeon Jungkooks liebreizendes, schiefklingendes DiNg dOnG durch die Wohnung tönen. Akkustand: 10%. Ich gehöre allerdings zu den Leuten, die nichts machen, bevor das Handy nicht bei 2% ist. Allerdings kann ich es ihm auch nicht übel nehmen, denn ich habe dummerweise vergessen es über Nacht zu laden und wenn mir jemand quasi mein Essen verweigern würde, würde ich mich auch bemerkbar machen.

5 Minuten lang versuche ich also wie bei Star Wars das Ladekabel durch die Macht zu mir schweben zu lassen. Gut, dass es hier drin keine Kameras gibt. Und noch besser, dass Fliegen eben doch nicht Mikrokameras als Augen haben.

Als das Ding Dong erneut ertönt, überlege ich schon, doch zum Ladekabel zu flitzen, bis mir auffällt, dass es eine Naricht ist. Und als ich sie zu Ende gelesen habe, Säcke ich wortwörtlich zusammen.

Eine einzelne Träne bahnt sich ihre Spur über meine Wange. Diese Tränenspur prägt mein Gesicht mehr als meine Existenz das Leben meiner ehemaligen Familie. Meine Schwester hatte mir Fotos geschickt.

Einmal war darauf mein Zimmer abgebildet, dass nur noch eine Baustelle ist. Sie haben mich ja verdammt schnell aus ihrem Leben streichen können. Aber was hab ich anderes erwartet? Dass sie mir wirklich hinterhertrauern? Sicher nicht. Aber vielleicht, dass ich ihnen nicht komplett egal bin.

Auf dem zweiten Foto sind meine Sachen zu sehen, die ich nicht mitgenommen habe. Bilder, und lauter Krimskrams. In Flammen. An der Feuerstelle. Und auch ich hab das Gefühl, zu brennen. Das letzte Bild zeigt meine Eltern, Großeltern und meine Schwester glücklich vereint als Familie. Im Hintergrund ein Banner.
Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Führerschein an unseren einzigen Stolz!

Zu behaupten, dass es mich nicht trifft, wäre eine Lüge. Ich weiß nicht, wann das letzte mal etwas so wehgetan hat. Erneut Quellen Tränen aus meinen Augen und ich habe das Gefühl, darin zu ertrinken.

Flashback vor 4 Jahren

Mein 16. Geburtstag. Natürlich erwartete ich nicht viel. Keine Geschenke. Aber vielleicht einen Kuchen und Glückwünsche. Denn meine Eltern essen gerne Kuchen, also warum nicht den Geburtstag der Tochter als Ausrede nehmen um sich den Bauch vollzustopfen.

Ich stieg langsam die Treppe herunter in die Küche. Wie erwartet saßen dort meine Eltern und meine Schwester, doch sie ignorierten mich komplett. Als wäre ich nicht existent. Langsam und mit gesenktem Kopf ließ ich mich neben meiner Schwester nieder, als es passierte: Ohne Vorwarnung sah ich plötzlich aus wie ein Schneemann. Aber die Wahrheit war, dass ich ein Volltreffer bei einer sehr einseitigen Sahnetortenschlacht war.

"Herzlichen Glückwunsch Looser!" Und das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich sah rot. Die volle Tasse mit heißer Schokolade und die Spiegeleier landeten auf dem Kopf von Luciella. Und da die heiße Schokolade wirklich heiß war, schrie sie auch wie am Spieß und bekam eine große Ähnlichkeit mit einem Hummer.

Leider war mein Vater der Ansicht, ich dürfte mich nicht verteidigen. Er gab mir so eine heftige Ohrfeige, dass ich mit dem Kopf auf den Tisch krachte. "Geh mir aus den Augen, du Missgeburt!", brüllte er und war dabei mindestens so rot wie Luciella. Und genau das tat ich. Im Bad eingeschlossen wusch ich mich und kramte dann mit tränenverschleierter Sicht nach den Rasierklingen.

Flashback Ende

Das war damals nicht das erste Mal, dass ich mich ritzte. Ich hatte mit 13 Jahren angefangen, weil es mir half, meine seelischen Schmerzen zu betäuben. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Gefühl, mich damit selbst bestrafen zu können, denn ich war eine nichtsnutzige Missgeburt.

