Eine Bar in Seattle

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Es regnete in Strömen.
Fluchend zog ich mir meine Jacke über den Kopf.
Ich war jetzt gerade seit sieben Stunden in Seattle.
Als ich aus dem Flugzeug gestiegen war,
hatte es sofort angefangen zu schütten.
Ich hasste Regen.
Mein Tag war sowieso schon schlimm genug gewesen.
Zuerst hatte mein Flug zwei Stunden Verspätung,
dann hatten die Taxis gestreikt.
Als wäre das nicht genug gewesen, hieß es, dass  Hotelzimmer erst am Abend fertig sein würde.
Und nun muss es auch noch regnen.
Genervt trat ich mit dem Fuß gegen eine Coladose,
sie daraufhin scheppernd über den Weg rollte.
Ich konnte diese Stadt jetzt schon nicht leiden.

Hinter der nächsten Straßenkreuzung tauchte das Gebäude auf, in dem ich anscheinend die nächsten Monate, wenn nicht sogar Jahre verbringen würde.
Das Seattle Grace Hospital war, zumindest von hinten gesehen,
ein mittelhässlicher Betonklotz.
Na toll.
Meine Laune hob sich erst etwas, als ich in der Straße neben mir,
die gegenüber des Krankenhauses lag,
eine kleine Bar entdeckte.
Sie sah zwar etwas schäbig aus, doch wenigstens könnte ich mich dort unterstellen,
bis der Regen vorbei ist.
Die andere Möglichkeit wäre es ins Seattle Grace zu gehen, doch mein erster Arbeitstag wäre erst morgen und ich hatte keine Lust heute schon dort vorbeizuschauen.
Also zog ich die Tür der Bar auf und trat ein.
Sofort wurde ich von einer wohligen Wärme und dem Geruch nach Schweiß und diversen alkoholischen Getränken.
Überrascht sah ich, dass die Bar bereits um diese Uhrzeit fast überfüllt war.
Neugierig ließ ich meinen Blick schweifen.
Hier schienen hauptsächlich junge Leute zu sitzen.
Da die Tische alle belegt waren,
setzte ich mich aif einen freien Barhocker an den Tresen.
"Was kann ich ihnen bringen?" Fragte mich der Barkeeper.
"Ein Bier, bitte." Ich wusste genau, dass wenn ich jetzt mit etwas hochprozentigen anfangen würde, nicht mehr aufhören könnte und ich wollte meinen
ersten Arbeitstag morgen nicht mit einem Kater beginnen.
Sofort stellte der Kellner mir ein Glas Bier hin.
"Sieh sehen aus, als könnten sie etwas stärkeres vertragen." Bemerkte er noch,
bevor er sich dem nächsten Gast zuwandte.
"Hey, Joe, ich hätte gerne das hochprozentigste, das du gerade auf Lager hast!"
ich war so in mein Bierglas vertieft,
dass ich nicht bemerkt hatte, wie sich eine große blonde Frau auf den Hocker neben mich fallen ließ.
"Kommt sofort, Doktor."
Antwortete der Barkeeper, Joe.
Nachdem ich Joes Worte vernommen hatte,
wandte ich mich interessiert der Frau neben mir zu:
"Sie sind Ärztin?"
"Ja." In einem Zug kippte sie den Inhalt des Glases hinunter, dass Joe ihr soeben gereicht hatte.
"Arbeiten sie in dem Krankenhaus gegenüber?"
Fragte ich weiter.
Nun musterte die Frau mich mit müden Blick.
"Bis vor einer Stunde. Sind sie auch Ärztin?"
Mir wurde klar, dass diese Frau eine Möglichkeit war mehr über meinen zukünftigen Arbeitsplatz herauszufinden.
Also streckte ich ihr meine Hand hin:
"Grace McKenzie, Pädiatrie." Stellte ich mich vor.
Meine gegenüber bestellte erst einen weiteren Drink, dann ergriff sie meine Hand:
"Erica Hahn, Kardiologie." Sagte sie."Lassen sie mich raten, sie sind der Ersatz für Kenley."
"Genau." Bestätigte ich überrascht und sah zu, wie Dr. Hahn ihren zweiten Drink ebenso schnell hinunter kippte wie den ersten,
nur um sich darauf einen weiteren zu bestellen.
"War es so schlimm dort?" Fragte ich sie.
"Sie haben ja keine Ahnung."
Meine Neugier wuchs immer weiter,
deshalb konnte ich nicht locker lassen:
"Wie schlimm genau ist es denn?" Fragte ich vorsichtig.
Müde rieb Hahn sich über die Augen,
die von tiefen Augenringen gezeichnet waren.
"Nun gut. Weil ich Mitleid mit ihnen habe, gebe ich ihnen ein paar Tipps:
Erstens: fangen sie nie etwas mit einen von den Oberärzten an."
"Wie bitte?" Ich dachte, ich hätte mich verhört.
"Sie werden verstehen, was ich meine, wenn sie sie kennenlernen. Dieses Krankenhaus ist verrückt.
Jeder hat mit jedem Mal irgendetwas angefangen.
Überall schleppen die Ärzte ihre privaten Probleme mit sich herum.
Versuchen sie, sich da raus zu halten.
Was besonders wichtig ist: haben sie immer ein Auge auf die Assistenzärzte. Die machen in diesem Krankenhaus, was sie wollen.
Ohne der nötigen Strenge tanzen die ihnen auf der Nase rum. Noch einen Drink, Joe!"
Rief sie.
"Ach ja und noch das wichtigste: diese Bar scheint zwar eine gute Zuflucht zu sein,
aber hier hängen eigentlich nur Ärzte ab."
"Was?" Erschrocken sah ich mich um, bei der Vorstellung, dass die Leute hier meine zukünftigen Kollegen waren.
"Ja leider. Aber machen sie sich keine Sorgen.
Die meisten Chirurgen sind um die Zeit noch im Krankenhaus." Erklärte sie mir. "Es war mir eine Freude ihre Bekanntschaft zu machen, Grace."
Sie trank ihr Glas aus und erhob sich.
"Ich wünsche ihnen alles gute.
Beherzigen sie meine Ratschläge."
Hahn wollte sich gerade zum gehen wenden,
doch eine letzte Frage hätte ich noch:
"Warum verlassen sie das Krankenhaus?"
Mit ausdrucksloser Miene drehte Erica sich wieder um: "Das werden sie von ihren neuen Kollegen bestimmt noch früh genug erfahren."
Mit diesen Worten verließ sie die Bar.
Ich trank nun ebenfalls aus und begab mich,
nachdem ich bezahlt hatte,
nach draußen.
Es hatte aufgehört zu regnen und der Himmel hatte sich in ein warmes Orange gefärbt.
Ich machte mich auf den Weg in das Hotel.
Dort würde ich die nächsten Wochen wohnen,
bis ich etwas eigenes gefunden hatte.
Mein Koffer, mit meinen wenigen Habseligkeiten war ebenfalls angekommen und in mein Zimmer geliefert worden.
Entspannt ließ ich mich auf das Bett fallen.
Trotz Erica Hahns Warnungen bekam ich das erste Mal an diesem Tag das Gefühl,
dass ich mit Seattle die richtige Entscheidung getroffen hatte.

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