Zitternd wegen der schmerzhaften Erinnerung stehe ich auch und laufe ins Bad. Mit hochgezogen Ärmeln hocke ich vor der Rasierklinge. Ich hab mir selbst versprochen, in Korea damit aufzuhören. Denn meine Unterarm sind komplett zerkratzt. Teilweise klebt noch getrocknetes Blut dran. Ich wisch mir übers Gesicht steh auf und pack die Klinge weg. Ich will die Vergangenheit hinter mir lassen.

Nachdem ich mich einigermaßen wieder beruhigt habe und nicht mehr aussehe, als würde ich jeden Moment losheulen, schnappe ich mir meine Tasche und verlasse die Wohnung. Ich wollte eh ein bisschen die Stadt erkunden. Gesagt getan. Und um ehrlich zu sein entspricht Seoul meinem Geschmack wesentlich mehr als meine ehemalige Heimatstadt.

Und es geht nichts über Ramen. Sind einfach geil. Während ich meinen Blick über die anderen Gäste schweifen lasse, fällt mir ein alt aussehendes, braunes Klavier in einer Ecke auf. Meine Ramen bleiben auf halber Strecke stehen, bevor ich sie mir gegen die Wange drücke. Und ich Depp fang ernsthaft an zu kauen, obwohl die Nudeln nicht mal in meinem Mund sind.

Zum Glück gibt es Taschentücher. Um das Risiko zu vermeiden, dass ich mir die Nudeln in die Nase schiebe, weil ich sie für meinen Mund halte, esse ich erstmal auf. Und dann beginnt der Kampf mit mir selbst.

Soll ich spielen? Soll ich nicht spielen? Mich kennt ja hier keiner... Ja, aber wenn du dich hier zu Tode blamierst werden sie dich kennen. Na und? Gleich einen schlechten Eindruck zu hinterlassen spart eine Menge Zeit! Aber du könntest ausnahmsweise mal einen guten Eindruck hinterlassen!
Ich seufzte leise auf.

Das Klavierspielen hatte ich in der 1. Klasse angefangen. Damals sahen meine Eltern noch ein bisschen Potential in mir, kein komplettes Problemkind zu werden. Tja, dass hatte ich ja toll hingekriegt.

Zurück zum Thema: irgendwann, so in der 8. Klasse wollten sie dann ihr Geld nicht mehr verschwenden. Da ich aber schon längst vernarrt in die Musik und Klavierspielen ein Teil von mir war, übte ich heimlich weiter. Luciella erhielt auch Unterricht. Ich lauschte, und lernte weiter. Und natürlich gibt es Youtube. Und gewisse Apps.

Ach, scheiß drauf. Ein schlechter Eindruck ist besser als gar keiner. Ich zahle, ziehe die Kapuze meines Hoodies über und laufe mit schweren Schritten ans Klavier. Es ist etwas verstimmt, aber nichts, was katastrophenähnlich wäre. Einmal tief Luft holen. Du schaffst das, Alecto! Selbst Mut machen war leider noch nie meine Stärke.
Trotz Aufregung beginne ich mit einem meiner Lieblingsstücke: Nuvole Bianche.

Und dann versinken ich in der Musik. Die Töne schwingen sanft durch den Raum, während der melancholische Klang meine Sinne betäubt und mich einfach alle Sorgen vergessen lässt. Meine Finger bewegen sich wie von allein, als wäre es ganz selbstverständlich. Viel zu schnell ist das Stück vorbei, und erst jetzt bemerke ich, dass es still ist. Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können.

Dann wird mir plötzlich applaudiert. Eine kurze Verbeugung. Zu mehr bin ich nicht in der Lage, denn schon haste ich aus dem Lokal, um zu realisieren was grade passiert ist. Ich hatte es wirklich getan. Und es hat den Leuten gefallen!
Du hast gerade deine Angst überwunden, Alecto.
Fighting! Und ich kann nicht verhindern, dass sich ein zufriedenes Grinsen auf meine Lippen schleicht.

Be my hope {jhopexreader} Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt